30. Mai 2020, 4:33 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Wenn der Rücken, das Knie oder der Nacken verspannt sind und schmerzen, liegt das häufig an verklebten Faszienstrukturen. Was es damit auf sich hat, weshalb ihre Gesunderhaltung so wichtig ist und wie man seine Faszien ohne teure Hilfsmittel selbst zu Hause geschmeidig halten kann, erklärt Autorin Carolyn Pliquet.
Vielerlei Verspannungen und Schmerzen, wie Rücken-, Nacken-, Hüft-, oder auch Knieschmerzen, lassen sich auf verklebte Faszien zurückführen. Davon spricht man, wenn die gitternetzartige Struktur der Faszien durch bestimmte Einflüsse verhärtet, ineinander verkantet oder verdreht ist. Die sonst gegebene Elastizität der Faszien ist dann beeinträchtigt und Bewegungseinschränkungen sowie Schmerzen können die Folge sein. Die gute Nachricht: Verklebte Faszien kann man lösen.
Funktion und Struktur unserer Faszien
Die unter anderem aus Kollagen und Wasser bestehenden Faszien umgeben Muskeln, Sehnen, Knochen und Organe wie eine zweite Hautschicht und halten den gesamten Körper in Form. Schon lange ist das fasziale Gewebe des Körpers nicht mehr nur unter seinem Synonym „Bindegewebe“ bekannt, dem zumeist nur in Verbindung mit Cellulite Beachtung geschenkt wurde. Faszien versorgen unseren Körper mit Nährstoffen, stabilisieren ihn und verleihen ihm Beweglichkeit. Neueren Studien zufolge kann die netzartige Struktur sogar aufgrund ihrer Fähigkeit, bestimmte Reize durch sensible Rezeptoren wahrzunehmen, als eigenes Sinnesorgan verstanden werden.
Verklebte Faszien übertragen Verspannungen in den ganzen Körper
Faszien verbinden den ganzen Körper von Kopf bis Fuß auf verschiedenen Ebenen und Wegen. Man kann sich das körpereigene Fasziensystem als eine Art Spannungsnetz vorstellen. Wird an einem Ende dieses Netzes gezogen, beispielsweise durch verkürzte Muskeln aufgrund fehlender Bewegung, wird Spannung erzeugt. Diese Spannung zieht sich durch das gesamte Fasziennetz und kann eine Kettenreaktion von Verkürzungen und Verspannungen übertragen, die den gesamten Körper in Mitleidenschaft ziehen.
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Faszien wollen maximal bewegt werden
Wie alle Bereiche unseres Körpers wollen auch die Faszien vor allem eines: bewegt werden – und zwar im vollen möglichen Ausmaß. Sie ernähren sich durch Flüssigkeit, die erst durch regelmäßige Bewegung entsteht und so die fasziale Gesundheit und Geschmeidigkeit gewährleistet. Der Schmerzspezialist und Autor Roland Liebscher-Bracht („FaYo – Das Faszien-Yoga“) geht davon aus, dass wir in unserer heutigen Gesellschaft nur etwa 20 Prozent der erreichbaren Bewegungsmöglichkeiten und -winkeln unseres Körpers nutzen. Was nicht zuletzt durch unser häufiges Sitzen im Büro, Auto oder auf der Couch deutlich wird. Das bedeutet, wir bewegen uns lange nicht in dem Ausmaß, für das unser Körper eigentlich vorgesehen ist. Dass auf dieser Grundlage vielerlei Probleme für unsere körperliche Gesundheit entstehen können, leuchtet ein. Ein genauer Blick auf unsere Faszien und auf unser gesamtes Bewegungsprofil im Alltag ist also absolut sinnvoll.
Optimale Schmerz-Prävention
Ob vor, während oder nach einem Workout, zum Aufwärmen, zur Regeneration oder Prävention – eine Faszien-Rollmassage sollte in keiner Trainingsroutine fehlen. Richtig ausgeführt, regelmäßig angewandt und mit Dehnübungen verbunden, kann man die Geschmeidigkeit und Beweglichkeit der Faszien aufrechterhalten oder wiederherstellen und Schmerzen effektiv lindern und vorbeugen. Der bekannte Faszienforscher Dr. Robert Schleip unterstreicht hierbei die Wichtigkeit, den Körper und seine Alltagsbewegungen als Ganzes zu betrachten: Bearbeiten Sie nicht nur einzelne Körperstellen, sondern beziehen Sie den ganzen Körper mit ein!
Es lohnt sich, verklebte Faszien bereits vor auftretenden Schmerzen beweglich zu halten und mit den richtigen Mitteln auszurollen. Bei langanhaltenden, unveränderten Schmerzen sollte natürlich nach wie vor ein Arzt konsultiert werden.
