17. Juli 2019, 7:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Unser Redakteur Markus wollte schon immer mal einen Berg hochfahren. Als er jetzt in Südtirol Urlaub gemacht hat, musste er sich seinen Traum einfach erfüllen. Mehr als 500 Höhenmeter hatte sich unser Flachlandtiroler aus Berlin zum Ziel gesetzt. Am Ende kam aber alles anders.
Für die einen war es nur ein „junger“ Mann, der stabil stöhnte, stark schwitzte und fürchterliche Grimassen schnitt, für die anderen (lies: mich) war es die offensichtliche Erfüllung eines Kindheitstraums. Ich auf einem Fahrrad auf einer Passstraße in den Bergen.
Ich weiß auch nicht so genau, wie diese Fantasie entstanden ist. Okay, eine Ahnung habe ich eigentlich schon: In meiner Schulzeit haben mich meine Eltern praktisch jeden Sommer nach Südtirol mitgeschleppt. Und wenn man als Kind mitbekommt, wie die väterlichen Augen vor Ehrfurcht plötzlich zu leuchten beginnen, sobald sie einen schnaufenden Radfahrer in den Bergen erblicken, versteht man: Das hier muss etwas ganz Besonderes und Bewundernswertes darstellen. Dann lernte ich die Tour de France kennen und lieben und schwänzte für so manche Bergankunft sogar die Schule.
Ich weiß noch heute, wie ich vor dem Fernseher ausrastete, als Lance Armstrong 2001 auf der Etappe nach L’Alpe-d’Huez aus dem Sattel stieg, sich genüsslich-provokant zu Jan Ullrich umdrehte und ihn dann stehen ließ, als habe der US-Amerikaner kurz mal den E(PO)-Motor angeschaltet.
Es war die Zeit, als man noch an das Gute im Radsport glaubte. Es war die Zeit, als ich nach fast jeder Bergetappe in meinem US-Postal-Trikot zum Dörferblick in Berlin-Rudow raste, um dort einen der höchsten Berge der Hauptstadt zu erklimmen: stolze 85,6 Meter über dem Meeresspiegel. Oben angekommen zog ich mit dramatischem Gestus den Reißverschluss meines Fahrradtrikots zu und stürzte mich in die abenteuerliche 30-Sekunden-Abfahrt.
Ja, ich war verrückt nach Radsport. Und nein, aus unerklärlichen Gründen habe ich es bis vor wenigen Wochen nie über den Dörferblick hinausgeschafft. Doch in diesem Jahr mache ich vieles anders, allen voran trinke ich kein Alkohol, worüber ich eine kleine Kolumne ins Leben gerufen habe. Passend dazu wollte ich dieses Jahr endlich eine Bergstraße in den Alpen hochkraxeln.
Mit der Bergziege Richtung Sankt Andrä
Meine Wahl fiel, sehr kreativ, auf Südtirol. Als ich meinen Vermieter – Karl, Mitte 60, Schnauzer und kein Gramm Fett auf den Rippen – nach einem Leihfahrrad fragte, bot er mir gleich sein eigenes an. Ein schnittiges Mountainbike, das – in Berlin auf offener Straße angeschlossen – keine fünf Minuten denselben Besitzer hätte. Und er bot gleich noch an, mitzukommen und mir den schönsten Weg hinauf nach Sankt Andrä zu zeigen.
Startpunkt war Brixen und es sollte bei meiner ersten Bergetappe 500 Höhenmeter hinauf gehen. Klang machbar, andererseits hatte ich keine Ahnung, was ich am Berg wirklich draufhaben würde. In Berlin war ich kurz vor dem Urlaub sicherheitshalber nochmal am Dörferblick trainieren, wo ich fünf Mal hoch und runter fuhr und einem Picknick-Pärchen seinen romantischen Sundowner so richtig schön versaute.
