6. Juni 2023, 10:57 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Der Münchner Oliver Zeidler ist der beste Skuller Deutschlands und gehört auch international zur Weltspitze. Wie sagt er seinem Körper, dass er sieben Minuten lang über die Schmerzgrenze gehen muss?
Einer-Ruderer sind krasse Athleten. Das denke ich jedes Mal, wenn ich sehe, wie sie im Ziel in ihren schmalen Booten vollkommen erschöpft in sich zusammensacken und die Skulls aufs Wasser platschen lassen, als hätte jemand das Fundament eines Offshore-Windrads aus der Verankerung gerissen. Warum sorgt das für Gänsehaut? Wahrscheinlich, weil der Zusammenbruch im maximalen Kontrast steht zu dem tranceartigen Eindruck, den Ruderer im Rennen vermitteln: geradeaus starrend, nahezu bewegungsloser Oberkörper, rhythmisches Nachgreifen mit den Skulls. Eine Maschine mit Roboter-Armen, perfekte Hebel, die scheinbar mühelos gegen den Wasserwiderstand arbeiten. Die perfekte Kombination aus Kraft, Ausdauer und Konzentration. Einer dieser Mega-Athleten ist der Münchner Oliver Zeidler.
Übersicht
- Oliver Zeidlers irre Karriere: In 6 Jahren vom Schwimmer zum Maß aller Dinge im Einer
- Opa Olympiasieger, Vater Rudertrainer
- „Die Beine fangen schon nach einer Minute an, zu brennen“
- Sein „Trick“ ist die Trance
- Körpergröße bringt Vor- und Nachteil mit sich
- 585 Watt Leistung über 2000 Meter
- So trainiert Deutschlands bester Skuller
- So isst Deutschlands bester Skuller
Oliver Zeidlers irre Karriere: In 6 Jahren vom Schwimmer zum Maß aller Dinge im Einer
Oliver Zeidler ist Deutschlands bester Skuller (das sind Einer-Fahrer, die zwei Skulls, also Ruder, bedienen), amtierender Weltmeister auf dem Ergometer und mehrfacher Weltmeister im Männer-Einer auf dem Wasser. An Pfingsten kam eine Bronze-Medaille bei der EM in Slowenien dazu. Damit ist er qualifiziert für Olympia 2024 in Paris und Deutschlands große Hoffnung auf eine Olympiamedaille im Einer 2024 in Paris. FITBOOK hatte davor die Gelegenheit, dem groß gewachsenen 26-Jährigen, der drei Tage die Woche als Consultant arbeitet, sein mentales Geheimnis zu entlocken: Wie sagt er seinem Körper, dass er sieben Minuten lang – so lange dauert ein 2000-Meter-Rennen bei den Skullern) – über die Schmerzgrenze gehen muss?
Opa Olympiasieger, Vater Rudertrainer
Als Kind und Jugendlicher betrieb Zeidler Schwimmsport, wurde u. a. Deutscher Meister über 100 Meter im Freistil. Der richtige Durchbruch gelang ihm jedoch nicht. Das sollte beim Rudern ganz anders sein: Zeidler (sein Großvater Olympiasieger, der Vater Juniorenweltmeister und Rudertrainer), wechselte mit 20 die Sportart und ist, was seine Leistung im Boot angeht, innerhalb der letzten sechs Jahre zum Maß aller Dinge im deutschen Rudersport geworden. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs? Und wie sagt er seinem Körper, dass er immer noch und noch eine Schippe drauflegen muss, um ein Rennen zu gewinnen?
„Die Beine fangen schon nach einer Minute an, zu brennen“
Um in dieser Liga zu skullen, muss man in der Lage sein, alle körperlichen Ermüdungssignale wegzudrücken. Seinem Körper minutenlang sagen: Hör nicht auf, mach weiter, quäl‘ dich! Wie ruft man enorme Leistung ab und setzt dabei die anspruchsvolle Rudertechnik um, obwohl die Muskulatur längst übersäuert ist? Wie geht das, will ich wissen. Die Antwort ist eine Mischung aus Taktikplanung, Spaß und Trance. „Ein 2000-Meter-Ruderrennen dauert sieben Minuten und die Beine fangen schon nach einer Minute an, zu brennen. Sieben Minuten durchsprinten kann niemand auf der Welt, spätestens nach 1000 Metern wird es eng.“
Sein „Trick“ ist die Trance
Wie überwindet er diesen kritischen Moment? Er konzentriert sich auf seinen Rennplan. „Das ist das Wichtigste beim Rudern. Wann muss ich einen draufsetzen, wann begebe ich mich in Trance und greife nur noch nach?“ Der Trance-Zustand, in dem man viel Leistung erbringe, „obwohl es sau anstrengend ist“, befände er sich in seiner Wohlfühlzone. Dort hinzukommen, erfordere sehr viel Training – und Freude am Sport. Der Spaß bringe die Leichtigkeit mit sich und sei die treibende Kraft bei der Motivation für das tägliche Training und die Taktikplanung. „Mein Mindset hat mich an die Weltspitze gebracht“, sagt Zeidler.
