6. September 2024, 4:19 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Die Paralympics sind noch bis zum 8. September voll im Gange. Wer die verschiedenen Wettbewerbe verfolgt, dem ist vielleicht aufgefallen, dass sich immer mal wieder Sportler mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen gegenüberstehen – innerhalb derselben Disziplin meistern. FITBOOK erklärt, wie es möglich ist, durch eine Klassifizierung dieselben Bedingungen für alle Teilnehmer der Paralympics zu schaffen.
Dass eine Einteilung der Athleten nach dem Grad ihrer Beeinträchtigung vorgenommen wird, hat Fitbook bereits berichtet. Die Klassifizierung bei den Paralympics setzt sich aus unterschiedlichen Voraussetzungen zusammen, die u. a. von der Sportart, die man ausüben will, abhängen können. Zudem basiert sie auf Richtlinien, die von den jeweiligen internationalen Sportverbänden festgelegt werden.
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Übersicht
- Wozu gibt es Klassifizierungen im Sport?
- Wie erfolgt eine Zuordnung der Athleten?
- Diese Schritte umfasst eine Klassifizierung
- Wie wird eine Klassifizierung durchgeführt?
- Klassifizierung der Startklassen im paralympischen Sport
- Beispiele für Klassifizierungssysteme
- Worauf zielt eine Klassifizierung ab?
- Quellen
Wozu gibt es Klassifizierungen im Sport?
Bei der Ausstattung eines fairen Paralympic-Wettkampfes ist die Klassifizierung nicht wegzudenken. Das System wurde vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) eingeführt und unterscheidet zunächst zehn Behinderungsarten. Je nachdem, welches Ausmaß die Beeinträchtigung hat, wird dann nach Startklassen in der jeweiligen Sportart differenziert.
Durch die Klassifizierung versucht man, für die Sportler ein Umfeld zu schaffen, in welchem alle dieselbe Möglichkeit haben, ihre Leistungen zu zeigen. Klassifizierungssysteme sind also dafür gedacht, Sportler mit ähnlichen Voraussetzungen oder Fähigkeiten in bestimmte Gruppen einzuordnen – in denen ihre Leistungen miteinander vergleichbar sind. Somit wird sichergestellt, dass nur die Fähigkeiten, Kraft, Ausdauer, Stärke und taktisches Geschick darüber entscheiden, wer gewinnt.
Auch Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts, Alters oder Gewichts können mithilfe des Klassifizierungssystems ausgeglichen werden. Allerdings müssen sie für die Ausübung der Sportart relevant sein.1
Attraktivität des Sportes muss erhalten bleiben
Gerade im Sport für Menschen mit Behinderung und besonders im aralympischen Leistungssport, nehmen Klassifizierungen eine wichtige Rolle ein. Hauptsächlich aus dem Grund, weil die Beeinträchtigungen der Athleten vielfältig und individuell sind.
Jedoch kann es auch dazu kommen, dass eine zu hohe Anzahl an Klassen die Attraktivität des Sports für die Zuschauer beeinträchtigt. So könnten die Wettkämpfe im schlimmsten Fall unübersichtlich werden oder aber an Spannung verlieren, wenn beispielsweise zu wenige Athleten gegeneinander antreten. Daher ist es besonders wichtig, eine gute Kombination zwischen der Differenzierung nach Klassen und der Übersichtlichkeit der Wettkämpfe zu bewerkstelligen. In diesem Zusammenhang werden Verbesserungsmöglichkeiten im Klassifizierungssystem weiterhin diskutiert.
Wie erfolgt eine Zuordnung der Athleten?
Unabhängig davon, dass die Sportler in übergeordnete paralympische Gruppen eingeteilt werden, muss überprüft werden, ob eine Primärbehinderung vorliegt. Diese kann dann in eine der bestehenden Beeinträchtigungsgruppen eingeordnet werden.
Tatsächlich ist es so, dass jede paralympische Sportart festlegen muss, welche Gruppen von Behinderungen sie berücksichtigt und welche Sportmöglichkeiten sie bietet. Die Anforderungen an die Person sind dann in den Klassifizierungsregeln jeder einzelnen Sportart festgelegt. So kann es sein, dass Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderung in einer Sportart gegeneinander antreten können. Darunter fällt beispielsweise Schwimmen oder Leichtathletik. Es gibt aber auch bestimmte Sportarten, an denen man nur mit spezifischen Beeinträchtigungen teilnehmen darf, wie Boccia oder Goalball.
