27. September 2023, 16:19 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Der Marathon-Weltrekord von Tigist Assefa ist nicht nur historisch, er bedeutet auch einen extrem überraschenden Leistungszuwachs für die Äthiopierin, die mal 400- und 800-Meter-Läuferin war, 2018 auf die Langstrecke wechselte und erst 2022 ihren ersten Marathon lief. Ein Experte erklärt bei FITBOOK, was ihre Leistung bedeutet.
Die Kamera hielt bei der Live-Übertragung des Berlin-Marathons auf „Eurosport“ stur, fast ununterbrochen auf Eliud Kipchoge drauf. Man war doch sehr in Erwartung eines erneuten Weltrekords des Kenianers (der am Ende ausblieb). Das Wunder an diesem Tag ereignete sich da, wo es die Kameraregie nicht vermutet hatte: bei der Äthiopierin Tigist Assefa.
Übersicht
Sensationell – und extrem überraschend
Am 23. September lief die Äthiopierin Tigist Assefa einen neuen Frauen-Weltrekord ins Ziel und unterbot mit 2:11:53 Stunden die 2018 von Brigid Kosegei aus Kenia aufgestellte Marke von 2:14:04 Stunden um zwei Minuten und elf Sekunden. Auf diesem Niveau übertreibt man nicht, wenn man von „dazwischen liegenden Welten“ spricht. Eine historische Leistung, sensationell – und extrem überraschend. Denn Assefa ist noch ganz frisch im Marathon-Business.
Die ehemalige 400- und 800-Meter-Läuferin wechselte erst 2018 auf die Langstrecke (10 Kilometer) und lief im März 2022 in Riad in Saudi-Arabien ihren ersten Marathon – damals in 2:34:01 Stunden. Im September des selben Jahres in Berlin 2:15:37 Stunden – 18 Minuten schneller! Und nun also 2:11:53 Stunden. Wir haben es hier also mit einem schier unvorstellbaren Leistungszuwachs innerhalb von eineinhalb Jahren zu tun.
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Bisher galt Tigist Assefa als unbeschriebenes Blatt
Gründe für diesen unvorstellbaren Leistungszuwachs kann es viele geben. Nicht viel hingegen weiß man über Tigist Assefa selbst. So gibt es schon zu ihrem Alter unterschiedliche Angaben. Manche Quellen sagen, sie sei bereits 29 Jahre alt, ihr Manager, der Italiener Gianni Demadonna, der viele Langstrecken-Stars unter Vertrag hat, gibt 26 Jahre an.1 Trainiert wird Assefa von Gemedu Dedefo – einer äthiopischen Trainerlegende, die Stars wie Gebrselassie und Bekele unter den Fittichen hatte.
Wenn sie nicht in ihrer Laufgruppe in Iten, auf der kenianischen Hochebene auf etwa 2400 Metern Höhe oder in Italien trainiert, soll Assefa in Berlin leben. Also der Stadt, in der sie sich am 24. September 2023 ein Denkmal gesetzt hat.
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Assefa unterbot ihre Halbmarathon-Bestzeit und war nah an persönlicher 10-Kilometer-Bestzeit
2:11:53 Stunden – dass in dieser Zahl noch weit mehr spannende Fakten stecken als ein Weltrekord, weiß Athletiktrainer und Laufexperte Egidius Pranckus, der Assefas Zwischenzeiten analysiert hat. So habe die Äthiopierin in der ersten Hälfte ihres Weltrekord-Laufes auch ihre eigene Halbmarathon-Bestzeit unterboten, das Ganze in der zweiten Hälfte sogar noch mal wiederholt.
„Sie sah so aus, als könne sie noch schneller“
Zudem sei sie in einem Streckenabschnitt auch nah an ihrer persönlichen 10-Kilometer-Bestzeit gewesen. Auch etwas, das eigentlich nicht vorstellbar ist, während eines Marathons. „Das ist schon phänomenal“, sagt der Laufexperte. Er hatte sich an zwei Abschnitten an die Strecke gestellt, um Assefa und andere Top-Läuferinnen und -läufer genau zu beobachten. Anstrengung sei ihr nicht wirklich anzusehen gewesen: „Sie sah auch immer noch so aus, als könne sie noch schneller.“ Eine für ihn ungewohnter Anblick bei Rekorden sei das gewesen, sagt Pranckus. Eine weitere interessante Statistik: Ab Kilometer 40 des Rennens, also zwei Kilometer vor dem Ziel, war sie nur wenige Sekunden pro Kilometer langsamer als Kipchoge auf derselben Strecke (Pace 3:07 vs. 3:00 bei KM 40 bzw. 3:03 vs. 3:01 bei KM 42,195).
Dazu kommt, dass die Äthiopierin eigentlich keine klassische Erfolgsläuferin ist, zumindest bisher nicht war. Bei internationalen Meisterschaften ist sie bisher nicht wirklich aufgefallen, kam bei ihrer Olympiateilnahme 2021 nicht sehr weit auf der Mittelstrecken-Distanz 800 Meter. Überhaupt gebe es wenige Wettkampfergebnisse von ihr.
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Erklärungsversuche
Von außen ist es schwer und genaugenommen unmöglich, Gründe für den enormen Leistungszuwachs von Assefa zu nennen, die, wie erwähnt, 2022 in Riad ihr Marathon-Debüt gab mit einer Zeit von 2:34:01 Stunden. Und nun, 1,5 Jahre später, diese also um 22 Minuten unterbot. Der Experte würde dem Ergebnis dieser ersten Marathon-Teilnahme übrigens gar nicht „zu viel“ Aussagekraft beimessen. Erstens, weil sie in die Zeit nach Corona fiel, und zweitens, weil sie vielleicht einfach drauflosgelaufen sei. Nach dem Motto: Mal schauen, was passiert.
Und in diesem Jahr tat sie es auch erst zum zweiten Mal. Ist fehlende Praxis also ein Faktor des enormen Leistungszuwachses? Abgesehen von den hohen Trainingsumfängen und den (männlichen) Tempomachern, die Assefa am Sonntag bis kurz vors Ziel begleiteten, hält der Experte auch das für möglich. Und dann sind da natürlich noch die „Wunderschuhe“ von Adidas mit eingearbeiteter Carbonplatte, die laut Experten einen Zeitvorteil von vielen Sekunden bis mehreren Minuten bringen können. In der Berichterstattung über Assefa steht der Schuh für den Rekord fast mehr im Vordergrund als die Person.
Was Hobbyläufer von Assefa lernen können
Den Wechsel von der 10-Kilometer-Strecke auf die Marathondistanz bewertet der Experte übrigens auch nicht über: Das Training sei in beiden Fällen sehr umfangreich und mit hohen Belastungsintensitäten gespickt. Und vielleicht war Assefa, die lange Mittelstrecke trainiert hat, eigentlich schon immer besser auf der Langstrecke. Wie ein Diamant, der bisher nicht zum Vorschein kam.
Mühsam und auch unmöglich, Gründe zu nennen, ohne die Läuferin und ihr Trainingsumfeld zu kennen. Am Ende bleibt es wohl eine sensationelle Leistung, die man faktisch nicht erklären kann.
Ihr Umstieg auf die Marathondistanz hatte jedenfalls gute Auswirkungen – und das ist vielleicht auch eine gute Nachricht für Hobbyläufer, die unzufrieden sind mit ihrer Leistung, weil sie stagniert. Vielleicht wirkt ein Distanzwechsel!
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Quelle
- 1. Deutsche Welle. Tigist Assefa: Von der Mittelstrecke zum Marathon-Weltrekord (aufgerufen am 27.09.2023)