16. April 2021, 16:58 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Krafttraining mit Gewicht oder Bodyweight-Workouts – was ist besser bzw.: Kann ich mit beidem ähnliche Effekte erzielen? Diese Fragen beschäftigen Fitness-Sportler schon lange, nicht erst seit der Schließung der Gyms im Lockdown. Die eineiigen Fitness-Zwillinge Hugo und Ross Turner, auch bekannt als „Turner Twins“, haben ein dreimonatiges Experiment durchgezogen.
Die Fitnessstudios sind größtenteils noch geschlossen, und nicht alle haben im Home Gym schwere Trainingsgewichte zur Verfügung – Workouts mit dem eigenen Körpergewicht sind die Trainingsform der Stunde. Doch kann Bodyweight-Training das Krafttraining mit Gewicht ersetzen bzw. ähnliche Effekte erzielen? Diese Frage ist wissenschaftlich nicht einfach zu beantworten. Mit einem besonderen Ansatz haben die eineiigen Zwillinge Hugo und Ross Turner nun versucht, eine Antwort zu liefern. FITBOOK hat mit den „Turner Twins“ dazu gesprochen.
Übersicht
- Wer sind die „Turner Twins“?
- Wie genau lief der Vergleich zwischen Bodyweight- und Krafttraining mit Gewichten ab?
- Kraft- vs. Bodyweight-Training – die teilweise überraschenden Ergebnisse des Experiments
- Muskelaufbau beim Bodyweight-Training langsamer, aber stetig
- Fazit: Bodyweight- vs. Kraftraining mit Gewichten
Wer sind die „Turner Twins“?
Die „Turner Twins“, Hugo und Ross (32), sind eigentlich bekannt für andere sportliche Challenges: Sie sind professionelle Abenteurer aus Großbritannien und haben z. B. den Elbrus (mit 5642 Meter der höchste Berg Europas) in traditioneller Bergsteigerbekleidung von vor 100 Jahren bestiegen und sind über den Atlantik gerudert. Ihre großes Langzeit-Projekt ist es, alle „unzugänglichen Pole“ der Welt zu erreichen, um diese abgelegenen Orte zu dokumentieren.
Doch auch im Bereich Fitness-Experimente haben die Turner-Zwillinge bereits Erfahrung. So haben sie bereits fettreiche mit kohlenhydratreicher Ernährung verglichen, sowie vegane mit fleischlastiger. „Die Tatsache, dass unsere Körper aus physiologischer Sicht nahezu identisch sind, lassen ziemlich genaue Rückschlüsse zu“, erklärt Hugo Turner im Gespräch mit FITBOOK. Die Idee für das neueste Experiment kam den beiden im Zuge der Fitnessstudio-Schließungen aufgrund von Corona im vergangenen Jahr: Kann ich, wenn ich keine Gewichte zur Verfügung habe, mit Bodyweight-Training ähnliche Effekte erzielen wie mit klassischem Krafttraining?
Wie genau lief der Vergleich zwischen Bodyweight- und Krafttraining mit Gewichten ab?
Genauso penibel, wie sie ihre Abenteuer planen, sind die Zwillinge an die Ausarbeitung ihres zwölfwöchigen Experiments „Bodyweight vs. Krafttraining mit Gewichten“ gegangen. Ross, der früher zwei Jahre als Personal Trainer in London gearbeitet hat, gestaltete den Trainingsplan für das Experiment. Da er sich persönlich sehr für den Effekt von Bodyweight-Training interessierte, entschied er sich, diesen Part zu übernehmen. „Während Hugo die Kraftübung mit Gewicht ausgeführt hat, habe ich eine möglichst ähnliche Übung mit meinem Körpergewicht ausgeführt, die die gleichen Muskelgruppen beansprucht“, erklärt Ross. Die Anzahl der Wiederholungen und Sätze war identisch. „Hugo absolvierte zum Beispiel zehn Wiederholungen beim Kreuzheben, und ich habe zehn Wiederholungen Glute-Bridges gemacht“, erklärt Ross.
Natürlich sei es schwierig, für jede Kraftübung mit Gewicht ein Äquivalent aus dem Bodyweight-Bereich zu finden, erklärt Ross. Deshalb hätten sie sich auf die fokussiert, wo das möglich sei. Schwerpunkte bei Hugos Training waren Übungen wie Kreuzheben, Kniebeugen mit Langhantel und Bankdrücken mit der Kurzhantel. Ross konzentrierte sich dementsprechend auf dynamische Körpergewichtsübungen wie Glute Bridges, Ausfallschritte und Sprünge sowie Liegestütze.
Nach diesem Schema trainierten sie von Oktober bis Dezember 2020 an fünf Tagen pro Woche für zwölf Wochen. Außer dem Training gestalteten sie ihren Alltag identisch, insbesondere die Ernährung. Zu Beginn und am Ende des Programms stellten sich Ross und Hugo umfassenden Kraft- und Konditionstests, die sowohl Körpergewichts- und Gewichthebe-Übungen als auch einen VO2-max-Test umfassten.
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Kraft- vs. Bodyweight-Training – die teilweise überraschenden Ergebnisse des Experiments
Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse waren zum Teil überraschend. Hugo führte wie bereits erwähnt das Training mit Gewichten aus: „Krafttraining mit moderatem Gewicht und Wiederholungszahlen, kein Bodybuilding-Training mit hohem Gewicht und niedrigen Wiederholungszahlen.“ Trotzdem erzielte sein Training einen deutlichen Hypertrophie-Effekt. Hugo sah nach zwölf Wochen nicht nur stärker aus, sondern war mit 87 Kilogramm auch so schwer wie seit zehn Jahren nicht.
