27. Oktober 2023, 16:18 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Stellen Sie sich vor, auf einem Marathon entscheidet eine Sekunde, ob Sie weiterhin finanziell gefördert werden oder nicht – mit diesem Druck musste Hendrik Pfeiffer über 42,195 Kilometer klarkommen. Wie er das schafft und weitere Tipps für Läuferinnen und Läufer, hat er im Interview verraten.
Hendrik Pfeiffer aus Hannover zählt zu den besten Marathon-Läufern Deutschlands. Im September 2023 verbesserte der 30-Jährige in Berlin seine Bestzeit auf 2:08:48 Stunden – und schrammte damit 30 Sekunden an der Norm für die Olympischen Spiele in Paris 2024 vorbei. Warum der Sportsoldat mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden ist, hat er im Interview mit FITBOOK verraten. Außerdem erklärt er, was Carbon-Laufschuhe wirklich bringen und worauf Hobby-Marathonis achten sollten.
Übersicht
- »Ich hatte ein Rennen in meinem Kopf
- Warum Hendrik Pfeiffer in der Marathon-Vorbereitung auf Kenia verzichtet hat
- »Wenn man die Olympia-Norm anrennen will, muss man ein sehr hohes Risiko eingehen
- So geht Hendrik Pfeiffer mit dem Druck während eines Marathons um
- »Carbon-Laufschuhe haben einen Effekt, aber…
- Nach wie vielen Kilometern ein Carbon-Schuh ausgewechselt werden sollte
- »Carbon-Schuhe sind auf Geschwindigkeiten unter 4 Minuten pro Kilometer ausgelegt
- Hendrik Pfeiffers Tipps für Hobby-Marathon-Läuferinnen und -Läufer
»Ich hatte ein Rennen in meinem Kopf
FITBOOK: Wenn Sie an den Marathon in Berlin denken: Überwiegt die Freude über die persönliche Bestzeit von 2:08:48 Stunden oder sind Sie traurig, dass Sie die Olympia-Norm knapp verfehlt haben?
Hendrik Pfeiffer: „Traurig? Nein, im Gegenteil. Ich habe das erreicht, was ich erreichen wollte. Für mich war die Olympia-Quali schon im Kopf, aber ich bin gegen eine andere Quali gelaufen, gegen die Kader-Norm von 2:08:50 Stunden. Und die habe ich hauchdünn unterboten. Ich wusste die ganze Zeit während des Laufs, wie eng das wird. Das heißt, ich hatte eigentlich noch ein anderes Rennen im Kopf, was die Leute draußen gar nicht gesehen haben. An der Kader-Norm hängt meine ganze Förderung, Altersversorgung und Krankenversicherung mit dran. Dafür bin ich gelaufen, das hat geklappt. Deswegen war ich so erleichtert im Ziel. Und ich lag anderthalb Minuten unter meiner Bestzeit, also Meilenstein! Ich bin jetzt unter den schnellsten Sieben aller Zeiten in der deutschen Marathon-Rangliste. Das war für mich der absolut runde Tag. Es hat sehr viel gepasst und es hat sich gezeigt, dass sich die Arbeit im Vorfeld gelohnt hat und man das eben auch ohne Höhentraining hinbekommen kann.“
Warum Hendrik Pfeiffer in der Marathon-Vorbereitung auf Kenia verzichtet hat
Sie haben sich in diesem Jahr anders als die meisten Marathon-Spezialisten vorbereitet. Warum? Und wie sah Ihr Training aus?
Pfeiffer: „Ich habe ausnahmsweise kein Trainingslager in Kenia gemacht, sondern alles zu Hause in Hannover. Ich möchte hier ein Team aufbauen. In Deutschland ist alles sehr fragmentiert, viele Athleten wandern ins Ausland ab. Amanal Petros trainiert zum Beispiel in Kenia, weil er hier keine Gruppe hat, Richard Ringer in Belgien. Jeder macht sein eigenes Ding, es gibt keine zentralen Strukturen. Mein Ziel ist es, wenn ich meine aktive Karriere beendet habe, dass hier eine top-funktionierende Trainingsgruppe besteht.
Bestimmt keine einfache Aufgabe …
Pfeiffer: „Das ist im ersten Schritt sehr viel Arbeit, das wusste ich auch, dass es auf mich zukommt. Deshalb habe ich entschieden, in der Vorbereitung nicht nach Kenia zu reisen, was ich sonst schon gerne gemacht hätte. Ich glaube, dass das noch mal einen guten Effekt gehabt hätte. Außerdem habe ich fast ausschließlich allein trainiert, ganz selten hatte ich einen Partner. Da sehe ich auf jeden Fall noch Spielraum für eine Leistungssteigerung, wenn man mit einem Partner oder einer Laufgruppe wie in Kenia trainiert. Unter den aktuellen Umständen habe ich das Maximum rausgeholt, aber ich kann im Set-up noch eine Menge ändern, sodass zeitlich noch einiges drin ist. Da geht schon noch was.“
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»Wenn man die Olympia-Norm anrennen will, muss man ein sehr hohes Risiko eingehen
Motivieren Sie die super Zeiten und Erfolge der anderen deutschen Läufer, wie zum Beispiel der deutsche Rekord von Amanal Petros in Berlin (2:04:58)?
