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Christian Schmalstieg

MS-Betroffener im Interview: »Ich kann trotz meiner Erkrankung Leistung im Fitnessstudio bringen

Auch mit MS ist Training möglich
Christian Schmalstieg erhielt 2017 seine MS-Diagnose – die Auseinandersetzung mit seiner Erkrankung führte ihn letztendlich zu seiner neuen Fitness-Leidenschaft, dem Kraftsport. Foto: Dennis Wolff, Social Hope Team UG

5. Februar 2024, 16:09 Uhr | Lesezeit: 16 Minuten

Motorische Probleme, extreme Erschöpfung – dies sind nur einige der chronischen Beschwerden, mit denen Christian Schmalstieg leben muss. Der Grund: Der 38-Jährige hat Multiple Sklerose. Doch obwohl die Diagnose sein Leben auf den Kopf gestellt und ihm viele einschränkende Beschwerden beschert hat, kommt Aufgeben für ihn nicht infrage. Im Gegenteil: Christian Schmalstieg hat den Sport für sich entdeckt und ein ganz neues Lebensgefühl gewonnen. Wie seine Reise mit MS und in die Fitnesswelt aussah, hat er im FITBOOK-Interview mit Medizin-Redakteurin Melanie Hoffmann verraten.

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„Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern“, so wird Multiple Sklerose auch genannt. Die Autoimmunerkrankung sorgt für Entzündungen des Nervensystems, was zu unzähligen verschiedenen Symptomen führen kann. Manche Betroffene leben viele Jahre nahezu beschwerdefrei, während andere recht bald nach der Diagnose Schübe erleben, die zum Teil schwere chronische Beschwerden zurücklassen. So wie im Fall von Christian Schmalstieg. Bei ihm ist die Krankheit so ausgeprägt, dass er nicht mehr in der Lage ist, zu arbeiten. Gleichzeitig hat er sich aber so weit zurückgekämpft, dass er mittlerweile regelmäßig ins Fitnessstudio gehen und trotz seiner MS ein kraftvolles Training absolvieren kann. Wir sprachen mit dem 38-Jährigen darüber, wie er das geschafft hat und warum er sich auf seinem Instagram-Account „MS-Fitnessmodel“ nennt.

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Eine schwere Depression führte zur Zufallsdiagnose MS

FITBOOK: Wann haben Sie die MS-Diagnose erhalten?
Christian Schmalstieg: „Die offizielle Diagnose habe ich im Januar 2017 erhalten. Tatsächlich war es aber ein Zufallsbefund. Ich habe vorher jahrelang an Depressionen gelitten, die nicht besser geworden sind, und war quasi austherapiert. Weder Therapien noch Medikamente haben geholfen. Deshalb hat man beschlossen, ein MRT zu machen, um organische Schäden auszuschließen.“

Die MRT-Untersuchung brachte Ihre Ärzte dann auf die Spur, dass es Multiple Sklerose ist?
„Das MRT hat ergeben, dass mein Gehirn wie Konfetti aussah. Der Radiologe vermutete entweder Gehirntumore oder eine entzündliche Erkrankung. In der Neurologie im Krankenhaus, in die ich überwiesen wurde, haben die Untersuchungen und der Ausschluss anderer Erkrankungen am Ende zu der MS-Diagnose geführt.“

Können Sie uns etwas über die Symptome erzählen, mit denen die Erkrankung bei Ihnen begonnen hat?
„Tatsächlich ist eine Depression eine der häufigsten Begleiterkrankungen von Multiple Sklerose, dementsprechend gab es da bei mir wohl auch den Zusammenhang. Meinen ersten Schub werde ich wahrscheinlich schon im Jahr 2012 gehabt haben, also fünf Jahre vor der Diagnose. Da hatte ich plötzlich Probleme mit den Beinen und konnte nicht richtig laufen. Kein Orthopäde zieht die Möglichkeit in Betracht, dass etwas Neurologisches dahinterstecken könnte, sondern denkt an einen Bandscheibenvorfall. Ich habe Kortisonspritzen bekommen und nach ein paar Wochen war es dann auch wieder weg und man hat sich nicht weiter Gedanken darüber gemacht. Während des Studiums hatte ich Konzentrationsprobleme, hab mich ständig krank und müde gefühlt. 2017 hatte ich dann einige Schübe, die zu Beschwerden geführt haben, die ich auch heute noch habe.“

