7. November 2020, 8:24 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Durch stundenlanges, nach vorne gebeugtes Sitzen am Rechner verspannen Trapezmuskel und Schulterblattheber. Die Folge: Schulterschmerzen – und häufig eine Fehlhaltung, die alles nur noch schlimmer macht. Dieser Teufelskreis lässt sich durch gezielte Bewegungen und eine bewusste Atmung durchbrechen, wie unsere Expertin für neurozentriertes Training zeigt.
Die Schulter gehört zu den komplexesten Gelenken des menschlichen Körpers und ist aufgrund ihrer speziellen Anatomie häufig betroffen von Schmerzen. Wichtig ist es zunächst, zwischen akuten Schmerzen nach Verletzung oder chronischen Schmerzen zu unterscheiden: Tut die Schulter nach einem Unfall weh und ist deutlich eingeschränkt in der Bewegung, müssen Sie einen Arzt aufsuchen, schließlich können Nerven- und Sehnenschädigungen, Knochenbrüche und Gelenkverschleiß die Schmerzen verursachen. Weitaus häufiger macht sich das Problem jedoch aufgrund von Muskelverspannungen bemerkbar, hervorgerufen beispielsweise durch langes Sitzen im Homeoffice – hier kommen Übungen gegen Schulterschmerzen infrage, wie wir gleich sehen werden.
Anatomischer Aufbau der Schulter
Die Schulter verbindet Arm und Rumpf. Schaut man sich ihre Bauweise der Schulter an, handelt es sich um drei Gelenke: Das Schulter(haupt)gelenk verbindet den Oberarmknochen mit dem Schulterblatt. Das Acromioclaviculargelenk, kurz AC-Gelenk, verbindet Schlüsselbein und Schulterblatt. Das Sternoklavikulargelenk verbindet Brust- und Schlüsselbein, also Rumpf und Schultergürtel. Stabilisiert werden die Gelenke durch unterschiedliche Muskeln, die zum Hauptgelenk ziehen und es umschließen. Die sogenannte Rotatorenmanschette stabilisiert das Schultergelenk und ermöglicht die Beweglichkeit. Bizeps, Brust-, Delta- und Trapezmuskel ermöglichen zusätzlichen Halt.
Die Bauweise der Schulter – beim Hauptgelenk handelt es sich um das beweglichste Kugelgelenk des menschlichen Körpers – ermöglicht dem Oberarm eine große Bewegungsfreiheit. Allerdings nutzen wir diese im Alltag kaum noch aus. Folge: Man hat das Gefühl, dass die Beweglichkeit immer geringer wird, fühlt sich bei Alltagsbewegungen nicht mehr frei.
Ein Teufelskreis, der chronische Verspannungen und Fehlhaltungen zur Folge haben und Betroffene im schlimmsten Fall außer Gefecht setzen kann. Schmerzgeplagt macht nichts Laune – weder Alltag noch Sport!
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Schulterschmerzen durch langes Sitzen und einseitiges Tragen
Oftmals schmerzen bei Schulterbeschwerden der verspannte Trapezmuskel und die Schulterblattheber. Betroffene tendieren dann dazu, die Schultern hochzuziehen; womit sie letztlich noch mehr Spannung aufbauen. Typisch ist diese Problematik als Folge von stundenlangem, nach vorne gebeugtem Sitzen am Rechner. Eine andere, häufige Ursache für Schmerzen in der Schulter – die insbesondere bei Rechtshändern beobachtet wird: monotones und einseitiges Benutzen der Maus oder des Telefons – sowie einseitiges Tragen einer Tasche.
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Unausgeglichene Atmung als weitere Ursache
Was bei Schulterschmerzen ebenfalls häufig mit hineinspielt, ist eine unausgeglichene Atmung. Dieser Zusammenhang wird klar, wenn man sich bewusst macht, dass die Schulter anatomisch mit dem Brust- und Schlüsselbein verbunden ist.
Bei jedem Atemzug dehnen sich Brustkorb und Rippenbögen aus und sorgen für eine gleichmäßige Anspannung und Entspannung der Ein- und Ausatemmuskulatur. Vor allem stressbedingt atmen wir oft nur in die Brust, sodass nicht alle Lungenabschnitte mit Luft versorgt werden und nicht genug Sauerstoff in unser Gehirn und Muskelgewebe gelangt. Um Schmerzen zu lindern, ist also auf langsames Atmen zu achten – wobei vor allem das Ausatmen besonders wichtig ist.
