9. Mai 2021, 8:01 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Die Geburt des eigenen Kindes zählt wohl zu den einschneidendsten Momenten im Leben. Bereits die Schwangerschaft ist eine körperliche und mentale Herausforderung. Danach kommen neben den Tücken des neuen Alltags mit einem Baby auch körperliche Befindlichkeiten dazu. Was Sie nach der Geburt beachten sollten, um entspannt und nachhaltig ins Training zu starten, erfahren Sie bei uns.
FITBOOK-Autorin Luise Walther, Expertin für Neurozentriertes Training, sprach mit Moni Homann, die sich als Personal Trainerin auf das Training nach der Schwangerschaft spezialisiert hat. Als Mutter eines fast 16-jährigen Sohnes ist ihr nichts fremd, was frischgebackene Mamas rund um das Thema „Wiedereinstieg in den Sport“ und den damit verbundenen Zielen bewegt. Gemeinsam geben sie Ihnen erfahrungsbasierte Tipps und Übungen für das Training nach der Schwangerschaft.
Übersicht
- Was können Mütter nach der Geburt sofort machen?
- Was sind Kontraindikationen für ein Training nach der Schwangerschaft?
- Worauf sollten Sie beim Training nach der Schwangerschaft achten?
- Was sind Wünsche und Herausforderungen des Trainings nach der Schwangerschaft?
- Wie sieht ein sinnvolles Training nach der Schwangerschaft aus?
- Sieben Fehler und wie Sie sie vermeiden
- Übungen für das Training nach der Schwangerschaft
Was können Mütter nach der Geburt sofort machen?
Für die Betreuung direkt nach der Geburt und im Wochenbett sind Ärzt*innen und Hebammen zuständig. Halten Sie sich an den Rat Ihrer Ansprechpartner und vertrauen Sie darauf. Kommen Sie in Ruhe in Ihrem neuen Lebensabschnitt an und geben Ihrem Körper die Zeit, zu heilen. Er hat Großartiges geleistet und es verdient, entsprechend behandelt zu werden. Überbordender Ehrgeiz und körperliche Traummaße sind in diesen ersten Wochen fehl am Platz. Die natürlichen Instinkte sorgen dafür, dass die Versorgung Ihres Nachwuchses Vorrang hat – ein stahlharter Bizeps hat keine Priorität.
Absolvieren Sie regelmäßig und sorgsam erste Rückbildungsübungen, die Ihnen Ihre Hebamme mit auf den Weg gegeben hat. Nutzen Sie die Spaziergänge mit Ihrem Baby für eine aktive Bewegungseinheit an der frischen Luft. Sie werden selbst merken, wenn Sie bereit für erste leichte Trainingseinheiten sind – die am besten unter fachgerechter Anleitung stattfinden.
Auch interessant: Der erste Stuhlgang eines Babys liefert Hinweise zur späteren Gesundheit
Was sind Kontraindikationen für ein Training nach der Schwangerschaft?
Schmerzen sind immer ein Warnsignal und sollten niemals ignoriert werden! Auch ein Druckgefühl nach unten, in den Beckenboden hinein, zeugt davon, dass dieser noch nicht wieder „an Ort und Stelle“ sitzt oder dass eine Belastung zu hoch war. Wenn Sie sich darüber einfach hinwegsetzen, kann es im schlimmsten Fall zu Organsenkungen kommen. Kaiserschnittnarben brauchen Zeit, bis sie verheilt sind und auch andere Geburtsverletzungen wie Dammrisse sollten engmaschig ärztlich betreut werden.
Diagnosen wie beispielsweise eine Rektusdiastase sind per se kein irreparables Problem, sollten jedoch fachgerecht behandelt und trainiert werden – am besten mit jemandem, der sich mit diesem Thema gut auskennt. Im Zweifel gilt es, in enger Absprache mit den betreuenden Ärzt*innen und Therapeut*innen ein individuell angepasstes Zeitfenster für den Wiedereinstieg in den Sport zu besprechen beziehungsweise den Weg dorthin zu ebnen.
Worauf sollten Sie beim Training nach der Schwangerschaft achten?