Um welche Beschwerden handelt es sich dabei?
„Zum einen das Fatigue Syndrom. Dieses äußert sich in chronischer Erschöpfung. Außerdem habe ich generell nur eine geringe Konzentrationsfähigkeit. Ich habe ein Leistungsvolumen von vielleicht 20 oder 30 Prozent eines gesunden Menschen. Ich habe von morgens bis abends starke chronische Schmerzen. Der Grund ist eine hypertone Muskulatur, d. h. meine Muskulatur ist ständig verspannt oder hat verlernt, sich zu entspannen. Dadurch entstehen Fehlhaltungen und Spasmen und das führt wiederum zu Schmerzen. Ich habe zum Teil unter der Haut dicke Knubbel, die sich manuell therapeutisch mal kurz lösen lassen, aber nach ein paar Stunden sind sie zurück. Deshalb bin ich da auch auf Medikamente auf Betäubungsmittelbasis angewiesen, um durch den Tag zu kommen. Ich könnte aber noch viele weitere Symptome nennen.“

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MS kann zu erektiler Dysfunktion und Libidoverlust führen

Gibt es ein Symptom, auf das Sie hier gerne noch speziell aufmerksam machen möchten?
„Ja, es gibt ein Symptom, über das man als Mann gar nicht gerne redet, nämlich, dass es auch sexuelle Dysfunktion bei Multiple Sklerose gibt. Damit ist nicht nur eine erektile Dysfunktion gemeint, sondern auch Libidoverlust. Letzteres wird im Zusammenhang mit MS vor allem Frauen nachgesagt, aber es gibt Libidoverlust auch bei Männern. Es gibt keine genauen Daten zur Häufigkeit, aber ich bin betroffen. Das heißt nicht, dass ich nie Lust hätte, aber es fällt mir schon oft schwer. Das hat in meinem Fall auch dazu geführt, dass ich Probleme in der Beziehung mit meinem Noch-Ehemann hatte und jetzt getrennt bin. Ich habe außerdem eine Reizblase und muss ständig aufpassen, wie viel ich trinke. Wenn ich etwas trinke, muss ich darauf achten, dass in der Nähe eine Toilette ist, sonst kann das auch mal in die Hose gehen.“

MS erfolgt ja in Schüben, was häufig bedeutet, dass Symptome sich verstärken oder neue hinzukommen. Kommt es aber auch vor, dass, wie zu Beginn der Erkrankung, Beschwerden wieder verschwinden?
„Eine Sache hat sich bei mir wieder verbessert. Früher hatte ich eine Fußheberschwäche. 2017 konnte ich keine Strecken mehr über 50 Meter ohne Assistenz gehen und war auf einen Rollator und Gehstock angewiesen. Das hat sich aber seitdem komplett gewandelt.“

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„Ich habe gemerkt, dass ich etwas tun und die Opfermentalität ablegen muss“

Kam die Verbesserung von alleine oder haben Sie dafür etwas Spezielles getan, was geholfen hat?
„Ich habe damals gemerkt, dass ich etwas tun und die Opfermentalität ablegen muss. Mir wurde klar, ich muss aus dem Sumpf der MS und der chronischen Beschwerden wieder herausfinden und etwas aus meinem Leben machen.“

Was Ihnen geholfen hat, war der Sport …
„Tatsächlich war das so. Ich kann sagen, dass ich heute in der besten Form meines Lebens bin. Natürlich habe ich weiterhin meine Behinderungen, kann aber sagen, dass ich sportlich auf einem Niveau bin, auf dem ich davor noch nie war.“

