24. Mai 2023, 19:14 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Im „Top Leaders“-Interview mit FITBOOK enthüllt Peloton-Country-Manager Martin Richter die Pläne des Unternehmens zur Neuausrichtung als Fitness-Lifestyle-Marke. Mit neuen App-Modellen, hochwertigem Content und einem Fokus auf Fitness abseits von Bike und Tread will Peloton seine Zielgruppe erweitern.
Peloton ist die größte interaktive Fitness-Plattform der Welt mit rund sieben Millionen Mitgliedern. Martin Richter ist seit dem Markteintritt in Deutschland, dem größten Fitnessmarkt Europas, im Jahr 2019 als Country Manager und Geschäftsführer dabei. In dieser Position erlebte er alle Höhen, wie die schnell wachsende Community, aber auch Tiefen mit. Dazu zählen negative Schlagzeilen zu zuletzt großen Verlusten an der Börse, Entlassungen von Mitarbeitern und Rückruf von dem Hardware-Flaggschiff Bike+. Jetzt will Peloton Fitness neu definieren und mehr als nur ein Bike-Unternehmen sein. Wie? Darüber hat FITBOOK mit Martin Richter gesprochen.
Übersicht
Peloton will mehr als nur Bike sein
FITBOOK: Es gibt größere Veränderungen bei Peloton. Können Sie uns Genaueres verraten?
Martin Richter: „Wir werden unsere Marke komplett neu aufstellen. Unser Heritage liegt im Bike-Bereich. Da kommen wir her, das können wir gut. Später kam dann das Tread (Laufband, A.d.R.) dazu. Was wir aber anhand unserer Nutzerdaten gesehen haben, ist, dass etwa 60 Prozent der Workouts gar nicht mehr so sehr auf das Cycling alleine abzielen. Vielmehr geht es um Strength, Yoga und vieles mehr. Dem wollen wir gerecht werden und uns als Fitness-Lifestyle-Marke etablieren. Wer an Fitness denkt, soll künftig an Peloton denken.“
Ist das nicht ein großes Risiko, sich von seinem Markenkern zu verabschieden, seiner erfolgreichen Nische – dem Paket aus Bike bzw. Tread und Kurs-Abo?
Richter: „Natürlich werden wir uns nicht komplett von unseren Geräten trennen. Dafür funktioniert diese Kombi zu gut. Man findet kein besseres System aus Bike, Kurse und Community als bei Peloton. Das wird weiterhin ein wichtiges Standbein sein. Aber Peloton wird eben auch darüber hinaus genutzt.“
Über die App zum Beispiel…
Richter: „Richtig. Die Peloton-App war ursprünglich kein Prio-Projekt von uns. Aber das Nutzungsverhalten unserer Community zeigt, dass die Nachfrage groß ist. In erster Linie können wir hier unsere Zielgruppe vergrößern. Die Eintrittshürde in die Peloton-Welt wird so deutlich heruntergesetzt. Wir wollen auch die erreichen, die zum Beispiel keinen Platz für Bike oder Tread haben, oder vielleicht andere Produkte nutzen.“
»Unser Ziel sind 100 Millionen Subscriptions
Welches Potenzial sehen Sie darin?
Richter: „Unser Ziel sind 100 Millionen Subscriptions. Das ist ein weiter Weg, aber wir sind überzeugt, dass wir das schaffen können mit den richtigen Maßnahmen.“
Wie viel werden Nutzer zahlen müssen, um die App unabhängig von Bike oder Tread nutzen zu können?
Richter: „Bisher hatten wir das App-Angebot und die All-Access-Membership mit Bike bzw. Tread. Zukünftig werden wir unterschiedliche App-Modelle anbieten: Es wird ein kostenloses Free-Angebot geben, welches 50 frei verfügbare Classes (Kurse, A.d.R.) umfasst. Die nächste Stufe ist „App One“ für 12,99 Euro im Monat und unlimitiertem Zugang zu Strength, Cardio, Yoga, Mediation und mehr. Und dann noch „App+“ für 24 Euro, welches die Nutzung von Geräte unterstütztem Cardio-Training umfasst. Das 39-Euro-Abomodell, das an unsere Hardware wie Bike oder Tread gebunden ist, wird es weiterhin geben und kann zum Beispiel in der Familie von mehreren Personen genutzt werden.“
Plant Peloton die Einführung weiterer Hardware oder rückt dies nun mit der Neuausrichtung aus dem Fokus?