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Hier setzt neurozentriertes Training an
Eine bewusste Atmung bei ausreichender Bewegung und Bewegungspausen mit Atemübungen zwischendurch können gleichermaßen das Zwerchfell und den Beckenboden stärken und gegen Schmerzen helfen. Das Neuroathletiktraining – auch neurozentriertes Training genannt – nützt diesen Vorteil und betrachtet das Zusammenspiel der Körperfunktionen mit einer neurowissenschaftlichen Perspektive. Im Fokus stehen im Gegensatz zur biomechanischen Betrachtungsweise nicht Muskeln, Sehnen und Bänder, sondern das Gehirn. Das Gehirn steuert Abläufe im gesamten Körper und wirkt wie der Drahtzieher eines großen Netzwerkes. Mit diesem Ansatz sollen Schmerzen ganzheitlich und dauerhaft gelindert werden.
Die folgenden Übungen zeigen, wie man Schulterschmerzen langsam und kontinuierlich in den Griff bekommen kann.
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Übungen gegen Schulterschmerzen
Wichtiger Hinweis: Führen Sie die Übungen nur so langsam aus, dass es sich angenehm und sicher anfühlt. Achten Sie bei den Übungen auf eine gleichmäßige Atmung. Bewegen Sie sich niemals in den Schmerz hinein. Diese sind ein Fall für den Arzt.
Übung 1: Blockierte Einatmung
Diese Übung mobilisiert das Zwerchfell und ermöglicht anschließend eine optimierte Atmung inklusive der Aktivierung aller beteiligten Muskeln.
Ausführung: Atmen Sie mehrmals gleichmäßig durch die Nase ein und aus. Atmen Sie nun maximal aus und halten Sie Mund und Nase geschlossen. Versuchen Sie, mit zugehaltener Nase ein paar Einatemzüge durchzuführen, ohne, dass Sie wirklich Luft einziehen. Führen Sie diese blockierte Einatmung so lang und gleichmäßig wie möglich durch. Stellen Sie sich dabei vor, wie sich Brustkorb und Bauchraum weiten. Nehmen Sie wahr, wie sich das Zwerchfell zusammenzieht und Brustkorb und Bauchraum aktiviert und mobilisiert. Atmen Sie anschließend einige Male durch die Nase ein und aus, bis sich Ihre Atmung wieder normalisiert hat.
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Übung 2: Mobilisierung des Überschulterblattnervs (Nervus suprascapularis)
Anspannungssequenz
Beugen Sie ihren Kopf zur gegenüberliegenden Seite und senken die Schulter und das Schulterblatt Richtung Boden ab. Führen Sie das Schulterblatt nach hinten Richtung Wirbelsäule. Strecken Sie ihren Arm mit nach unten zeigender Handfläche aus. Beugen Sie den Ellenbogen, indem Sie den Daumen zur gegenüberliegenden Schulter führen.
Mobilisieren Sie den Nerv nun, indem Sie das Schulterblatt langsam nach oben und unten bewegen. Bei der Bewegung nach unten sollte eine leichte Dehnung zu spüren sein, die sich beim Anheben des Schulterblattes wieder löst.
Gehen Sie nicht in den Schmerz und führen Sie die Bewegung nur in dem Radius aus, der Ihnen angenehm ist.
Entspannungssequenz
Beugen Sie ihren Kopf zur Seite, Schulterblatt und Schulter anheben, Schulter leicht nach vorne führen. Strecken Sie den Arm aus und drehen ihn nach außen, sodass die Handfläche nach vorne zeigt. Heben Sie den Arm nun zur Seite ab und strecken Sie den Ellenbogen durch.
Mobilisieren Sie den Nerv nun, indem Sie das Schulterblatt langsam nach oben und unten bewegen. Bei dieser Varianten sollten sie keine Dehnung spüren. Die Bewegung sollte sich angenehm und sicher anfühlen.
Übung 3: Isolierte Schulterblattmobilisierung
Strecken Sie den Arm im aufrechten Stand nach vorne aus und machen Sie dabei eine leichte Faust. Führen Sie nun das Schulterblatt langsam nach vorne und nach hinten. Versuchen Sie langsam und gleichmäßig in den vollen Bewegungsumfang zu kommen.
Nun zur Mitte zurückkommen und die Bewegung nach oben und unten ausführen: Sie führen also das Schulterblatt nach oben zum Kopf und anschließend nach unten Richtung Boden. Achten Sie darauf, dass der Ellenbogen die ganze Zeit durchgestreckt ist. Die Bewegung soll das Schulterblatt mobilisieren, der Brustkorb bleibt also stabil. Viel Spaß mit diesen Übungen gegen Schulterschmerzen!
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Zur Person: Luise Walther ist spezialisiert auf neurozentriertes Training. Bei diesem Ansatz werden unterschiedliche Gehirnbereiche aktiv in das Training eingebaut.