Waren Sie vor Ihrer MS-Diagnose auch schon sportlich?
„Ich hatte mit Anfang 20 eine sehr sportliche Phase, war aber nie eine richtige Sportskanone. Davor, so mit 17 oder 18 Jahren, war ich allerdings auch schon mal ziemlich schwer und habe 150 Kilogramm gewogen. Danach habe ich mich auf 60 Kilogramm herunter gehungert. Ich war diesbezüglich leider immer ein Mensch der Extreme und habe damals absolut den falschen Weg gewählt: Statt gesunde Ernährung und Sport habe ich einfach fast gar nichts mehr gegessen.“

Wie haben Sie dann jetzt den Weg zum Sport gefunden?
„Im Rahmen meiner MS-Behandlung hat man mir gesagt: ‚Sie müssen in die Bewegung kommen. Sie müssen aktiv bleiben, damit es nicht schlimmer wird.‘ Damit war gemeint, dass ich den damaligen Status Quo erhalten sollte, weil ich damit schon viel erreicht hätte. Aber das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht. Stattdessen wollte ich herausfinden, was mit der MS eigentlich noch möglich ist.“

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Training mit MS – herausfinden, was möglich ist

Da hat sie also erst so richtig die Fitness-Leidenschaft gepackt! Welchen Sport machen Sie?
„Ich habe Krafttraining für mich entdeckt, das mache ich jetzt seit einem Jahr richtig intensiv, natürlich im Rahmen meiner Möglichkeiten. Das heißt, ich kann jetzt nicht unbedingt das Gleiche machen, was ein gesunder Mann in meinem Alter leisten kann. Aber ich versuche, das Beste daraus zu machen.“

Was sind denn so spezielle Herausforderungen, mit denen Sie bei Ihrem Training konfrontiert werden?
„Ich habe z. B. wenig Kraft in meinen Händen. Ich kann jetzt nicht eine 200-Kilo-Olympiastange hochheben, wobei ich das jetzt gerade auch aufgrund meiner sonstigen Muskulatur noch gar nicht könnte. Aber da muss ich mir behelfen. Ich bin auf Blood Flow Restriction umgestiegen. Ich klemme den Blutfluss ab, um mit weniger Gewicht einen höheren Trainingseffekt zu erreichen. Es gibt Studien, die besagen, dass dies gerade für MS-Patienten sehr effektiv sein soll.“

Haben Sie Unterstützung bei Ihrem Training?
„Ja, zurzeit habe ich zwei Trainer, die mich unterstützen, mir Tipps geben und Trainingspläne erstellen. Natürlich sind sie keine Spezialisten, was Neurologie und MS angeht. Aber ich gebe dann Feedback und sage, wenn ich irgendetwas nicht bewältigen kann und alternative Methoden brauche. Sie stellen sich dann sehr gut auf mich ein und sind mir eine wertvolle Hilfe.“

„Mein Kopf will mehr, aber mein Körper sagt dann: Jetzt ist Schluss“

Ist es manchmal frustrierend, nicht alle Übungen, die Ihnen Ihre Trainer vorschlagen, machen zu können?
„Es ist schon so, dass ich manchmal gerne mehr machen möchte. Mein Kopf will mehr, aber mein Körper sagt dann: Jetzt ist Schluss. Und dann muss ich gegensteuern. Da eine gute Balance zu finden, zwischen sich einerseits steigern zu wollen und andererseit seine Grenzen zu kennen, das ist manchmal schwer und da bin ich auch noch in der Findungsphase.“

Seit wann trainieren Sie nun so gezielt und regelmäßig?
„So etwa 1,5 Jahren. Seit einem guten halben Jahr trainiere ich nun jeden zweiten Tag. Vorher haben mir zwei Tage pro Woche gereicht, aber irgendwann wollte ich mehr.“