Sie sollten auf etwaige muskuläre oder strukturelle Einschränkungen Rücksicht nehmen und auch auf die Herausforderungen, die es im neuen Alltag nun zu stemmen gilt: Erschöpfung, Müdigkeit, kaum selbstbestimmte Zeitfenster. Wie war die Geburt und welche körperlichen Spuren hat sie hinterlassen? Aber auch der emotionale Zustand muss berücksichtigt werden. Das unterschätzen viele junge Mütter. Können Sie sich für 60 Minuten von Ihrem Baby lösen und die Zeit auch emotional nur für sich nutzen? Es ist wichtig zu überlegen, wie das Trainingsziel aussieht und ob es emotional aufgeladen ist.
Auch interessant: Wie sinnvoll ist Osteopathie bei Babys?
Was sind Wünsche und Herausforderungen des Trainings nach der Schwangerschaft?
Der häufigste Wunsch ist sicherlich das Thema Körperfettverlust. Kaum etwas verändert den Körper so sehr wie eine Schwangerschaft. Und diese Veränderung darf man akzeptieren. Wunsch Nummer eins ist also: Ich möchte wieder schlank, straff und trainiert aussehen. Oft stellen Mütter nach der ersten Zeit mit ihrem Kind zudem fest, dass ihr Körperzentrum nicht mehr stabil ist. Sie haben Rückenschmerzen und fühlen sich nicht mehr mit ihrem Core verbunden. Der Wunsch zurück zu Stabilität und Belastbarkeit steht mindestens genauso hoch im Kurs.
Die Herausforderungen sind: Erschöpfung, Schmerzen, ein Alltag, der nicht mehr selbstbestimmt ist. Die Konzentration auf den neuen Lebensmittelpunkt erlaubt es anfangs kaum mal, sich für drei Minuten zurückzuziehen und sich um sich selbst zu kümmern. Es scheint manchmal unmöglich, sich auch nur wenige Minuten für sportliche Betätigung vorzustellen, geschweige denn, den Plan auch umzusetzen.
Wichtig ist hier, sich realistische und kleine Ziele zu setzen, die auch umgesetzt werden können. Damit Sie Tag für Tag bemerken, dass auch Kleinigkeiten eine Veränderung bewirken. Und: Jeder Körper ist anders, jeder Körper steckt eine Schwangerschaft und Entbindung anders weg. Sich zu vergleichen bringt nichts. Konzentrieren Sie sich nur auf sich selbst.
Wie sieht ein sinnvolles Training nach der Schwangerschaft aus?
Ein sinnvoller Trainingsplan nach der Schwangerschaft enthält funktionelle Übungen, die Muskelschlingen und ganze Muskelketten miteinander verbinden. Das Workout besteht idealerweise aus Grundübungen mit dem eigenen Körpergewicht, für die nicht viel Platz oder Equipment benötigt wird und die man auch zu Hause gut in die Schlafpause des Babys einbauen kann. Bevor nicht grundsätzliche Bewegungen, wie zum Beispiel eine Kniebeuge mit dem eigenen Körpergewicht, einwandfrei und technisch korrekt absolviert werden können, hat zusätzliches Trainingsgewicht keine Priorität. Dafür ist später immer noch Zeit. Aber auch hier gilt: Jeder Körper ist anders! Es gibt durchaus Frauen, die erst durch die Hinzunahme von zusätzlicher Trainingslast wieder ihre Muskeln richtig spüren – nämlich dann, wenn der Körper dazu gezwungen wird, viele Fasern für eine korrekte und stabile Ausführung zu rekrutieren.
Der Fokus des Workouts sollte dabei möglichst auf den tiefliegenden Strukturen im Rumpf liegen. Ziel ist, diagonale Linien anzusprechen, um die Ansteuerung der Muskulatur – vor allem im Rumpf – zu verbessern und neuronale Verbindungen zu legen und aufzufrischen. Ganz wichtig ist dabei, die Intensität dem Leistungsvermögen anzupassen. Wenn Sie vor der Schwangerschaft keinen Sport gemacht haben, sollen Sie sich langsam an die Übungen herantasten. Für trainiertere und ambitioniertere Frauen ist es manchmal – wie oben beschrieben – sogar hilfreich, mit zusätzlichen Gewichten zu arbeiten. Das kann helfen, Bewegungen konzentrierter auszuführen.
Auch interessant: Ist Bauchmuskeltraining während der Schwangerschaft gefährlich?