Außerdem konnte er bei den Krafttests überall persönliche Bestleistungen erzielen – einschließlich der Tests im Bereich Körpergewichtsübungen. Dieses Ergebnis habe ihn besonders überrascht, sagt Hugo im Gespräch mit FITBOOK. „Ich habe während der gesamten Dauer des Programms keine Liegestütze gemacht“, sagt er. „Beim Ausgangstest schaffte ich 18 Wiederholungen und nach den zwölf Wochen 44 Stück!“ Er konnte seine Leistung also um 150 Prozent steigern, obwohl er die Übungen gar nicht trainiert hatte. Diesen Effekt erzielte Hugo auch bei den Klimmzügen, wo er sich um 185 Prozent steigern konnte, obwohl er während des Programms keine Klimmzüge machte. „Training mit Gewicht hilft wirklich für Körperbewegungen ohne Gewicht“, so sein Résumé.
Nachteile von Krafttraining mit Gewicht gegenüber Bodyweight
Doch Hugos Gewinne im Bereich Kraft, wo er Ross bei den meisten Werten übertraf, haben auch eine Kehrseite. Nicht nur sein VO2-max-Wert litt (all die zusätzlichen Muskeln müssen schließlich auch herumgeschleppt werden), er hatte auch mit Schmerzen im unteren Rücken zu kämpfen. Außerdem hat sich seine Beweglichkeit deutlich verschlechtert.
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Muskelaufbau beim Bodyweight-Training langsamer, aber stetig
Auch Ross, der sich auf die Bodyweight-Übungen konzentrierte, bemerkte eine deutliche Veränderung. Zwar nahm er nicht so viel an Muskelmasse zu wie sein Zwillingsbruder. Doch auch bei ihm zeigte sich eine stetiger Zuwachs. Auch bei den gemessenen Kraftwerten konnte er sich durch reines Bodyweight-Training deutlich verbessern. Besonders deutlich: „Beim Ausgangstest schaffte ich 90 Kilogramm beim Kreuzheben. Nach den zwölf Wochen, in denen ich keinen einzigen Deadlift gemacht hatte, schaffte ich 120 Kilogramm!“, sagt Ross im Gespräch mit FITBOOK. „Das ist doch super zu wissen, dass jeder durch reines Körpergewichtstraining solche Fortschritte erzielen kann.“
Obwohl Hugo die höheren Werte erzielt haben mag, waren auch einige von Ross‘ Zuwächsen in Bezug auf Kraft erstaunlich. Offenbar führten ihn Liegestütze dazu, sein Maximalgewicht im Bankdrücken von 60 Kilogramm auf 100 Kilogramm zu steigern.
Mehr Flexibilität klarer Vorteil für Bodyweight-Training
Ross nahm durch das Training mit dem reinen Körpergewicht ein verändertes Körpergefühl wahr: „Ich fühlte mich schon während des Programms deutlich besser. Ich nahm mich schlanker wahr, meine Flexibilität verbesserte sich enorm und ich fühlte mich körperlich fit“, sagt er. Seine Körperhaltung habe sich verbessert und seine Schmerzen im unteren Rücken seien weniger geworden. Seine verbesserte Mobilität zeigte sich auch beim Stretching-Test:
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Fazit: Bodyweight- vs. Kraftraining mit Gewichten
„Natürlich provozierte das Training mit Gewichten eine bessere Antwort des Muskels auf das Training, weil mehr Last im Spiel ist“, erklärt Ross im Gespräch mit FITBOOK. Das Bodyweight-Training stellte sich allerdings als effizienter heraus. Man solle sich nicht von dem Gefühl täuschen lassen, man hätte nach einem Bodyweight-Training weniger oder schlechter trainiert als nach einer Einheit mit schweren Gewichten. Hugo verbesserte sich in Bezug auf die Kraftwerte zwar deutlicher, aber auch Ross gelang es, allein durch einfache Bewegungen des Körpergewichts ernsthafte Muskeln aufzubauen und alle seine persönlichen Bestleistungen zu übertreffen.
Einen möglichen Nachteil sieht Ross Turner beim Bodyweight-Training im Hinblick auf die Vermeidung des gefürchteten Trainings-Plateaus – also dem Punkt, an dem auf einmal kein Trainingsfortschritt mehr zu verzeichnen ist. Beim Bodyweight-Training ist etwas mehr Kreativität gefragt, um immer wieder neue Reize zu setzen und das Training so effektiv zu halten. Während beim klassischen Krafttraining Abwechslung durch unterschiedliche Hilfsmittel, Geräte und Gewichte eine schier endlose Übungs-Palette zulassen, muss man beim Training mit dem eigenen Körper anders für Variation sorgen. Das können Wiederholungs- und Satzzahlen sein, aber auch die Änderung des Bewegungsablaufs. „Man kann z. B. bei einem Liegestütz nur den halben Weg nach unten gehen oder nur in der unteren Hälfte arbeiten. So hat man immer Spielraum, um für Abwechslung zu sorgen und ein Trainings-Plateau zu vermeiden.“
Kann man also Krafttraining mit Gewichten mit Bodyweight-Training vergleichen? „Der Gang ins Fitnessstudio und das Heben von Gewichten wird definitiv zu einer stärkeren Reaktion des Körpers führen“, fasst Ross zusammen. „Aber ich denke, wir haben bewiesen, dass die bloße Verwendung des eigenen Körpers tatsächlich sehr effektiv zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit, Mobilität, Kraft und Leistungsfähigkeit beiträgt.“