Wir fuhren los. Die ersten Meter, die erste Enttäuschung. Karl wollte nicht die Passstraße nehmen, die direkt neben der Unterkunft begann, sondern vom Nachbardorf aus eine kleine Forststraße hochfahren. Hieß nicht nur keine Zuschauer bei meinem Husarenritt, sondern vor allem auch erstmal fünf Kilometer auf flacher Strecke rumgurken. Na toll, das konnte ich auch in Berlin. Endlich bogen wir links Richtung Berg ab und bevor ich mich versah, war ich schon am Keuchen. Karl riet mir, ein paar Gänge runterzuschalten, einen ruhigen Rhythmus zu finden und beim Durchtreten die Zehenspitzen mitkreisen zu lassen. Die Straße wurde immer steiler und während Karl, die Bergziege, in Plauderlaune war, wurde die Großschnauze aus Berlin auffallend einsilbig.
Denn Forststraße hieß auch unasphaltiert. Und diese doppelte Belastung aus Steigung und unebener Oberfläche, auf der man nur schwer einen Trittrhythmus finden konnte, setzte mir ordentlich zu. Je mehr wir an Höhe gewannen, desto enger und steiniger wurde der Weg. Ich musste an einigen Stellen echt die Zähne zusammenbeißen und als ich schon kurz davor war, das Handtuch zu werfen, tauchte aus dem Nichts eine richtige Straße und zwei Kurven später ein Ortsschild auf: Sankt Andrä.
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Nach dem Ziel ist vor der Herausforderung
Wir hatten es geschafft. Ich war zwar stolz und happy, aber nicht vollends befriedigt, schließlich hatte ich noch immer keinen einzigen Meter auf einer Passstraße zurückgelegt. Karl musste zurück ins Tal, stellte mir aber frei, mit seinem Rad noch ein paar Höhenmeter zu sammeln. „Ich will zur Skihütte“, tönte ich. „Das sind aber fast noch 1000 Höhenmeter“, entgegnete Karl. Egal, mein Entschluss war gefasst.
Ich bog in die Passstraße und ab diesem Moment lief es einfach. Mein Schweiß in Strömen, klar, aber auch meine Beine. Ich kann jedem Berganfänger wie mir nur raten: Macht einen Bogen um Schotterwege und fahrt euren ersten Berg auf einer gescheiten asphaltierten Straße hoch. Denn jetzt fand ich das, wonach ich die ersten 500 Höhenmeter vergeblich suchte: den perfekten Rhythmus. Wie in Trance strampelte ich mich Ortschaft um Ortschaft dem Ziel empor, unter mir das Tal und neben mir ein herrliches Bergpanorama. Jedes Mal, wenn ich von hinten ein Auto kommen hörte, gab ich nochmal alles und stieg aus dem Sattel. Letzteres war aber auch aus einem anderen Grund nötig: Mein Hintern tat höllisch weh. Jeden einzelnen Tritt in die Pedale spürte ich bis ins Mark. Ich hab mich zwischenzeitlich fast schon gefragt, ob ich möglicherweise auf der nackten Sattelstange fahren würde.
Darum war ich dann doch nicht traurig, als ich bei der Skihütte ankam. Obwohl, ein bisschen schon. Denn mehr als ein riesengroßer Parkplatz und ein hässlicher Hotelkomplex begrüßte mich hier nicht. Nach einer kurzen Pause entschied ich: Ich fahre jetzt noch bis zur Schatzerhütte hoch, wo ich in Ruhe einkehren und für ein paar weitere Stunden den 40 Grad im Tal entkommen konnte. Hieß aber auch, weitere 100 Höhenmeter in Angriff zu nehmen.
Die Pause tat mir nicht gut. Meine Oberschenkel schmerzten und mein Hintern signalisierte mir schon nach wenigen Minuten, dass er gar nichts von meiner Idee hielt, einfach weiterzufahren. Doch ich sollte für meine Anstrengungen belohnt werden, und wie. Kurz vor der Hütte kam mir eine junge Familie entgegen. Der Vater grüßte freundlich, schaute dann auf meinen Rahmen und sah, dass er keinen E-Antrieb sah. Da erblickte ich in seinen Augen etwas, das noch schöner war als die 20 Kilometer lange Abfahrt: ein ehrfurchtsvolles Leuchten. Papa wäre stolz auf mich.