4. Oktober 2023, 20:03 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Viele Hersteller von intelligenten Wearables und Herzfrequenzsystemen haben eine sogenannte HRV-Messung in ihre Trainingsteuerung integriert. Sie soll dafür sorgen, dass der Sportler sich „nur“ seiner derzeitigen Situation entsprechend belastet. Fitnessprofessor Dr. Stephan Geisler erklärt, ob das sinnvoll ist.
Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) beschreibt Schwankungen zwischen den Herzschlägen. Wie diese Variationen gemessen werden, welche Informationen sie über den Zustand des Herz-Kreislauf-Systems liefern und wie sie für das Training und die Gesundheit genutzt werden können, lesen Sie hier.
Übersicht
Was genau ist die Herzfrequenzvariabilität?
Zunächst sollten wir mal darüber sprechen, was die Herzfrequenzvariabilität (Englisch für heart rate variability, kurz: HRV) überhaupt ist. Es handelt sich um die physiologischen Schwankungen der Herzfrequenz, die durch Veränderungen der Intervalle zwischen den einzelnen Herzschlägen zustande kommen.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Wie – zwischen den Herzschlägen? Ja, genau. Sie haben bestimmt schon mal die grafische Aufzeichnung eines EKG (Elektrokardiogramm) bei Ihrem Arzt gesehen. Da wird Ihnen eine extreme Menge an unterschiedlich hohen Strichen (wie man es von einem Lügendetektor in Hollywood-Filmen kennt) aufgefallen sein. Diese Hebungen haben alle einen Namen (P, Q, R, S, T). Wichtig für die Herzfrequenzvariabilität bzw. HRV ist vor allem die R-Zacke dieser Grafik. Man misst den zeitlichen Abstand der R-Zacken zueinander (RR-Abstand) und kann dadurch Rückschlüsse auf den Erregungszustand des Herzens bzw. die „Gemütslage Ihres autonomen Nervensystems“ machen. Dies wird schon seit vielen Jahren in der Medizin eingesetzt, um evtl. Unregelmäßigkeiten des Herzens oder Risiken aufzudecken.
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Persönliche Erfahrung mit der HRV
„„Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sich die HRV, die ich über mein WHOOP-Band ermittle, mit meinem Körpergefühl deckt. Besonders deutlich wurde es zuletzt, als ich Marathon gelaufen bin. Die Woche vor dem Wettkampf war ich auf einem Niveau von 58 bis 61. Bereits ein Tag vor dem Wettkampf, wenn ich anfange, schlechter zu schlafen aufgrund der Nervosität, ist die HRV auf 54 gefallen. Durch den Wettkampf selbst hat der Wert einen Tiefpunkt von 36 erreicht! Ein deutliches Zeichen für den enormen physischen und psychischen Stress eines Marathons! Was mich jedoch positiv stimmt, ist, wenn ich sehe, wie schnell ich mich zu erholen scheine. Auch wenn die Muskeln noch etwas zwicken: Drei Tage nach dem Marathon scheint sich die Herzfrequenzvariabilität wieder auf höherem Niveau einzupendeln. Für mich eine Bestätigung, dass ich meinem Körpergefühl trauen und wieder mit lockeren Einheiten loslegen kann.““– Alexandra Grauvogl, Redaktionsleiterin FITBOOK
Was der HRV-Wert theoretisch aussagt
Bei einer angespannten Lage des Nervensystems verkürzen sich diese RR-Intervalle durch eine gesteigerte Sympathikus-Aktivität. Dabei handelt es sich um den Teil des Nervensystems, der für Aktivität und Leistung zuständig ist. Bei Entspannung hingegen ist eher das parasympathische Nervensystem (Teil des Systems, der für Entspannung und Ruhe zuständig ist) aktiv. Dies kann man durch eine Messung der HRV relativ genau messen und auf den Zustand des Trainierenden (in Ruhe) interpretieren.
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Das Problem mit der Herzfrequenzvariabilitäts-Messung
Viele Hersteller von intelligenten Wearables und Herzfrequenzsystemen haben dies erkannt und in ihre Trainingsteuerung integriert. Sie sollen dafür sorgen, dass der Sportler sich „nur“ seiner derzeitigen Situation entsprechend belastet. Aus gesundheitlicher Sicht ein durchaus vernünftiger Gedanke!
Immer mehr Fitnessstudios bieten auch solche Messungen schon ihren Kunden an, um auf mögliche Stress-Gefahren hinzuweisen. In Anbetracht der Tatsache, dass Stress einer der Haupt-Risikofaktoren unserer modernen Zivilisation darstellt, ebenfalls gar keine so schlechte Idee. Hier sollte man allerdings beachten, dass es bei solchen empfindlichen Messungen sehr schnell zu Ungenauigkeiten kommen kann und im Fitnessstudio generell ja keine klinischen Laborbedingungen herrschen. Daher rate ich bei Verdacht, eher den Arzt aufzusuchen.
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Fazit
Ob ein Training, welches durch die Messung der Herzfrequenzvariabilität gesteuert wird, effektiver ist, vermag ich leider nicht zu bewerten, aber eine solche Steuerung ist für die Gesundheit und die Sensibilität für Ihren Stress sicher nicht verkehrt. Wenn Sie mich allerdings fragen, ob man unbedingt eine solche Methode anwenden muss, ist die Antwort leider: Nein. Denn eine gute Selbstreflexion und ein gutes Körpergefühl beim Ausdauersport ist immer noch die beste Trainingssteuerung.