Richter: „Es wird nie ganz aus dem Fokus rücken. Wir haben vor Kurzem erst ein neues Gerät gelauncht mit dem Rower, weil der Rudermarkt ein sehr spannender ist. Das Produkt gibt es derzeit allerdings nur in Nordamerika. Wann es so weit sein wird, dass es auch bei uns verfügbar ist, mit entsprechend umfangreichem Content, kann ich derzeit noch nicht sagen.“
Neuer Gym Plan in der Peloton-App für Fitnessstudio-Gänger
Die Besuchszahlen in den Fitnessstudios gehen nach der Pandemie nun wieder nach oben. Wie reagiert Peloton auf diesen Trend?
Richter: „Dafür haben wir im Rahmen der App ein interessantes neues Feature – für alle, die gerne ins Gym gehen: den Gym Plan. Die Idee dazu ist aus der Community heraus entstanden. Viele unserer Mitglieder besuchen nicht nur gerne Kurse, sondern gehen auch ins Gym, wissen aber nicht unbedingt, wie sie ihr Training sinnvoll gestalten sollen, um ihr Ziel zu erreichen. Oft wird da immer das Gleiche gemacht, was nicht sehr effektiv ist. Der Wunsch nach einer entsprechenden Unterstützung war da. Einen der deutschen Gym Pläne hat Peloton-Trainer Erik Jäger entwickelt. Er geht selbst ins Fitnessstudio, um sich fit zu halten, und weiß, wie ein gutes Training aussieht. Über das neue Feature gibt er Audio-basiert Anleitung fürs Krafttraining im Gym. Damit wollen wir zum einen die Zufriedenheit unter unseren bestehenden Mitgliedern erhöhen, die im besten Fall auf weitere Apps oder gar persönliche Trainer im Gym verzichten können, aber auch unsere Zielgruppe erweitern um Menschen, die gerne ins Gym gehen und auch zu Hause nicht auf Peloton-Geräte setzen.“
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Solche Fitness-Angebote über Apps gibt es ja nun wie Sand am Meer. Warum glauben Sie, dass sich Peloton auf diesem umkämpften Markt durchsetzen wird?
Richter: „Wir können hier unsere Kompetenzen, wo wir extrem stark sind, perfekt ausspielen: unseren Content, unsere Community und alles, was das Thema Musik angeht. Unsere lokalen und globalen Wettbewerber haben natürlich auch ihren Sweatspot gefunden. Aber unser Angebot kann diese Herausforderung annehmen. Es wird spannend!“
Wann werden diese Veränderungen in Deutschland erlebbar sein?
Richter: „Der Markt in Nordamerika wird zunächst vorangehen, in Deutschland wird es im Herbst richtig losgehen.“
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Mehr als 5000 Kurse in deutscher Sprache
Was genau macht den Content so einzigartig?
Richter: „Wir haben neben vielen internationalen Trainerinnen und Trainern allein elf deutschsprachige Trainerinnen und Trainer und mehr als 5000 deutsche Kurse – ein Alleinstellungsmerkmal und eine Benchmark, an der sich unsere Wettbewerber messen lassen müssen.“
Angesichts von geläufigen Begriffen wie Squats, Burpees oder Downward Facing Dog: Ist es für die deutsche Fitness-Community wirklich so entscheidend, dass es Kurse auf Deutsch gibt?
Richter: „Absolut. Das ist wie bei Hollywood-Blockbustern: Auch hier ist die lokale Content-Aufbereitung für den deutschsprachigen Raum extrem wichtig. Der Durschnittsdeutsche, wie wir ihn kennengelernt haben, präferiert deutsche Trainerinnen und Trainer bzw. Inhalte in Deutsch. Aus Fitness-Sicht ist das auch verständlich. Denn es gibt viele Übungen, die erklärungsbedürftig sind, wenn man sie richtig und verletzungsfrei ausführen will. Je länger die Menschen dabei sind und je vertrauter sie mit dem Fitness-Wording und den Übungen sind, umso mehr verschiebt sich der Mix der genutzten Inhalte auch Richtung englischsprachige Inhalte.“
Was kann Peloton in Sachen Musik, was andere nicht können?
Richter: „Wir sind keine Freunde von lizenzfreier Musik, nur damit im Hintergrund was läuft. Dazu ist diese Komponente viel zu wichtig. Wir haben daher Verträge mit allen großen Labels und Musikexperten in unserem Team, die den Trainerinnen und Trainern helfen, die passende Playlist für ihre Workouts abzustimmen. Wenn ich auf dem Bike sitze, wird der Takt auf die Trittfrequenz oder den Widerstand abgestimmt. Das zieht mich durchs Workout. Und es ist ein wichtiges Kriterium für die Nutzer. Wir haben in eigenen Untersuchungen herausgefunden, dass zwei von fünf Nutzern sich für eine andere App entscheiden würden, wenn dort die Musik-Komponente umgesetzt wäre. Deshalb investieren wir hier viel Zeit und Geld.“
Wie man Peloton-Instructor wird
Die Trainerinnen und Trainer sind ein wichtiger Pfeiler für die Community. Wie wird man eigentlich Peloton-Instructor?