Allerdings deckt das Vorliegen einer Beeinträchtigung nicht alle Kriterien für die Zulassung zu einer paralympischen Sportart ab. Bevor die Sportler teilnehmen können, müssen sie sich einer umfangreichen Klassifizierung unterziehen. Diese erfolgt durch ein spezielles Klassifizierungsgremium, welches aus zertifizierten Fachleuten besteht, die von den jeweiligen Sportverbänden autorisiert sind.2
Auch interessant: Außergewöhnliche Sportarten und Regeln bei den Paralympics
Diese Schritte umfasst eine Klassifizierung
Medizinische Unterlagen
Die Einreichung medizinischer Unterlagen dient der Überprüfung der Sportler, die um für die Teilnahme qualifiziert zu werden, bestimmte Beeinträchtigungen aufweisen müssen.
Untersuchung der Beeinträchtigungen
Menschen, die an den Paralympics teilnehmen wollen, müssen zusätzlich ihre Beeinträchtigungen und individuellen Bewegungsmöglichkeiten untersuchen lassen. Damit ist gemeint, dass man eine technische und physische Bewertung der Bewegungseinschränkungen durchführt.
Einordnung in eine spezifische Wettkampfklasse
Dann werden die Sportler einer Klasse zugewiesen, die für die Ausübung des Sports erforderlich ist.
Beobachtung während des Wettkampfes
Die Sportler werden auch während der Teilnahme am Wettkampf beobachtet und überprüft, um sicherzustellen, dass eine korrekte Klassifizierung erfolgt ist.
Es ist wichtig, zu erwähnen, dass die jeweiligen Einordnungen nur für eine spezifische Sportart gelten. Zudem kann es ebenfalls vorkommen, dass Sportler im Verlauf ihrer Karriere mehrfach klassifiziert werden müssen: Wenn sich zum Beispiel das Ausmaß oder die Art der Einschränkung ändern sollte. In diesem Fall ist man verpflichtet, den geänderten medizinischen Zustand zu melden und eine Neubewertung anzufordern.
Gründe für die Nichtzulassung
Auch wenn ein Sportler nicht für die Teilnahme an den Wettkämpfen zugelassen wird, heißt das nicht gleich, dass man die Beeinträchtigung nicht anerkennt. Stattdessen kann es sein, dass der Schweregrad der Behinderung keinen Einfluss auf die Fähigkeiten – und somit auch nicht auf die aktive Ausübung der Sportart hat.
Wie wird eine Klassifizierung durchgeführt?
Mithilfe von speziell ausgebildeten Klassifizierern, die Kenntnisse in der Medizin oder jeweiligen Sportart besitzen, kann man eine Klassifizierung durchführen. So gibt es beispielsweise für die Klassifizierung von Menschen mit Sehbehinderungen Experten aus den Bereichen Augenheilkunde und Augenoptik. Die Bewertung von Sportlern mit intellektuellen Beeinträchtigungen hingegen erfolgt durch Psychologen und Experten, die auf die jeweilige Sportart spezialisiert sind.3
Recht auf Einspruch
Sportler haben die Möglichkeit, die Entscheidungen der Gremien hinsichtlich ihrer Klassifizierung anzufechten. Dafür gibt es einen sogenannten „IPC-Klassifizierungscode“, der für die Regelung und die Abläufe von Einspruchsverfahren zuständig ist. Unter anderem sind diese Vorschriften für alle internationalen Sportverbände bindend.
Klassifizierung der Startklassen im paralympischen Sport
Bei einigen Sportarten gibt es verschiedene Startklassen, in denen die Sportler mit ähnlichen Beeinträchtigungen gegeneinander antreten können. Dabei bezeichnen bestimmte Buchstaben jeweils die spezifische Art der Beeinträchtigung. Oder aber sie stellen mit dem Anfangsbuchstaben den englischen Begriff der Sportart dar. Allgemein gilt: Je niedriger die nachfolgende Zahl, umso höher ist der Grad der Beeinträchtigung der Person.
Liegt bei dem Sportler eine Beeinträchtigung der Muskelkraft vor, wird die Klasseneinteilung nach dem Wirbelsegment vorgenommen, bei dem die Lähmung vorhanden ist. Abhängig von den spezifischen Ansprüchen, die bei einer Sportart vorliegen, gibt es eine Unterteilung in vier bis maximal acht Klassen. Folgende Bezeichnungen werden genutzt:
Einschränkung der Muskelkraft
- C5 bis C8: Umfassen Lähmungen der Halswirbelsäule, wobei auch die Hände und Arme der Person betroffen sein können (wird auch Tetraplegie genannt).
