16. Februar 2023, 4:14 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Viele konzentrieren sich beim Training bevorzugt auf Stellen, von denen sie sich ein attraktives Äußeres versprechen, etwa die Oberarme und Brustmuskeln. Doch dadurch vernachlässigen sie oft andere, für einen gesunden Körper umso wichtigere Muskelpartien. Worauf es beim Krafttraining wirklich ankommt und welche Übungen sich für die vergessenen Muskelpartien empfehlen – darüber hat FITBOOK mit dem Fitnessprofessor gesprochen.
Zu den vernachlässigten Muskeln, die viele nicht trainieren, zählen typischerweise die, für die es im Fitnessstudio keine speziellen Geräte gibt. Das erklärt Sportwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Geisler aka der Fitnessprof im Gespräch mit FITBOOK. Es erfordere also manchmal ein wenig Kreativität, sie zu trainieren – und zunächst natürlich ein Bewusstsein, dass dies wichtig ist. Dieses schaffen wir im Folgenden.
Übersicht
Oberarme und Brustmuskeln sind nicht alles
Laut dem Fitnessprof nehmen viele Männer beim Krafttraining bevorzugt die „Freibadmuskulatur“ in Angriff, also die sichtbaren Stellen an ihrem Körper. Häufig sind das etwa die Oberarme und Brustmuskeln, Frauen dagegen konzentrieren sich gern auf ihre Po-Muskulatur, die in den vergangenen Jahren einen wahren Hype erfahren hat. Dabei seien diejenigen Muskeln, die oft beim Sport vernachlässigt werden, tatsächlich die wichtigeren. Hierzu zählten etwa die tief liegenden Muskeln sowie solche, die um ein Gelenk herumlaufen. „Sie sind von großer Bedeutung für die Stabilität des Körpers und machen dadurch weniger verletzungsanfällig“, erklärt der Experte.
Das bewusste Trainieren der häufig vernachlässigten Muskeln könne dazu beitragen, dass Bewegungsabläufe und damit auch der gesamte Muskelaufbau effizienter wird. Wer dagegen nur einzelne Muskeln aufbaut, sorgt für Disbalancen im Bewegungsapparat. Diese wiederum führen früher oder später zu Schmerzen und anderen Beschwerden.
Ein guter Anfang: Bodyweight-Training
Ein sinnvoller Ansatz ist laut Fitnessprof Geisler etwa Bodyweight-Training, also (Kraft-)Training mit dem eigenen Körpergewicht. Denn dabei werde automatisch die tief liegende Muskulatur mittrainiert. Etwa beim Functional Workout, Yoga oder Pilates nimmt der Körper variationsreiche Posen ein, die auch die Kernmuskulatur beanspruchen – das sei nicht zuletzt gut für die Rumpfstabilität und die Haltung.
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Beim Trainieren häufig vernachlässigte Muskeln
Man kann die Muskeln, die häufig vernachlässigt werden, aber auch gezielt trainieren. Welche genau und wie erfahren Sie hier.
1. Hals-, Nackenmuskulatur
Ein untrainierter Nacken führt zu einer schnelleren Überlastung der Muskeln im oberen Rücken- und Schulterbereich. Das kann Schmerzen verursachen und weiterhin Haltungsprobleme mit sich bringen, ist also sowohl aus gesundheitlichen als auch ästhetischen Gründen ungünstig. Entsprechend sollte man Hals und Nacken gleichermaßen kräftigen.
Trainings-Tipp: Geisler empfiehlt, mit dem Eigengewicht des Kopfes zu arbeiten. Das geht, indem man beispielsweise im aufrechten Sitzen das Kinn zur Brust senkt und danach den Kopf langsam und tief in den Nacken legt. Ebenso kann man z. B. mit der rechten flachen Hand Druck auf die rechte Seite des Kopfes aufbauen und dagegen drücken, um die Muskeln auf der linken Seite am Hals zu trainieren. Das Ganze dann bitte mit der anderen Seite nachholen. Wenn Sie die Intensität steigern wollen, können Sie – wie bei anderen Übungen auch – mit dem Theraband Gegengewicht aufbauen.
2. Fußmuskulatur
Stets in Schuhe gezwängt, hat unsere Fußmuskulatur es längst verlernt, selbstständig zu arbeiten. Wenn sie nicht gezielt gefordert wird, kann das früher oder später zu Schmerzen in den Füßen und Schienbeinen führen, die bis zu den Knien und zur Hüfte hinauf wandern können.