Pfeiffer: „Definitiv. Das ist eine Welle, auf der man mitreitet. Klar spielt es auch eine Rolle, dass eingebürgert wird. Wir haben jetzt einige afrikanische Läufer, die für Deutschland starten und Zeiten von 2:09 oder 2:08 forcieren. Aber der Aufwärtstrend ist bei allen sichtbar. Das ist eine gute Entwicklung, die sich auch zeigt, wenn man die europäischen Bestenlisten anschaut. Da ist Deutschland sehr gut aufgestellt. Hoffentlich wird diese nicht abgewürgt – etwa durch die harten Kader-Normen.“
Wie meinen Sie das?
Pfeiffer: „Die wurden zuletzt so stark angehoben, dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo ich sage: Mehr geht nicht. Es ist doch absurd, dass in meinem Kopf die Kader-Norm eine größere Rolle spielt als die Olympia-Norm. Das hat großen Einfluss auf den Rennplan. Ich muss mich erst mal darauf fokussieren, meine Förderung zu sichern und kann mich dann erst um Olympia kümmern. Denn wenn man die noch härtere Olympia-Norm anrennen will, muss man ein sehr hohes Risiko eingehen. Wer zu schnell angeht, bricht am Ende womöglich ein und verpasst nicht nur die Olympia-, sondern auch die Kader-Norm. Letztere habe ich nun geschafft, aber jetzt habe ich keine Chance mehr, mich für Paris zu qualifizieren. Nur wenn es noch bei einem Marathon im Frühjahr möglich wäre.“
Auch auf die Wettkampfplanung hat das vermutlich einen großen Einfluss …
Pfeiffer: „Natürlich. Auf die Weltmeisterschaft in Budapest im Sommer habe ich verzichtet, weil ich wusste, dass ich dann keine Zeit stehen habe. Bei 30 Grad, einem taktischen Rennen ohne Tempomacher – da läuft man drei bis vier Minuten langsamer. Ich wäre dort sehr gern für Deutschland gestartet, aber ich stände jetzt mit leeren Händen da. Wir haben nicht die schnellsten Deutschen zur WM geschickt, weil für die andere Ziele wichtiger waren – Olympia- oder Kader-Norm. Da schneidet sich der Deutsche Leichtathletik-Verband ins eigene Fleisch.“
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So geht Hendrik Pfeiffer mit dem Druck während eines Marathons um
Ist das Thema Olympia in Paris 2024 nun endgültig durch?
Pfeiffer: „Die einzige Chance, sich jetzt noch für Olympia zu qualifizieren, wäre beim Marathon in Valencia im Dezember. Dort werde ich aber nicht teilnehmen können, weil ich zum New York City Marathon eingeladen wurde und dort zugesagt habe. Das ist eine große Ehre, dort beim prestigeträchtigsten Rennen im Herbst, teilzunehmen. Allerdings ist das keine Strecke für eine schnelle Zeit.“
Wie viel sind eigentlich 38 Sekunden, die Ihnen noch zur Olympia-Norm fehlen, für einen Läufer auf Ihrem Niveau?
Pfeiffer: „Das ist schon ein ganzes Stück, aber ich bin jetzt auf Schlagdistanz.“
Der Berlin Marathon war für Sie die letzte Chance, die Norm für die Kader-Zugehörigkeit im kommenden Jahr zu erfüllen. Sie haben es geschafft und somit Ihren Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr behalten. Wie gehen Sie mental mit so einem Druck während des Rennens um?
Pfeiffer: „Ich musste wirklich permanent während des Marathons damit klarkommen, zu wissen, wie knapp das wird. Bei der Hälfte hatte ich zwar ein kleines Polster, da war ich sogar noch auf Olympia-Norm-Kurs. Aber ich wusste auch, dass ich in der zweiten Hälfte etwas einbüßen würde. Dann ging es Sekunde um Sekunde hoch und ich wusste, dass es exakt auf 2:08:50 gehen wird. Eine Sekunde drüber – und es würde ein finanzielles Desaster darstellen! Eine Sekunde drunter würde mich retten. 400 Meter vor dem Ziel, am Brandenburger Tor, wusste ich, dass ich einen Tick drüber war vom Schnitt und ich einen extremen Sprint hinlegen muss, um das noch zu schaffen. Gott sei Dank, hat das noch geklappt! Das ist schon sehr wichtig für mich gewesen. Mit diesem Druck musst du umgehen können, sonst bist du falsch im Spitzensport.“
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»Carbon-Laufschuhe haben einen Effekt, aber…
Im Kontext der neuen Marathonweltrekorde wurde zuletzt viel über die Carbon-Laufschuhe gesprochen, die die Sieger scheinbar ins Ziel katapultierten. Wie viel trägt so ein Schuh zur Leistung bei? Oder spielt das eher für den Kopf eine Rolle?
