15. September 2020, 6:07 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Wer beruflich viel am Laptop oder in Meetings sitzt, der dürfte sie kennen: Nackenschmerzen durch Verspannungen, die sich als Brennen und Ziehen zwischen den Schulterblättern bis zum Kopf hinauf bemerkbar machen. Tag für Tag wird das Sitzen unangenehmer, der Rücken verspannt sich und Bewegungen fallen zunehmend schwerer. Höchste Zeit, das Problem zu lösen – buchstäblich. Luise Walther, Expertin für neurozentriertes Personal Training, erklärt auf FITBOOK, wie jeder mit gezielten Übungen gegen Nackenverspannungen vorgehen kann.
Wer von Ihnen hatte schon mal Nackenverspannungen? Dieses fiese Brennen zwischen den Schulterblättern. Bei Bewegung wird das Ziehen im Nacken oft sogar noch stärker. Es fühlt sich an, als wären die Muskeln ganz fest und erlaubten keine gleichmäßige Kopfbewegung. Der Wunsch, die Nackenverspannungen zu lösen, steht jetzt ganz oben.
Was passiert eigentlich genau bei Verspannungen im Nacken?
Grundsätzlich ist die Halswirbelsäule sehr beweglich. Sie erlaubt im Vergleich zu Brust- und Lendenwirbelsäule deutlich mehr Bewegung. Besonders die Rotation und auch die Seitneigung sind zwischen den sieben Halswirbelkörpern ausgeprägter als in den anderen Wirbelsäulenabschnitten.
Wird die Muskulatur im Schulter-Nackenbereich dauerhaft angespannt, zum Beispiel durch langes Sitzen, erhöht sich die Grundspannung im Muskel. Diese erhöhte Spannung verringert im Muskel die eigene Durchblutung, mit der Folge einer verringerten Sauerstoffversorgung des Muskels. Unterschiedliche Rezeptoren senden dann über die Nerven an das Gehirn die Information, dass die Spannung zu hoch ist. Der Muskel „verhärtet“ und Stoffwechselprozesse laufen nicht mehr optimal ab.
Hält dieser Zustand länger an, kann die erhöhte Spannung zur Minderversorgung der kleinsten Nervengefäße führen, und das bis hin zu Entzündungsreaktionen. Auch das umliegende Bindegewebe wird folglich weniger mobilisiert, was die Spannungen weiter erhöhen kann.
Nackenverspannungen meist harmlos
Oftmals handelt es sich „nur“ um eine neuromuskuläre Fehlspannung, die vom Gehirn als Bedrohung bewertet wird und dann einen Schmerzreiz auslösen kann. Das ist harmlos, aber eben schmerzhaft – und birgt die Gefahr, in einen Kreislauf aus Schmerz, Schonhaltung, Verspannungen und Schmerzsteigerung zu verfallen. Es ist daher wichtig, Nackenverspannungen zu lösen, sprich die betroffenen Partien zu mobilisieren. Das gelingt durch gezielte, sanfte Bewegungen, die zu einer Verbesserung der Sauerstoffversorgung beitragen. Dadurch bewirkt man eine Normalisierung der Spannung und somit letztendlich Schmerzfreiheit.
Wann und wozu wir überhaupt den Kopf bewegen
Wir bewegen unseren Kopf eigentlich nur, um etwas zu sehen oder zu hören bzw. um unsere Körperposition anzupassen. Unsere Nackenmuskulatur und die Muskeln, die für die Kopfbewegungen zuständig sind, reagieren direkt auf Augenbewegungen und auf Informationen der Gleichgewichtsorgane.
Das kann man selber testen, in dem man seine Finger am Hinterkopf auf die Nackenmuskulatur legt und den Kopf ruhig hält und nur die Augen bewegt. Dann wird man dennoch die Bewegung der Nackenmuskulatur spüren.