Trainings-Tipp: Der Fitnessprof empfiehlt die „Fuß-Krake“. Dafür mit den Füßen nach Gegenständen greifen, beispielsweise nach Bällen, und sie an einer anderen Stelle wieder absetzen. Zusatz-Tipp: „Barfuß laufen.“ Beim normalen Gehen z. B. zu Hause ruhig hin und wieder auf Schuhe verzichten, wenn es geht. Beim Joggen aber besser davon absehen – mit einem Barfuß-Run wären vor allem trainierte Menschen mit einem gewissen Körpergewicht, das auf den Fußknochen lasten würde, nicht gut beraten.
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3. Fußhebemuskulatur
Die Fußhebemuskulatur ist der Gegenspieler zur Wadenmuskulatur. Sie sitzt im Schienbein und sollte auch von grundsätzlich sportlichen Menschen trainiert werden. So lässt sich etwa dem Schienbeinkantensyndrom, also einer Überlastungserscheinung der Knochenhaut, vorbeugen. Und auch bei älteren Menschen ist sie ein Thema, um die Stolperanfälligkeit zu verringern. Ist die Fußhebemuskulatur fit, hebt man die Beine beim Gehen wieder leichter an.
Trainings-Tipp: Pinguinlaufen! Dafür auf den Fersen stehen und eine Weile spazieren gehen. Das kann man immer einmal wieder zwischendurch tun und sorgt für schnelle Effekte. Die Fußhebemuskulatur sitzend zu trainieren, ist mit dem Theraband möglich. Binden Sie dafür das Band um Ihren Vorfuß und mit der anderen Seite an einem stabilen Ende (z. B. einem Türgriff) fest. Nun ausreichend Abstand einnehmen, um Spannung aufzubauen, und den Fuß nun bewusst beugen, heben und strecken.
4. Tiefliegende Bauchmuskulatur
Die quer verlaufende Bauchmuskulatur ist wichtig für Ihre Rumpfstabilität und ein aufrechtes Stehen. Deshalb sollte man diese Muskeln beim Training keinesfalls vernachlässigen.
Trainings-Tipp: Seitliche Liegestütze. Dafür zuerst auf den linken Unterarm stützen, die Beine (Muskeln angespannt) übereinander legen und nun das Becken anheben. Wichtig: Oberkörper und Beine sollen eine gerade Linie ergeben! Am besten, Sie halten die obere Position für 10 bis 15 Sekunden, bevor Sie das Becken wieder absenken. Die Bewegung 20-mal wiederholen, dann auf die andere Seite und das Programm von vorn beginnen.
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5. Untere Rückenmuskeln
Rückenschmerzen – nicht grundlos die Volkskrankheit Nummer eins – liegen häufig an Verspannungen oder einer Fehlhaltung. Ein Faktor ist in vielen Fällen eine untrainierte Muskulatur. Vor allem die unteren Muskeln werden häufig vernachlässigt, denn man sieht sie weniger als die oberen.
Trainings-Tipp: Gehen Sie in den Vierfüßlerstand, also stützen Sie die Arme schulterbreit und senkrecht unterhalb der Schultern. Nun die Bauchmuskeln anspannen und die Knie ebenfalls auf den Boden stützen (Oberschenkel im rechten Winkel zum Bauch). Nun zunächst das rechte Bein nach hinten wegstrecken, etwa zehn Sekunden halten und dann wieder absetzen. Wiederholen Sie die Bewegung 20-mal, dann Seite wechseln.
6. Die Schulter-Rotatorenmanschette
Wie der Fitnessprofessor erklärt, wird im Bereich der Schultern vor allem der Deltamuskel trainiert. Das ist der Teil, den man von außen sieht – einer der anfangs erwähnten „Freibadmuskeln“ also. Eine stabilisierende und damit wichtige Funktion für die Schulter habe er allerdings nicht. Im Verborgenen liegt die Rotatorenmanschette, die aus vier verschiedenen Muskeln besteht und bei der Innen- und Außenrotation zum Einsatz kommt. Besonders wichtig sei hier Kräftigung. Und das gelinge am besten durch aktive Außenrotation.
Trainings-Tipp: Vor dem Körper ein Theraband mit beiden Händen greifen, etwas schmaler als schulterbreit. Die Ellenbogen in die Taille nehmen, Brustbein nach vorn drücken. Nun das Band praktisch lang- und mit beiden Händen jeweils nach außen ziehen, so weit wie es geht, und unter Spannung langsam wieder zurücknehmen. Anschaulicher wird das Ganze im Video.