27. Oktober 2021, 18:38 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Hochintensives Intervalltraining (kurz HIIT) ist eine beliebte Trainingsform. Sie ist zwar hart, dafür aber zeitsparend. Aber ist HIIT wirklich so effektiv wie oft angepriesen? Auf dem 4. Symposium des Deutschen Fitnesswissenschaftsrats spricht Prof. Dr. Billy Sperlich über die teils überraschenden Vor- und Nachteile der Trainingsmethode. FITBOOK hat mit dem HIIT-Experten darüber gesprochen.
HIIT ist eigentlich schnell erklärt: Das Training besteht aus kurzen, dafür aber sehr anstrengenden, intensiven Belastungsintervallen und ebenfalls nicht zu langen Erholungspausen dazwischen. Viele erhoffen sich dadurch, mit einem geringen zeitlichen Aufwand den maximalen Trainingserfolg zu erzielen. Das hochintensive Intervalltraining ist zwar zeitsparend, aber „keine eierlegende Wollmilchsau“, wie uns der HIIT-Experte Prof. Dr. Billy Sperlich von der Universität Würzburg erklärt.
Für wen ist HIIT also am besten geeignet? Was sind die Vor- und Nachteile dieser Trainingsform? Mit diesem Thema beschäftigt sich Prof. Sperlich auf dem 4. Symposium des Deutschen Fitnesswissenschaftsrats am 28. Oktober 2021, den alle Interessierten kostenlos via Zoom-Meeting um 16.00 Uhr verfolgen können. Wir haben vorab mit dem HIIT-Experten gesprochen und ihn nach aktuellen Erkenntnissen auf diesem Gebiet befragt.
Übersicht
HIIT kommt aus der Leichtathletik
FITBOOK: Herr Prof. Sperlich, können Sie uns einen kleinen Vorgeschmack geben, was uns bei Ihrem Vortrag zum Thema HIIT erwartet? Worum geht es da genau?
Prof. Billy Sperlich: „Ich versuche zunächst das Thema HIIT einzuordnen. Was versteht man eigentlich darunter? Der Begriff wird ja mittlerweile inflationär insbesondere auf Social Media benutzt. Allein auf Instagram gibt es zu diesem Thema über 10 Millionen Treffer. Die Bilder lassen häufig hohe Intensität erwarten: Burpees, Squats, sprintende Läufer. Es wird einem immer eine sehr hohe Intensität suggeriert. Ich versuche die unterschiedlichen Begrifflichkeiten einzuordnen, denn es geht hier oft um unterschiedliche Trainingsformen. HIT (hochintensives Training, A. d. R.) kommt beispielsweise aus der Bodybuilder-Szene. HIIT (hochintensives Intervalltraining, A. d. R.) dagegen kommt aus der Leichtathletik und ist eine Intervalltrainingsform mit relativ definierter Intensität.“
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Sie gehen aber auch auf die Effekte von HIIT ein. Wie sieht es da aus?
„Die Frage lautet: Was kann ich von HIIT erwarten? Erstaunlicherweise sind die Effekte nicht wesentlich höher, als man das mit normalem Training hinbekommt. Der Effekt ist jetzt nicht so bombastisch hoch, wie viele das erwarten, denn bei Studien vergleichen wir immer isokalorisch. Das heißt, wir schauen uns die Effekte bei gleichem Kalorienverbrauch an. Mit üblichem Ausdauertraining, das deutlich länger als 45 Minuten geht, erreicht man zum Beispiel ganz andere Effekte.“
Der überraschende Effekt von HIIT auf die Ausdauer
Das heißt, HIIT kann Ausdauertraining nicht ersetzen?
„Nein, auf keinen Fall. Wir haben beispielsweise mit intensiven Formen des Zirkeltrainings experimentiert. Also mit einer Aneinanderreihung von Kraftausdauer-Übungen, die im Kreis wiederholt wurden. Dabei haben wir nahezu gar keinen Effekt auf die Ausdauer festgestellt. Das hat mich persönlich sehr verwundert. Stattdessen gibt es aber funktionelle Zuwächse. Das heißt, nach mehreren Wochen schafft man wesentlich mehr Wiederholungen von den Kraftausdauer-Übungen als zu Beginn. 30 Sekunden an Wiederholungen reichen aber einfach nicht aus, damit sich das Herzkreislaufsystem anpasst. So führen beispielsweise die beliebten Sieben-Minuten-Workouts zwar dazu, dass man kräftiger wird, aber nicht ausdauernder. Das HIIT ist keine eierlegende Wollmilchsau.“
Für wen eignet sich HIIT am besten?