Übrigens: Für FITBOOK hat Oliver Zeidler exklusive Workouts zusammengestellt. Einfach anklicken und kostenlos mit dem Ruder-Weltmeister trainieren:
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Körpergröße bringt Vor- und Nachteil mit sich
Ein anderes Geheimnis seines Erfolgs ist sein langer Oberkörper, der einen perfekten Hebel bildet mit den Armen. Seine körperlichen Voraussetzungen ermöglichen es ihm, mehr Kraft auf die Blätter zu bringen als andere, was wiederum das Boot schneller macht. Hinderlich sei seine Körpergröße (Zeidler misst 2,04 Meter) lediglich bei isolierten Übungen an gewöhnlichen Trainingsgeräten. Sie sind schlicht zu klein für ihn. Am Latzug ist das Gewicht schon unten, bevor er sich überhaupt ausgestreckt hat. Und der Beinstrecker endet in der Mitte des Schienbeins. „Das kann ich knicken“, sagt Zeidler. Das Problem löst er mit Freihantel-Training.
Nur mit sehr viel Disziplin und zeitlichem Aufwand lässt sich ein anderes Problem lösen, das seine stattliche Körpergröße mit sich bringt: den erschwerten Muskelaufbau. Ein größerer Bewegungsradius bei Übungen kostet den Körper mehr Energie. Entsprechend benötige er mehr Zeit als andere, um sich bei den Gewichten zu steigern. Zeidler ist also alles andere als ein Meister der Schnellkraft. Ein guter Gewichtheber wäre aus ihm nicht geworden. Aber ganz offensichtlich hat er es zu einem Weltklasse-Skuller gebracht.
585 Watt Leistung über 2000 Meter
Gewusst? Ruderer messen ihre Leistung übrigens anhand von Ergometer-Werten. Die Maßeinheit Watt sagt aus, wie viel Power-Output (man kann auch Leistung sagen) ein Ruderer pro Schlag im Schnitt über die Strecken von 2000 Metern umgerechnet auf die Zeit auf die Ruderblätter bringt. Zeidler benötigt für die Strecke 5:37 Minuten und zieht dabei im Schnitt 585 Watt. Zur Einordnung: Der zweitbeste Deutsche läge zwölf Sekunden, die Jungs aus dem Deutschland-Achter im Schnitt etwa 20 Sekunden hinter ihm.
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Bei so viel Superlativen bleibt für mich noch eine Frage offen: Warum fährt der stärkste Ruderer Deutschlands eigentlich nicht mit im legendären Deutschland-Achter? „In einem Mannschaftsboot muss das Team die Blätter genau gleichzeitig setzen. Weil ich so viel stärker bin am Ergometer als die anderen, wird es schwierig, hier für mich einen Benefit zu generieren.“ Wahrscheinlich muss man so selbstbewusst sein, um in dieser harten Sportart konkurrenzfähig zu sein.
So trainiert Deutschlands bester Skuller
TRAINING: Auf dem Plan stehen wöchentlich 24 Trainingsstunden, aufgeteilt in Tageseinheiten zwischen zwei und vier Stunden. Den größten Teil der Trainingseinheiten absolviert er auf dem Wasser, dem Rest am Ruder-Ergometer. Dazu kommen zwei Einheiten Krafttraining mit Freihanteln sowie Gymnastik und Stabilisierungstraining. Mehr zum Ausgleich denn zu Trainingszwecken geht Zeidler ein- bis zweimal pro Woche eine Stunde laufen (gerne mal auf nüchternen Magen, um den Fettstoffwechsel anzukurbeln) oder fährt Indoor-Rad. Phasen, in denen Zeidler wenig Sport macht, gibt es eigentlich nicht.
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So isst Deutschlands bester Skuller
ERNÄHRUNG: Zeidler folgt beim Essen seiner Intuition. Fleisch oder Fisch gibt es fast immer, einen Tag pro Woche verzichtet er auf tierische Lebensmittel. Beim Gemüse achtet er darauf, verschiedene Farben einzubauen. Er kocht gerne selbst, es gibt viel Obst und Gemüse. Vor dem Training führt Zeidler vermehrt Kohlenhydrate zu, anschließend gibt es ein Proteinshake mit Elektrolyten. Während des Trainings gibt es lediglich isotonische Getränke. Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ist auf seine Blutwerte abgestimmt, die er regelmäßig vom Sportarzt bestimmen lässt. Aktuell sind das Omega 3, Eisen und Vitamin D. Zeidler trinkt keinen Kaffee: „Ich brauche nichts, um morgens wach zu werden.“
Wer mehr über Oliver Zeidler und seine Vorbereitungen für Olympia 2024 in Paris erfahren möchte, folgt ihm einfach auf Instagram. Dort postet er regelmäßig.