Mögliche Ursachen für verspannte Muskeln – und Lösungen
Eine mögliche Ursache von Nackenverspannungen kann darin liegen, dass Informationen der Augen nicht gut verarbeitet werden. Vielleicht wegen eines zu kleinen Bildschirms, auf den man angestrengt starren muss. Vielleicht hat das lange Verharren in einer unbequemen Position während des Video-Calls die Spannung im Muskel erhöht und damit den Nerv irritiert. Das Gleiche droht beim Arbeiten in einer Sitzposition, welche nicht die ideale Ausrichtung für den Körper gewährleistet. Ebenso sind Nackenverspannungen möglicherweise die ungeahnte kompensatorische Spätfolge eines Unfalls.
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Vielleicht liegt es auch an den Rezeptoren: Sendet der periphere Nerv an das Rückenmark Informationen und kann diese umgekehrt auch empfangen? Oder vielleicht halten Sie häufiger die Luft an in stressigen Situationen. Die verspannte Ein- und Ausatemmuskulatur, die zur Nackenmuskulatur gehört, kann Ihre Nackenverspannungen noch verstärken.
Die folgenden Übungen kombinieren auf intelligente Art und Weise die Informationen aus den Augen, den Gleichgewichtsorganen, der Bewegung und Atmung.
1) Kombinationsübung Augen, Gleichgewicht, Bewegung und Atmung
Strecken Sie Ihren rechten Arm aus, schauen Sie auf Ihren rechten Daumen. Atmen Sie tief ein.
Mit der Ausatmung drehen Sie in gleicher Geschwindigkeit Ihren Arm, Kopf und Augen nach rechts. Die Augen bleiben auf dem Daumen.
Führen Sie ein paar Wiederholungen zur rechten Seite durch, in einer Geschwindigkeit, die für Sie angenehm ist und mit der Sie sich wohl fühlen. Wiederholen das Ganze anschließend mit der anderen Seite.
Anschließend können Sie die Bewegung mit der Beugung und Streckung des Kopfes nach oben und unten kombinieren.
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2) Zwerchfelldehnung im Sitzen
Setzen Sie sich aufrecht hin. Kippen Sie Ihr Schambein zum Bauchnabel, die Wirbelsäule bleibt dabei aufrecht.
Atmen Sie tief durch die Nase ein und strecken Sie Ihre Arme nach oben aus. Die Arme bleiben ausgestreckt.
Öffnen Sie Ihren Mund und atmen Sie durch geöffneten Mund maximal aus. Achten Sie auf eine lange Wirbelsäule.
Nehmen Sie nun die Arme wieder herunter, lassen Sie Ihr Becken locker und atmen Sie zwei bis drei Mal entspannt durch die Nase ein und wieder aus. Insgesamt können Sie 3 bis 5 Wiederholungen durchführen. Achten Sie danach darauf, wie frei sich Ihre Atmung anfühlt. Wie beweglich sind Ihr Brustkorb und Ihre Rippenbögen?
3) Augenliegestütze
Setzen oder stellen Sie sich aufrecht hin und strecken Sie ihren rechten oder linken Arm aus, welcher Ihnen angenehmer erscheint. Schauen Sie auf die Daumenspitze und führen Sie den Daumen zu Ihrer Nasenspitze. Die Augen bleiben auf der Daumenspitze.
Führen Sie die Übung in der Geschwindigkeit durch, die Ihnen angenehm ist. Beginnen Sie mit 3 bis 5 Wiederholungen. Aber Achtung: Wenn Ihnen bei der Übung schwindelig wird oder Sie Kopfschmerzen bekommen, lassen Sie diese Übung aus. In diesem Fall sollten Sie das mit einem Arzt besprechen.
4) Mobilisation der Hals- und Brustwirbelsäule
Für die folgende Übungskombination gilt: Bewegen Sie sich nur in der Geschwindigkeit und in dem Bewegungsumfang, der Ihnen angenehm ist.
Falten Sie Ihre Hände vor dem Brustkorb und drücken Sie beide Hände ineinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Drucks, wie intensiv Sie diese Übung ausführen.
Drehen Sie nun Ihren Kopf nach rechts und nach links und achten Sie darauf, wie es sich auf beiden Seiten anfühlt. Gehen Sie niemals in den Schmerz oder in das Unwohlsein und bleiben Sie bei einer Ihnen angenehmen Geschwindigkeit. Versuchen Sie, den Druck während der Drehung konstant zu halten.
Ziehen Sie nun beide Arme und Hände auseinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Zugs, wie intensiv Sie diese Übung ausführen.