- TH1 bis TH12: Bezeichnen Lähmungen der Brustwirbelsäule mit einer normalen Armfunktion, aber mit unterschiedlicher Stabilität des Rumpfes.
- L1 bis S2: Mit diesen Buchstaben werden Lähmungen im Lendenbereich klassifiziert. Die Menschen können zwar Ausfälle in den Beinen haben, jedoch eine gute Rumpfstabilität vorweisen.
Einschränkung der Sehfähigkeit
Es gibt verschiedene Faktoren, die die Sehfähigkeit eines Menschen einschränken können. Beispielsweise kann eine Beeinträchtigung des Sehnervs, der Augenstruktur oder des visuellen Cortex im Gehirn vorliegen. Demzufolge gibt es unterschiedliche Startklassen:
- B1: Bezeichnet Menschen, die vollständig blind sind und keine Lichtwahrnehmung in beiden Augen haben.
- B2: Menschen mit dieser Bezeichnung haben eine etwas bessere Sehschärfe als B1, allerdings ist ihr Sichtfeld stark eingeschränkt
- B3: Bei dieser Klassifizierung handelt es sich um Sportler, die nicht vollständig blind sind, aber immer noch eine erhebliche Sehbehinderung und ein eingeschränktes Gesichtsfeld haben.
Die Zuordnung der Sportler wird anhand der Sehschärfe des besseren Auges bei optimaler Korrektur vorgenommen.
Beispiele für Klassifizierungssysteme
Goalball
Schaut man sich in diesem Zusammenhang die Sportart Goalball an, steht das „B“ für „blind“. Hierbei handelt es sich um einen Mannschaftssport für sehbehinderte Menschen. Um faire Chancen für alle zu ermöglichen, müssen die Teilnehmer in den Wettkämpfen lichtundurchlässige Brillen und Okklusionspflaster tragen.
Rollstuhlbasketball
Im Rollstuhlbasketball gibt es ein Punktesystem, das durch die„International Wheelchair Basketball Federation“ (IWBF) festgelegt wird. Mithilfe des Systems ist es möglich, die Sportler anhand ihrer körperlichen Funktionen auf einer Skala von 1,0 bis 4,5 Punkten einzustufen – basierend darauf, wie sie in der Lage sind, Basketball zu spielen. Jedoch kann es auch vorkommen, dass Spieler nicht genau in eine der festgelegten Klassen passen. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass das Regelwerk Anpassungen von einem halben Punkt vornehmen kann. Dabei können dann Zwischenwerte wie 1,5 oder 2,5 entstehen. Ebenfalls wichtig: Die Summe der Punkte der fünf Spieler auf dem Spielfeld darf nicht die Summe von 14 überschreiten. Die Klassifizierung selbst erfolgt durch die Beurteilung der Beweglichkeit des Rumpfes sowie der Sitzstabilität während des Spiels – ohne medizinische Diagnose.
Para-Leichtathletik
Für die Organisation der wichtigsten internationalen Wettkämpfe (Paralympische Spiele sowie Europa- und Weltmeisterschaften) im Bereich der Leichtathletik ist das „International Paralympische Commitee“ (kurz IPC) zuständig. Sie bietet Disziplinen für alle Behindertenklassen an.
So erfolgt die Einteilung in der Leichtathletik in die verschiedenen Klassen folgendermaßen:
- Das „T“ (Track) bezeichnet die Lauf- und Sprungdisziplinen.
- Das „F“ (Field) steht für die technischen Disziplinen.
Der Grad der Beeinträchtigung ist umso höher, je niedriger die Klassennummer ist. Genauso verhält es sich umgekehrt: Je geringer der Grad der Beeinträchtigungen ist, desto höher ist die Klassennummer. Insgesamt gibt es sechs Kategorien, die im Bereich Para-Leichtathletik zusammengefasst werden.
- T/F11, 12, 13: Umfasst unterschiedliche Grade der Sehbehinderung.
- T/F20: Sportler, die intellektuelle Beeinträchtigungen haben, die den entsprechenden internationalen Klassifizierungskriterien zugeordnet werden können.
- T32-38, F31-38: Bezeichnen unterschiedliche Schweregrade frühkindlicher Hirnschädigung (auch Zerebralparese genannt).