Christian Schmalstieg an der Beinpresse
Seine Beine trainiert Christian Schmalstieg gerne an der Beinpresse Foto: Dennis Wolff, Social Hope Team UG

So sieht ein typisches Training des MS-Betroffenen aus

Wie sieht das Krafttraining bei Ihnen aus?
„Wie die meisten Leute es auch tun, wärme ich mich zunächst auf. Da muss ich allerdings schon darauf achten, dass ich das nicht zu lange mache, um nicht schon zu viel von meiner Energie zu verbrauchen. Denn sonst fehlt mir die an anderer Stelle im Training. Daher dauert das Aufwärmen bei mir nur so drei bis fünf Minuten. Aktuell mache ich Kraftausdauer, weil mir zurzeit generell etwas die Kraft fehlt. Dann trainiere ich meine Beine an der Beinpresse, und zwar jedes Bein einzeln. Das ist eine große Herausforderung für mich, weil ich durch die MS in den Beinen bereits ziemlich eingeschränkt bin. Ich trainiere auch sonst hauptsächlich an Maschinen.“

Welche Trainingsgeräte nutzen Sie?
„Neben der schon erwähnten Beinpresse sind es z. B. die Brustpresse, das Rudergerät, die Bauchmaschine oder der Rückenstrecker. Ich mache Ganzkörpertraining, weil ich mich für Split-Training noch nicht bereit fühle. Da sind meine Muskeln noch nicht stark genug für. Dann trainiere ich also noch Bizeps und Trizeps und zwar an den Seilzügen. Beim Armtraining arbeite ich dann eben auch mit Blood Flow Restriction, um möglichst wenig Handkraft zu benötigen und dennoch einen größeren Trainigserfolg zu haben. Wie schon erwähnt, erhält man mit weniger Gewicht größere Effekte durch diese Methode. Ich trainiere den Bizeps z. B. jetzt mit etwa 13 Kilo, das wäre vom Effekt gleichzusetzen mit 50 bis 60 Kilo bei einem Training ohne Blood Flow Restriction.“

Gibt es auch Nachteile von Blood Flow Restriction?
„Ja, tatsächlich schaffe ich es nicht – um bei meinem Bizeps-Beispiel zu bleiben – mich von den 13 Kilo noch weiter zu steigern. Denn die Trainingsmethode ist sehr energieraubend und danach bin ich wirklich total platt. Mehr noch, ich fühle mich regelrecht zerstört. Wenn ich dann nach dem Training zu Hause bin, muss ich mich manchmal eine Stunde hinlegen, und mein ganzer Körper brennt wie Feuer. Aber zugleich ist das auch ein tolles Gefühl. Das Training gibt mir Halt in meinem Leben.“

Das Training ist für Sie also als ein wichtiger Halt und hilft Ihnen, Ihre Erkrankung im Zaum zu halten. Gibt es noch weitere Gründe, warum die Fitness für Sie so wichtig geworden ist?
„Ich möchte gerne eine Vorbildfunktion erfüllen als Mensch mit chronischen Erkrankungen und mit Behinderung und Einschränkungen, von denen einige auch unsichtbar sind. Damit meine ich, dass ich zeigen möchte, was trotzdem alles möglich ist. Das möchte ich vor allem anderen Betroffenen zeigen. Es geht mir um Sichtbarkeit. Darüber hinaus mache ich es aber wie viele gesunde Menschen auch, für die Optik. Wenn ich mir selbst gefalle, stärkt das auch mein Selbstbewusstsein.“

Haben Sie darüber hinaus ein sportliches Ziel, auf das Sie hinarbeiten?
„Ja, das gibt es tatsächlich. Ich bin jetzt 38 Jahre alt und habe mir vor einiger Zeit die, ich nenne es mal ‚wahnsinnige‘ Idee in den Kopf gesetzt, bis ich 40 Jahre alt bin, ‚Fitnessmodel trotz MS‘ zu werden. Dafür muss ich noch an meinem Körper arbeiten. Ich denke, das ist realistisch, wenn ich mit Disziplin bei meinem Training dabei bleibe – und mir meine Krankheit keinen Strich durch die Rechnung macht. Mein Ziel ist es jedenfalls, bei einem renommierten Fitnessmagazin auf dem Cover abgelichtet zu werden.“