Richter: „Dafür haben wir ein eigenes Talent-Team, die sich auf dem Markt nach geeigneten Trainerinnen und Trainern für Peloton umsehen. Wir suchen nach Charakteren, die für etwas stehen. Nehmen wir bspw. Erik Jäger. Er war als Hauptstadttrainer schon vor seiner Arbeit für Peloton eine echte Marke, die eine gewisse Zielgruppe bediente. Oder Charlotte Weidenbach, die einen Doktor in Medizin hat, was vor allem für das Cardio-Training interessant ist, weil da wirklich jemand vor der Kamera steht, der Ahnung hat, was im Körper passiert. Oder Assal Arian, ehemalige Polizistin – sie ist unser Gesicht für den Strength-Bereich. Sie alle sind starke Persönlichkeiten und Gesichter, die wir in einem Casting zu finden versuchen. Passt es, holen wir sie in der Regel nach London oder New York, wo unsere Studios zur Content-Produktion sind – das ist dann ein Vollzeit-Job, vor und hinter der Kamera.“
Erstellen die Trainer die Workouts selbst?
Richter: „Sie werden unterstützt von unserem Trainerteam und außerdem geschult, sodass sie vor der Kamera performen. Schließlich gibt es nichts Schlimmeres, als einen Trainer, der mich beim Workout runterzieht anstatt zu pushen und Spaß zu haben. Letzteres ist auch wichtiger als jedes Mal persönliche Bestleistungen zu erzielen. Wir wollen inklusiv sein und eine möglichst breite Masse an Menschen erreichen – vom ambitionierten Hobbysportler bis zu denjenigen, die die letzten 20 Jahre nur auf der Couch gelegen haben.“
Wie kann man eine Community stärken, die sich eigentlich nur virtuell zum Training trifft?
Richter: „Die Members kennen sich teilweise untereinander, weil sie zum Beispiel unter demselben Hashtag radeln oder vom virtuellen Leaderboard. Deshalb organisieren wir mehrmals im Jahr Member-Weekends. Das Erste vor Kurzem in den Studios in London – ein Wochenende lang treffen Members und Trainerinnen und Trainer aufeinander und verbringen Zeit miteinander. Es wurde super angenommen und die nächsten Events sind auch schon ausgebucht.“
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Über Entlassungen, Rückrufe, Aktien-Absturz
Zuletzt gab es immer wieder Negativ-Meldungen über Store-Schließungen, Entlassungen oder Absturz der Peloton-Interactive-Aktie. Wie gut steht Peloton wirtschaftlich da?
Richter: „Natürlich sind Store-Schließungen und Entlassungen immer bedauerlich, aber sie waren unternehmerisch notwendig. So konnten wir in den vergangenen zwölf Monaten Fortschritte machen und uns auf das Wachstum fokussieren. Die erwähnte Neupositionierung wird darauf einzahlen.“
Auch das gepriesene Flaggschiff, Bike-Hardware, schwächelt. In den USA gab es Rückrufe.
Richter: „Das war nicht gut kommuniziert von unserer Seite. Tatsächlich handelte es sich nicht um einen Produktrückruf. Jeder, der sich wegen des Mangels am Bike bei uns meldet, bekommt eine neue Sattelstütze zugeschickt. Bisher handelte es sich um rund 30 Fälle bei mehr als zwei Millionen verkauften Bikes im Markt Nordamerika. Aber wir nehmen das sehr ernst, weil wir auf keinen Fall unsere Member gefährden wollen.“
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Im Dezember 2021 gab es viel Wirbel, als „Mr. Big“ im „Sex and the City“-Spin-off „Just like that“ in der Serie nach einem Workout auf dem Peloton-Bike an einem Herzinfarkt starb. Hat Sie überrascht, wie so eine Szene einen Imageschaden auslösen kann?
Richter: „Ich würde nicht von einem Schaden sprechen. Wir haben ja recht schnell mit einem Spot reagiert und versucht, die Situation auf amüsante Art aufzulösen. Aber es ist schon interessant, welche Emotionen und Reaktionen eine fiktive Geschichte mit einem erfundenen Charakter auslösen kann.“