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Verklebte Faszien lösen – 5 Übungen mit einer Wasserflasche
Die Produktpalette für effiziente Faszien-Rollmassagen ist groß und reicht von der bekannten Faszienrolle in verschiedenen Härtegraden und Größen über kleinere und größere Bälle bis hin zu Rollen mit geriffelter Oberfläche. Wer so etwas nicht besitzt, muss nicht gleich ins nächste Fachgeschäft eilen. Für ein langfristiges Training der Faszien sollte zwar über entsprechendes Equipment nachgedacht werden, für den Anfang kann aber auch eine einfache Wasserflasche ausreichen, um das fasziale Gewebe auszurollen und verklebte Faszien zu lösen. Die verwendete Wasserflasche aus Plastik sollte nur bis etwa zur Hälfte gefüllt werden, um ein Auslaufen zu vermeiden.
Jede der im Folgenden gezeigten Übungen kann mit zehn bis 20 Wiederholungen (Vor- und Zurückrollen zählt als eine Wiederholung) durchgeführt werden.
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Wichtiger Hinweis vorab
Das Ausrollen der Faszien kann – je nach Schmerzempfinden und Verklebungsdichte – unangenehm sein und auch wehtun. Doch das sollte Sie nicht dazu bewegen aufzuhören, denn je regelmäßiger die Faszien bearbeitet werden, desto mehr lösen sich verklebte Bereich und desto geschmeidiger und gesünder werden sie. Und je gesünder die Faszien, desto weniger Beschwerden ergeben sich – auch während des Faszientrainings.
Übung 1: Nackenpartie lockern
Wasserflasche in Rückenlage und mit aufgestellten Beinen mittig am Hinterkopf positionieren. Als wenn man nicken würde, den Kopf langsam hoch- und runterbewegen. Im Anschluss wie beim Kopfschütteln von rechts nach links drehen. Schultern aktiv tief halten.
Übung 2: Waden ausrollen
Hierzu aufrecht sitzen und mit den Händen auf dem Boden abstützen. Ein Bein bleibt aufgestellt, das andere liegt auf der Flasche unterhalb der Kniekehle auf. Gesäß anheben und langsam die Wade Richtung Fuß ausrollen. Das aufgestellte Bein reguliert und stabilisiert das Hin- und Hergleiten auf der Flasche. An Punkten, die stärker schmerzen als andere, kann man innehalten. Dabei den Fuß ausstrecken und wieder anziehen. Übung auf der anderen Seite wiederholen. Es kann auch eine Wasserflasche aus Hartplastik oder ein Nudelholz verwendet werden.
Tipp: Fußsohlen vorher mit einem Tennisball ausrollen. Eine dort entspringende Faszienbahn zieht über die gesamte Rückseite des Körpers. Im Anschluss können also die Oberschenkelrückseite sowie das Gesäß bearbeitet werden. Übung 4 und 5 für den Rücken sowie Übung 1 für den Nackenbereich komplettieren grob diese Faszienbahn.
Übung 3: Oberschenkelaußenseite ausrollen
Hierfür wird die Wasserflasche auf einer Seite der Oberschenkelaußenseite unterhalb der Hüfte angesetzt und langsam Richtung Knie gerollt. Das andere Bein unterstützend vor den Körper auf Kniehöhe aufstellen, die Hände stützen ebenfalls. Oberkörper gerade in einer Linie halten und die Übung auf beiden Seiten langsam durchführen. Alternativ kann auch eine Wasserflasche aus Hartplastik oder ein Nudelholz verwendet werden.
Tipp: An diese Übung lässt sich ein Ausrollen der Oberkörperseiten, von oberhalb der Hüfte bis unter den Achseln, anschließen.
Übung 4: Lendenbereich ausrollen
Um den Lendenbereich zu erreichen, eignet sich eine Wasserflasche aus weichem Plastik besser, da so die Wirbelsäule geschützt wird. Die Flasche wird knapp über dem Gürtelbereich quer unter dem Rücken positioniert. Die Beine sind hüftbreit aufgestellt und das Gesäß hebt sich während der Übung vom Boden ab. Die Arme können vor der Brust verschränkt werden. Langsam bis unter die Schulterblätter rollen und wieder zurück.
Übung 5: Schulterpartie ausrollen
Wasserflasche am unteren Ende der Schulterblätter positionieren und dieselbe Ausgangsposition wie bei Übung 4 einnehmen. Das Gesäß leicht vom Boden abheben. Auch bei dieser Übung ist eine Wasserflasche aus weichem Plastik vorzuziehen. Die Schulterblätter müssen auseinandergezogen werden, daher entweder die Arme vor der Brust verschränken oder lang nach vorn ausstrecken. Nun wird der Oberkörper um die Flasche herum gerollt, sodass sich der Brustkorb nach oben hebt und wieder senkt – auf diesem Weg wird die Wasserflasche im Schulterbereich hin- und herbewegt.
Tipp: Für eine zielgerichtetere Massage der Rückenstrecker-Muskulatur können zwei Tennisbälle in eine Socke nebeneinander gereiht werden. Der so entstandene Duo Ball wird rechts und links von der Wirbelsäule angelegt und den Rücken entlang gerollt. Die Aussparung zwischen den Bällen schützt die Wirbelsäule.
Über die Autorin: Carolyn Pliquet verfügt über mehrere Fitnesstrainer-Lizenzen, unter anderem ist sie ausgebildete BLACKROLL-Trainerin.