5. Februar 2024, 11:12 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Immer mehr Jugendliche beginnen mit Kraftsport, Fitness-Vorbildern auf Instagram und Co. sei Dank. Aber ist das überhaupt gut für die Entwicklung, oder besser ausgedrückt: Ab wann ist es in Ordnung, wenn ein Kind anfängt, mit Gewichten zu trainieren? Ein Sportwissenschaftler kennt die Antwort.
Die Fitnessbranche boomt! Dieser Erfolg hat nicht zuletzt mit dem Erfolg sozialer Medien zu tun – und Jugendlichen. Viele Fitness-Influencer generieren ihre Reichweiten nämlich mithilfe 13- bis 18-jähriger Nutzer von Instagram, YouTube und Co. Angetrieben von virtuell zur Schau gestellten Muskelbergen und flachen Bäuchen pilgern viele Jugendliche in die „Fitte“. Aber: Ab wann sollten Kinder und Jugendliche frühestens mit Kraftsport beginnen, um ihrem Körper nicht ungewollt – und vielleicht sogar dauerhaft – zu schaden? Diplom-Sportwissenschaftler Jörn Giersberg weiß um Risiken und Nutzen von Kraftsport bei Heranwachsenden.
Übersicht
Wann ist es für Kraftsport noch zu früh?
Diese Frage stellen sich (gezwungenermaßen) Eltern, wenn ihre Kinder mit dem Wunsch einer Gym-Mitgliedschaft ankommen. Nicht selten wird dann schnell das World Wide Web herangezogen, wo Warnungen à la „Kraftsport im Kindesalter kann zu Wachstumsstörungen und Knochenschäden führen“ kursieren. Was steckt dahinter?
Die sogenannten Wachstumsfugen der Knochen können durch (übermäßige) Belastung beschädigt werden, wenn Kinder und Jugendliche Kraftsport betreiben.1 Hintergrund: Der knorplige Anteil der Röhrenknochen ist bei ihnen noch verletzlicher. Bei Erwachsenen knöchern die Wachstumsfugen aus, das Ende des Wachstumsprozesses ist erreicht.
Jörn Giersberg dazu: „Das Alter, mit dem Kinder anfangen sollten, Kraftsport zu betreiben, sollte nach dem individuellen Reifegrad bemessen werden. Grob kann man jedoch sagen: Bereits ab 14 bis 16 Jahren steht dem Training nichts im Wege.“
Giersberg betont aber, dass vor allem bei Heranwachsenden jeder Gang ins Studio mit besonderer Vorsicht genossen werden sollte. Bei zu hoher Belastung verknöchern die Wachstumsfugen vorzeitig, was die Entwicklung hemmen kann. „Ein Beispiel dafür sind Turner, die durch die sehr hohe Beanspruchung der Strukturen früher im Wachstum entschleunigt werden“, erläutert Giersberg.
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Wie sollten Jugendliche trainieren?
Ebenso hartnäckig halten sich Aussagen, Kinder sollten lieber an Maschinen oder mit Eigengewicht Kraftsport betreiben, anstatt den Freihantelbereich aufzusuchen. Jörn Giersberg zufolge ist das so aber nicht richtig: „Im Fitnessstudio ist es wichtig, die Intensität zu verringern. In einem Bereich von zehn Wiederholungen kann man prinzipiell nichts falsch machen. Und es kann neben dem eigenen Körpergewicht und Maschinen auch mit freien Gewichten gearbeitet werden, solange man sich auf die Ausführung konzentriert.“ Giersberg empfiehlt weiter, beim Training mit Jugendlichen auch auf spielerische Elemente zu setzen.
Zusammengefasst: Das Risiko, Wachstumsfugen zu beschädigen, ist weniger eine Frage des Alters, als vielmehr der schlechten Ausführung und/oder zu hohen Trainingsgewichten geschuldet. Außerdem birgt Kraftsport im Teenager-Alter nicht nur Risiken, sondern hat auch Vorteile für den (ausgewachsenen) Körper.