„Es war eine Überwindung, ins Fitnessstudio zu gehen“

War es für Sie am Anfang eine Überwindung, ins Fitnessstudio zu gehen? Das ist ja kein Umfeld, in dem man häufig mit offensichtlich kranken oder körperlich eingeschränkten Menschen in Berührung kommt? Wie war da Ihre anfängliche Erfahrung?
„Anfänglich war ich in einer Physiotherapie-Praxis, in der auch Trainingsgeräte zur Verfügung standen. Irgendwann hat mir das nicht mehr gereicht, ich wollte mich noch weiter steigern können und das war der Punkt, an dem mir der Gedanke kam, dass jetzt doch ein Fitnessstudio passender wäre. Und das hat mich auf jeden Fall ein Stück weit Überwindung gekostet. Ich habe mir die Frage gestellt, wie die Leute dort wohl auf mich reagieren würden? Außerdem hab ich gezweifelt, ob das Gym überhaupt das Richtige für mich ist, ob ich dort wirklich trainieren kann. Doch als ich in mich hineingehorcht habe, wusste ich: Ich möchte es probieren. Und dann kam mir auch der Gedanke, für den ich mich dann manchmal schäme, nämlich der, dass man mir meine Krankheit und Beschwerden auf den ersten Blick ja auch nicht ansieht.“

Warum ist dieser Gedanke etwas, für das Sie sich schämen?
„Weil ich ja eigentlich mehr Sichtbarkeit für nicht gesunde Menschen, also solche mit chronischen Erkrankungen und Einschränkungen, haben möchte. Und heutzutage meine Fitness-Reise als MS-Betroffener ja auch bewusst öffentlich teile. Deshalb ziehe ich im Fitnessstudio auch öfter Mal T-Shirts mit Aufdrucken wie z. B. ‚Ich bin schwerbehindert‘ oder eins mit Regenbogenfarben an, um die Sichtbarkeit auf diesem Wege zu generieren.“

Wann man es vielleicht merken könnte, ist, wenn Sie alternative Trainingsmethoden nutzen oder auch mal eine Übung nicht schaffen, richtig? Kommt es vor, dass das anderen Studiomitgliedern auffällt? Und wenn ja, welche Reaktionen gibt es dann?
„Solche Momente gibt es durchaus. Ich habe z. B. Tremore, die dazu führen, dass meine Hände zittern. Da sprechen mich Leute schon mal an, auch auf unschöne Art und Weise mit blöden Sprüchen und Vorurteilen. Das ist immer wieder eine blöde Situation, aber ich sage den Leuten dann einfach offen, dass ich krank bin und dass sie doch würdigen sollen, dass ich dennoch da bin und trainiere. Ich erkläre, dass ich etwas für mich und meinen Körper tue, trotz und gerade aufgrund meiner Erkrankung und dass ich dafür eigentlich Respekt verdient habe. Leider kommt das oft nicht wirklich an, habe ich den Eindruck. Grundsätzlich habe ich aber nichts dagegen, angesprochen zu werden und meine Krankheit zu erklären. Ich möchte ja, dass sie sichtbarer wird und mehr Menschen sie verstehen.“

Respekt, dass Sie dennoch Ihr Ding machen und sich nicht entmutigen oder gar aus dem Gym vertreiben lassen durch solche Erlebnisse …
„Es ist nicht immer einfach. Ich versuche, wie die meisten anderen Trainierenden ja auch, mich auf mich zu konzentrieren, höre Musik beim Training. Aber ich merke schon, dass ich auch beobachtet werde oder man sich auch über mich lustig macht. Etwa in Situationen, in denen z. B. mein Arm bei einer Übung ausbricht, weil gerade eine Spastik anfängt. Das ist also schon eine Herausforderung. Und ich kann daher auch absolut verstehen, dass viele chronisch kranke Menschen aus Angst vor genau solchen Situationen und Anfeindungen dann gar nicht erst in ein Fitnessstudio gehen.“