Sieben Fehler und wie Sie sie vermeiden
1. Aus Angst oder Unsicherheit nicht anfangen
Stattdessen: Starten Sie mit kleinen Schritten und kurzen Einheiten
Der menschliche Körper ist ein Wunder. Er ist robust und belastbar. Den richtigen Grad aus Belastung und Entlastung zu finden, ist individuell. Fangen Sie also mit kleinen Schritten an und setzen Sie sich realistische Ziele. Jeden Tag zwei Minuten sind ein Anfang und konditionieren bei regelmäßigem Ausführen eine Verhaltensänderung. Sobald Sie spüren, wie gut Ihnen das Training tut, werden Sie die Zeiten automatisch je nach Alltagssituation anpassen.
2. Alles alleine schaffen wollen und keine Hilfe annehmen
Stattdessen: Fragen Sie konkret nach Unterstützung
Der Spagat zwischen Familie, Job und Freizeit ist eine Herausforderung für junge Familien. Es gibt viele Möglichkeiten, sich auch in Zeiten von Lockdown und Social Distancing Unterstützung zu holen. Das kann die Arbeit mit einer Trainerin oder einem Trainer sein, die Ihr Workout begleiten und damit den Einstieg erleichtern. Auch die Betreuung des Kindes in der Trainingszeit kann helfen. Das Baby im Kinderwagen ein paar Minuten an der frischen Luft spazieren zu fahren, können Sie nahestehenden Menschen zumuten. Sie werden überrascht sein, wie viel Hilfe man angeboten bekommt, wenn man konkret danach fragt.
3. Sich selber vernachlässigen
Stattdessen: Sie sind der Mittelpunkt – nur wenn es Ihnen gut geht, geht es Ihrem Kind gut
Viele junge Mütter fokussieren sich so sehr auf das Wohlergehen des Kindes, dass sie die eigenen Bedürfnisse dabei völlig vergessen oder weit zurückstellen. Erlauben Sie sich getreu dem Motto „Jetzt bin ich mal dran“, egoistisch zu sein und fordern Sie diese Zeit für sich unbedingt ein! Wenn Sie danach wieder energiegeladen sind, profitiert auch Ihr Umfeld. Sie sind nicht nur Mutter, sondern auch ein Mensch mit Bedürfnissen.
Auch interessant: Wie bekommt man eine Psychotherapie – und wie läuft sie ab?
4. Rückbildung nicht ernst nehmen
Stattdessen: Fokus auf Sie und Ihren Körper
Eine ordentliche Rückbildung ist wichtig. Schwangerschaft und Geburt sind enorme Belastungen für den Körper. Wie nach allen Phasen der Belastung sollte danach auch die Rehabilitation erfolgen. Der Körper leistet enorme Umbau, Abbau- und Aufbauprozesse und sollte dabei aktiv unterstützt werden, damit sich alle Strukturen wieder erholen. Die Zeit und Energie bewusst zu investieren, wird sich vor allem langfristig auszahlen. Sehen Sie das auch als kleine Auszeit vom stressigen Alltag an – es sind Momente, in denen Sie im Mittelpunkt stehen und es nur um Sie, Ihren Körper und Ihre Bedürfnisse geht.
5. Zu früh wieder laufen gehen
Stattdessen: Den Körper kräftigen und mobilisieren
Ich höre oft: „Ich will mal wieder Sport machen – ich gehe jetzt laufen“. Auf diese Belastung sind jedoch weder Sehnen, noch Bänder oder Muskeln, geschweige denn der Beckenboden vorbereitet. Das kann zu Problemen und Verletzungen führen. Besser ist also, den Körper auf das Laufen durch Kräftigung vorzubereiten. Dann läuft es sich anschließend auch leichter und sicherer.
6. Die Ernährung nicht wichtig nehmen
Stattdessen: Ausgewogene und individuelle Ernährung
Gerade optische Ziele werden nicht auf der Turnmatte erreicht, sondern in der Küche entschieden. Unabhängig von dem vermeintlich perfekten Körper, geht es jedoch vor allem um das Wohlfühlen und die Bereitstellung Ihrer Energiereserven, die von Ihrem neuen, anstrengenden Alltag und dem eventuellen Stillen benötigt werden.