- F40-41: Umfasst kleinwüchsige Athleten
- T/F42-46: Klassifizieren verschiedene Schweregrade von Amputationen und andere körperliche Beeinträchtigungen.
- T51-54, F51-57: Bezeichnen unterschiedliche Schweregrade von Rückenmarksverletzungen, die beim Sportler vorliegen.
Para-Schwimmen
Bei den Paralympischen Spielen gehört Schwimmen zu der einzigen Sportart, die alle Arten der Behinderung eines Menschen miteinander vergleicht. Dabei kann dies auch über unterschiedliche Klassen hinweg erfolgen. In diesem Fall vergleich man funktionelle Auswirkungen von Hirnschäden, Amputationen, Rückenmarksverletzungen und andere Behinderungen wie z. B. Einschränkungen an Gelenken miteinander und setzt sie zueinander in Beziehung. Bei dieser Sportart beginnen alle Klassifizierungen mit dem Buchstaben „S“.
- S1-S10: Bezeichnet Athleten mit unterschiedlichen körperlichen Einschränkungen.
- S11-S13: Umfasst die Gruppe von Schwimmern, die eine Sehbehinderung (nach den entsprechenden Sehklassen B1, B2 oder B3) haben.
- S14: Klassifiziert Schwimmer, die eine intellektuelle Beeinträchtigung haben.
Letzteres umfasst Schwimmer, die unterschiedliche Komplikationen aufweisen, die sich allgemein auf das Ausüben der Sportart auswirken können. Dazu gehören Probleme mit dem Gedächtnis, der Mustererkennung, der Reihenfolge oder eine langsame Reaktionszeit.4
Der Buchstabe „S“ fasst zudem den jeweiligen Schwimmstil zusammen. So steht er für Freistil-, Schmetterlings- oder Rückenschwimmen. Zusätzlich ist innerhalb der Arten eine Unterteilung in zehn Klassen für körperliche Behinderungen, eine Klasse für geistige Behinderung und drei Klassen für Sehbehinderungen möglich.
Hingegen steht die Bezeichnung „SB“ für Brustschwimmen. Hier wird wiederum eine Unterteilung in neun Klassen für körperliche Behinderungen vorgenommen, wobei sich die Anzahl der restlichen Klassen von der vorherigen Einteilung nicht unterscheidet.
Die Abkürzung „SM“ steht für Lagenschwimmen und beinhaltet dieselbe Aufteilung in Klasse wie die Bezeichnung „S“. Auch hier gilt wieder: Je niedriger die Zahl der Starterklasse ist, desto höher ist der Grad der Beeinträchtigung, die beim Sportler vorliegt.
Wie bewertet man die funktionellen Fähigkeiten beim Schwimmen?
Da man in die unterschiedlichen Klassen zugeordnet werden muss, erfolgt bei der Klassifizierung eine numerische Bewertung der körperlichen Fähigkeiten. Diese setzen sich aus drei Überprüfungen zusammen: dem Banktest, dem Wassertest und der Beobachtung während des Wettkampfes. Es ist für alle Schwimmer Pflicht, an den drei Tests teilzunehmen, damit die Bestimmung ihrer Startklasse möglich ist.
Je nachdem, welche Art der Behinderung vorliegt, kann man auf unterschiedliche Startmöglichkeiten zugreifen. So können Schwimmer, je nachdem, welche Einschränkung bei ihnen vorliegt, vom Beckenrand, mit einem Startsprung oder direkt aus dem Wasser starten, damit faire Bedingungen herrschen.5
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Worauf zielt eine Klassifizierung ab?
Eine Klassifizierung beim paralympischen Sport gewährleistet, dass Menschen mit vergleichbaren Beeinträchtigungen in denselben Wettkämpfen gegeneinander antreten können. Im Fokus steht dabei, wie stark die Einschränkung die sportliche Leistung in der Disziplin beeinflussen kann, die man ausüben möchte. Daher kann es auch vorkommen, dass Sportler gegeneinander antreten, die Beeinträchtigungen vorweisen, die sich äußerlich voneinander unterscheiden. Das kann im ersten Moment verwirrend wirken, hat aber seinen Grund. Denn: Es ist nicht die Art der Behinderung, die entscheidend ist, sondern die individuellen Fähigkeiten des Menschen. Hierbei ist es wichtig, dass ähnliche Funktionen hinsichtlich der Koordination, des Gleichgewichts und der Bewegung vorliegen. Diese müssen dann in ihrer Relevanz für den jeweiligen Sport berücksichtigt werden.6