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Vorteile von Kraftsport im Kinder- und Jugendalter
Giersberg stellt klar, dass grundsätzlich jede Form von Sport im Jugendalter, wenn richtig dosiert und ausgeführt, positive Langzeitfolgen mitführt: „Je länger ein Jugendlicher sportlich aktiv ist, desto sensibler reagiert das Muskelgedächtnis im Alter auf wiederkehrende Reize. Des Weiteren wird durch frühe sportliche Aktivität der passive Bewegungsapparat verbessert. Durch die systematische Belastung im Kraftsport werden Sehnen und Bänder gestärkt.“ Langfristige Vorteile seien zum Beispiel die Vorbeugung von Osteoporose. Giersberg erklärt, bis zum 30. Lebensjahr würden hierfür die Grundlagen gelegt, und ergänzt: „Kraftsport kann im Jugendalter präventiv für das Alter wirken!“
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Finger weg von Steroiden!
Nicht jeder imposante Muskel der Fitness-Influencer geht auf reinen Trainingsfleiß zurück, vor allem im Bodybuilderbereich wird nach wie vor auch auf Steroide gesetzt, um Hypertrophie zu pushen. Das sollten Eltern wissen und bei ihren Sprösslingen unbedingt verhindern. Denn gerade bei Jugendlichen kann der Konsum irreversible Folgen haben.
Giersberg erklärt den Reiz für Jugendliche, der von Steroiden ausgeht: „Das Interesse am anderen Geschlecht in der Pubertät ist ausschlaggebend dafür, seinen ‚Marktwert‘ durch einen trainierten Körper erhöhen zu wollen.“ Das Streben nach optischer Perfektion könne durch den Kraftsport gesteuert werden und sei auch kein neues Phänomen. Jugendliche seien aber durch die sozialen Medien anfälliger für anabole Steroide geworden. Der Grund dafür sei einfach: „Den Heranwachsenden wird ein körperliches Bild vermittelt, das ohne Steroide nicht aufrechtzuerhalten wäre. Jugendliche werden teilweise von diesen Bildern dauertherapiert, da im Alltag immer Zugang zu sozialen Netzwerken herrscht.“
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Das hat zur Folge, dass die Hemmschwelle, auf Kosten der Gesundheit gut auszusehen, stark sinkt – auch weil es so gut wie keine Aufklärung im Netz gibt. Betroffene sind aber nicht nur die (heranwachsenden) Herren der Schöpfung.
»Dieses Phänomen ist nicht nur männlicher Natur
„„Erschreckenderweise ist dieses Phänomen keineswegs nur männlich geprägt. Immer mehr Frauen und junge Mädchen greifen zu Steroiden und schaden damit nachhaltig ihrem Körper. Eltern müssen Aufklärung betreiben, um die verzerrte Realität zu entwirren.““– Jörn Giersberg, Sportwissenschaftler und Personal Trainer
Problematisch: Eltern haben laut Giersberg selbst kein Wissen um die Gefahren. Und die können gravierend sein:
Einerseits werde der Hormonhaushalt komplett durcheinandergebracht, weil der Körper ein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten versucht. „Gerade für einen Heranwachsenden hat das massive Konsequenzen. Organschäden sind keine Seltenheit“, warnt Giersberg. Andererseits könne der passive Bewegungsapparat die schnellen Kraftzuwächse nicht kompensieren. Die Folge sei, dass man Sehnen und Bänder in Mitleidenschaft zieht.
Fazit
Es spricht – rein physiologisch betrachtet – erstmal nichts dagegen, wenn der 16-jährige Bub ins Fitnessstudio geht, um sich dort einen muskulösen Körper anzutrainieren. Vorausgesetzt. er lässt die Finger von Dopingmitteln, achtet auf eine korrekte Ausführung und übertreibt es nicht bei den Trainingsgewichten. Alles Punkte, an die sich natürlich auch ausgewachsene Pumper halten sollten, die aber bei Jugendlichen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution noch viel wichtiger sind.