Christian Schmastieg im Fitnessstudio
Der Sport gibt dem MS-Patienten Christian Schmalstieg Halt Foto: Dennis Wolff, Social Hope Team UG

Was Fitnessstudios besser machen müssen, um für alle Menschen zugänglich zu sein

Auch sonst sind viele Fitnessstudios nicht unbedingt darauf ausgerichtet, es für Menschen mit Einschränkungen einfach zu machen. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
„Absolut. Da wäre z. B. das Thema Barrierefreiheit zu nennen. Ich kenne viele Studios, die nicht barrierefrei sind. Das fängt ja schon damit an, dass es keine Parkplätze für Schwerbehinderte gibt. Viele Fitnessstudios sind auf mehrere Ebenen aufgeteilt, sodass man Treppen gehen muss. Manchmal gibt es immerhin extra Schwerbehindertentoiletten, aber dann mit der Hürde, dass sie abgeschlossen sind und man sich erst irgendwo einen Schlüssel besorgen muss. Und dann kommt gleichzeitig hinzu, dass es dann unten zwar diese Toilette gibt, Umkleiden und Duschen aber auf einem höheren Stockwerk sind. Das heißt, betroffene Menschen können sich womöglich noch nicht einmal umziehen und ihre Sachen verstauen. Es gibt also schon hier und da den Willen, aber die Konzepte sind undurchdacht.“

Man sieht also, dass Fitnessstudio-Betreiber kranke und eingeschränkte Menschen eigentlich gar nicht als ihre Zielgruppe definieren. Sehen Sie das auch so?
„Die Meinung scheint immer noch die zu sein, dass kranke und/oder behinderte Menschen entweder nicht trainieren wollen oder können. Aber man sieht ja mindestens an meinem Beispiel: Ich kann und ich möchte trainieren. Gerade auch weil ich krank bin. Denn ich möchte durch das Training ja meine Beschwerden lindern und meine MS-Erkrankung in Schach halten, also das Fortschreiten möglichst bremsen. Und ich bin sicher, da gibt es noch viel mehr Menschen wie mich. Ich bin überzeugt, dass den Fitnessstudio-Betreibern aktuell noch viele potenzielle zahlende Kunden durch die Lappen gehen. Daher würde ich mir wirklich wünschen, dass die Studio-Konzepte komplett überdacht würden und wirklich allen Menschen Zugang gewährt würde.“

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„Ich werden den Sport nie wieder aufgeben“

Zum Abschluss noch die Frage: Hat das Training Einfluss auf Ihre MS-Erkrankung bzw. Ihre Beschwerden? Wie fühlen Sie sich aktuell?
„Bei mir geht die MS ja mit chronischen Schmerzen einher, also ich weiß leider gar nicht mehr, wie es ist, keine Schmerzen zu haben. Das Training hilft mir dabei aber insofern, dass sich meine Schmerzen verändert haben und auch weniger geworden sind. Auch auf meine chronische Erschöpfung hat der Sport Einfluss. Sie ist bei Weitem nicht mehr so schlimm wie früher, als ich manchmal in einem Monat zehn bis 15 Tag kaum aufstehen konnte. Das habe ich manchmal noch, aber es ist deutlich weniger geworden. Es ist jetzt eher mal stundenweise, statt den ganzen Tag. Ich bin nicht gesund und werde nie mehr gesund werden, aber die Effekte, die das Training hat, machen mich schon sehr zufrieden. Für mich ist daher klar: Ich werde den Sport nie wieder aufgeben, es sei denn, meine Erkrankung und mein Körper zwingen mich dazu.“




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