7. Traumziel: Der perfekte Körper
Stattdessen: Mein Wohlfühl-Körper
Sie sind perfekt, so wie Sie sind! Machen Sie sich frei von Erwartungshaltungen von außen und innen. Hören Sie auf, sich mit anderen zu vergleichen und fragen Sie sich, was Sie für Ihren Körper und Ihr Leben erreichen wollen. Auch wenn manche Schwangerschaften Spuren hinterlassen: Seien Sie stolz auf sich und Ihren Körper! Das bedeutet nicht, dass Sie sich mit all diesen Spuren zufrieden geben oder niemals wieder ambitioniert trainieren sollten: Jeder Mensch ist unterschiedlich und hat unterschiedliche Ziele, Ansprüche, Bedürfnisse und Erwartungen. Gehen Sie also mit sich selber in den Dialog und reflektieren realistisch, was Sie für sich verändern möchten. Und fangen Sie dann mit kleinen Schritten an.
Auch interessant: Die Atemübung, die in einer Minute glücklicher macht
nach Geburt ihres zweiten Kindes Amira Pocher: »Worum es beim Beckenbodentraining wirklich geht
Sit-ups und Co. Ist Bauchmuskeltraining während der Schwangerschaft gefährlich?
Methode erklärt Hypnobirthing – wie funktioniert eine Geburt mit Hypnose?
Übungen für das Training nach der Schwangerschaft
Beckenkippung
Beide Beine sind fest im Boden, die Knie leicht „gesoftet“ oder auch im Kniestand positioniert, wie auf unserem Foto. Konzentrieren Sie sich auf die Anspannung Ihrer Gesäßmuskulatur und beobachten Sie seitlich im Spiegel stehend oder kniend, wie sich dadurch Ihre Hüfte streckt. Der Abstand zwischen Schambein und Rippenbögen wird kürzer, die Bauchmuskeln sind angespannt. Wichtig ist, dass Sie die Kraft für die Beckenkippung aus den Gesäßmuskeln initiieren und nicht im Rücken rund werden oder die Schultern nach vorne holen.
Auch interessant: „Aumio“ bei DHDL – wie funktioniert die Meditations-App für Kinder?
Hüfttbeugerdehnung
Begeben Sie sich in den Kanutenstand. Das aufgestellte Bein hat das Knie über der Ferse positioniert, beim abgestellten Bein stehen Knie und Hüfte in einer Linie übereinander. Nun spannen Sie die Gesäß- und Bauchmuskeln an, strecken dadurch die Hüfte und verkürzen so den Abstand zwischen Rippenbogen und Hüftknochen. Gehen Sie erst dann mit dem Oberkörper ein paar Zentimeter nach vorne, ohne ins Hohlkreuz zu fallen. Wenn Sie merken, dass es nicht mehr weit nach vorne geht, haben Sie alles richtig gemacht!
Motivational Talk: Du machst das großartig!
Ich sage das meinen Kundinnen immer wieder. Oft vergisst man, wo man losgelaufen ist und wo man heute schon steht. Sie können die Kraft dieser Motivation auch für sich alleine nutzen: Sagen Sie mehrfach am Tag laut zu sich selbst: „Du machst das großartig!“ Oder noch besser: „Ich mache das großartig!“
Schreiben Sie sich das auf einen Post-it-Zettel und kleben ihn an den Spiegel, über die Wickelkommode, an den Kühlschrank, an den Laptop – sodass Sie immer wieder daran erinnert und motiviert werden.
Auch interessant: Power Posing – 5 Körperhaltungen, die selbstbewusster machen
Zu den Personen: Luise Walther ist Personal Trainerin und spezialisiert auf neurozentriertes Training. Ein relativ neuer Trainingsansatz, der unterschiedliche Gehirnbereiche aktiv in das Training einbindet. Während im klassischen Fitness-Training immer mehr Wert auf maximale Dehnfähigkeit gesetzt wird, legt sie den Fokus mehr auf die Mobilisierung und Ansteuerung des gesamten Bewegungsumfangs.
Moni Homann ist Personal Trainerin und spezialisiert auf Training nach der Schwangerschaft. Unter dem von ihr entwickelten Programm „Schöne Mütter“ begleitet sie seit 12 Jahren frischgebackene Mamas beim Einstieg in das Training nach der Schwangerschaft. Homann lebt und arbeitet in Hamburg und bildet inzwischen auch Trainer*innen im Bereich des postpartalen Trainings aus.