Drehen Sie nun Ihren Kopf nach recht und nach links und achten Sie darauf, wie es sich auf beiden Seiten anfühlt. Versuchen Sie den Zug während der Drehung konstant zu halten.
Falten Sie jetzt Ihre Hände vor dem Brustkorb und drücken Sie beide Hände ineinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Drucks, wie intensiv Sie diese Übung ausführen. Diesmal bleibt der Kopf in der Mitte stabil und nur Ihre Arme und der Brustkorb drehen sich nach rechts und nach links.
Versuchen Sie den Druck während der Drehung konstant zu halten.
Ziehen Sie nun beide Arme und Hände auseinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Zugs, wie intensiv Sie diese Übung ausführen. Der Kopf bleibt wieder in der Mitte stabil und nur Ihre Arme und der Brustkorb drehen sich nach rechts und links.
Versuchen Sie den Zug während der Drehung konstant zu halten.
Falten Sie Ihre Hände vor dem Brustkorb und drücken Sie beide Hände ineinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Drucks, wie intensiv Sie diese Übung ausführen. Diesmal dreht der Kopf entgegengesetzt zu Ihren Armen und dem Brustkorb. Drehen Sie also den Kopf nach rechts und die Arme und den Brustkorb nach links. Anschließend drehen Sie den Kopf nach links und die Arme und den Brustkorb nach rechts.
Versuchen Sie den Druck während der Drehung konstant zu halten.
Ziehen Sie nun beide Arme und Hände auseinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Zugs, wie intensiv Sie diese Übung ausführen. Der Kopf dreht wieder entgegengesetzt zu Ihren Armen und dem Brustkorb. Drehen Sie also den Kopf nach rechts und die Arme und den Brustkorb nach links. Anschließend drehen Sie den Kopf nach links und die Arme und den Brustkorb nach rechts.
Versuchen Sie den Zug während der Drehung konstant zu halten.
Falten Sie Ihre Hände vor dem Brustkorb und drücken Sie beide Hände ineinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Drucks, wie intensiv Sie diese Übung ausführen. Diesmal dreht sich der Kopf mit Ihren Armen und dem Brustkorb. Drehen Sie also den Kopf nach rechts und die Arme und den Brustkorb nach rechts. Anschließend drehen Sie den Kopf nach links und die Arme und den Brustkorb nach links.
Versuchen Sie den Druck während der Drehung konstant zu halten.
Ziehen Sie nun beide Arme und Hände auseinander. Sie entscheiden durch die Stärke des Zugs, wie intensiv Sie diese Übung ausführen. Der Kopf dreht sich wieder mit Ihren Armen und dem Brustkorb. Drehen Sie also den Kopf nach rechts und die Arme und den Brustkorb nach rechts. Anschließend drehen Sie den Kopf nach links und die Arme und den Brustkorb nach links.
Versuchen Sie den Zug während der Drehung konstant zu halten.
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Führen Sie die Übungen öfter durch
Sie können entscheiden, welche dieser Kombinationen Ihnen am angenehmsten ist und konzentrieren Sie sich in den nächsten Wochen auf diese. Testen Sie zwischendurch aber auch immer die anderen Kombinationen, um zu überprüfen, wie Ihre Beweglichkeit sich entwickelt.
Sie werden merken, dass Ihre Verspannungen sich durch die Bewegungen schnell in Luft auflösen. Damit das auch dauerhaft so bleibt, sollten Sie die Übungen für die nächsten sechs bis acht Wochen täglich durchführen. So lernt ihr Gehirn, die Informationen aus Augen, Gleichgewicht, Bewegung und Atmung zu kombinieren. Das Ergebnis: Bessere Bewegung, weniger Verspannungen.
Zur Person: Luise Walther ist spezialisiert auf neurozentriertes Training, einen neuen Trainingsansatz, der unterschiedliche Gehirnbereiche aktiv in das Training einbindet. Während im klassischen Fitness-Training immer mehr Wert auf maximale Dehnfähigkeit gesetzt wird, legt sie den Fokus viel mehr auf die Mobilisierung und Ansteuerung des gesamten Bewegungsumfangs.