„Für jemanden, der ins Fitnessstudio geht, eine starke Routine mit wiederkehrenden Übungen hat und dann zum Beispiel seine Leistung steigern will, für den ist HIIT erfolgversprechend. Wer aber schon immer Vollgas im Fitnessstudio gibt, da ist dann fraglich, ob er noch zusätzlich HIIT durchführen sollte. Auch bei einem Diabetiker würde ich eher dazu raten, lieber vier bis fünf niedrigintensive Trainingseinheiten pro Woche auszuführen.“
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HIIT kann Kindern mit ADHS sowie Krebspatienten helfen
Kann man mit HIIT noch abseits von Leistungssteigerung etwas erreichen?
„HIIT hat auch sehr starke Auswirkungen auf die Psyche und das Wohlbefinden. Zum Beispiel eignet es sich gut für unruhige Kinder oder jene mit ADHS. HIIT hilft ihnen, sich auszupowern, es passt einfach zu ihrem Naturell und verbessert dadurch sogar ihre Aufmerksamkeit. Es kann auch Krebspatienten nach einer Chemotherapie helfen, die mit Müdigkeit und Schlappheit kämpfen. Vor allem ist der psychologische Effekt groß. Patienten berichten, dass sie durch das anstrengende Training besser im Alltag klarkommen, weil ihnen alles leichter vorkommt als die Trainingsbelastung.“
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Den Nachbrenneffekt nicht unterschätzen
Was sind die Vor- und Nachteile von HIIT?
„Ein großer Vorteil ist, dass psychologisch gesehen Zeit und Nutzen beim HIIT in einem günstigen Verhältnis zueinanderstehen. Das motiviert zunächst. Und im Vergleich zum Ausdauersport kann man in kurzer Zeit seine Sauerstoffaufnahme etwas stärker steigern. Es gibt aber Personen, die mögen die intensive Trainingsform nicht. Sie berichten von Schwindel, Unwohlsein, haben Einschlaf- oder Durchschlafprobleme. Und man sollte den Nachbrenneffekt nicht unterschätzen. Man schwitzt einfach noch lange nach. Nach dem Duschen zieht man den Anzug an und ist wieder klitschnass. Das ist manchmal aus Praktikabilitätsgründen schwierig.“
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Am besten, man probiert es selbst aus
Macht HIIT wirklich jeden leistungsfähiger?
„Im Schnitt kann man in einem Zeitraum von drei bis neun Wochen eine Steigerung der Sauerstoffaufnahme von etwa einem Prozent pro Woche feststellen. Manche Menschen erreichen bis zu acht Prozent, andere wiederum null Prozent. Im Vergleich dazu sind es beim moderaten Ausdauertraining im Schnitt 0,7 Prozent. Aber auch hier gibt es große Schwankungen von Mensch zu Mensch. Zudem gibt es auch Mischformen, also ein sogenanntes polarisiertes Training, das zum Beispiel zu 20 Prozent aus HIIT und aus 80 Prozent Ausdauer besteht. Ich empfehle es am besten selbst auszuprobieren. Mal zwischendurch vier bis sechs Wochen HIIT etwa dreimal die Woche durchzuführen. Und dann macht man einen Test: Wie fühlt es sich an im Vergleich zu Beginn des HIIT? Das Gleiche macht man mit niedrigintensivem Training und mit dem Mischtraining. Und dann schaut man, mit welcher der Strategien man am besten klarkommt.“
Was bevorzugen Sie persönlich: HIIT oder Ausdauersport?
„Immer die Variation. Die Variation ist in der Biologie einer der Faktoren, die wir brauchen. Und genauso ist es für die Psyche wichtig. Wir können nicht ständig das Gleiche machen. Als Beispiel: Ich hatte jetzt zwei Tage, da war ich mehr sesshaft. Heute wiederum habe ich eine Stunde Vollgas auf dem Mountainbike gegeben. Für die Zeit, die mir zur Verfügung stand, was das ein gutes Training. Ich weiß aber jetzt schon, dass ich das morgen und übermorgen nicht machen kann.“