Pfeiffer: „Ich würde mich unwohl fühlen ohne Carbon-Schuhe, im Vergleich zu anderen, die welche haben. Aber am Ende entscheidest du selbst bzw. das, was du trainiert hast, ob du erfolgreich bist. Diese Schuhe haben einen Effekt, aber nicht den ganz großen, den viele sehen.“
Auch beim in Berlin aufgestellten Marathon-Weltrekord der Frauen durch die Äthiopierin Tigist Assefa wurde viel über die Carbon-Laufschuhe gesprochen …
Pfeiffer: „Den neuen Frauen-Weltrekord sehe ich kritisch. Ich möchte ihr nicht zu nahe treten, aber da sind wir in Bereichen angelangt … das ist einfach zu viel. Gestandene Profi-Läufer – Olympiastarter und Weltmeister aus vergangenen Jahren – wurden von ihr überholt. Sorry, aber dieser Fabel-Rekord ist so enorm, dass meine Fantasie das nicht mehr hergibt.“
Sie haben kurz vor dem Berlin Marathon einen neuen Laufschuh Ihres Ausrüsters Puma bekommen. Wie oft sind Sie den vor dem Rennen gelaufen?
Pfeiffer: „Ich habe diesen Prototypen einmal vor dem Marathon im Training getragen. Man merkt schon recht schnell, ob einem ein Schuh taugt oder nicht. Bevor man die Schuhe im Marathon läuft, würde ich sie mindestens einmal 25 Kilometer am Stück getragen haben. Dann merkst du erst, ob du Blasen bekommst oder Ähnliches. Vor dem Rennen am besten zwei intensive Einheiten mit dem neuen Schuh, insgesamt 40 Kilometer, das reicht.“
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Nach wie vielen Kilometern ein Carbon-Schuh ausgewechselt werden sollte
Muss man so einen Carbon-Schuh nach einem Marathon dann schon wieder austauschen? Sie sind ja recht kostspielig.
Pfeiffer: „Ich werde ihn auch noch in New York laufen, dann tausche ich. Aber wir reden bei mir ja auch vom absoluten Profi-Bereich, wo es einen großen Unterschied macht, ob der Schuh eine Sekunde mehr oder weniger abwirft. Da würde ich ihn nicht öfter als zwei Rennen anziehen. Aber im Amateur-Bereich geht das schon deutlich länger. Vor allem im Training kann man ihn noch viele Kilometer laufen. Den Vorgänger von meinem aktuellen Schuh bin ich gelaufen, bis er auseinander fiel, da sind die Zehen rausgekommen. Er hielt bis in den vierstelligen Kilometer-Bereich.“
Welche spürbaren Vorteile bringen die Carbon-Schuhe?
Pfeiffer: „Ich war auch schon vor dem Carbon-Schuh-Zeitalter Marathon-Läufer. Damals ging so ein Rennen viel mehr auf die Waden, die wurden stark mitgenommen. Jetzt hat man insgesamt mehr Schaum und Material zwischen sich und dem Asphalt, dadurch schlägt nicht jeder einzelne Schritt so stark durch, die Muskulatur wird nicht so hart belastet. So kann man mehr Leistung bei gleicher Ermüdung erbringen im Vergleich zu vorher. Du kannst härter trainieren und du erholst dich nach dem Marathon schneller. Das ist der entscheidende Unterschied.“
Wann sollte man Carbon-Schuhe tragen?
Pfeiffer: „Auf keinen Fall bei allen Läufen! Dafür sind sie nicht ausgelegt. Ich trage sie nur bei schnellen, wettkampfspezifischen Trainingseinheiten und im Rennen. Das sind meist zwei Einheiten pro Woche und ungefähr 30 Kilometer. Ansonsten trage ich normale Trainingsschuhe.“
»Carbon-Schuhe sind auf Geschwindigkeiten unter 4 Minuten pro Kilometer ausgelegt
Bringen die Wunderschuhe eigentlich auch was für Läuferinnen und Läufer, die beim Marathon 3,5 Stunden und länger unterwegs sind?
Pfeiffer: „Nein. Es ist zwar immer auch eine individuelle Sache, wie man auf den Schuh anschlägt. Aber prinzipiell sind diese Schuhe auf Geschwindigkeiten ausgelegt, die deutlich unter 4 Minuten pro Kilometer liegen. Wenn man dieses Tempo nicht laufen kann, sind sie eher wackelig. Vor allem schwereren Läufern würde ich abraten: Carbon-Laufschuhe bei 100 Kilogramm Körpergewicht sind Schwachsinn.“
Für Läuferinnen und Läufer, die diesen Top-Speed nicht aufbringen, aber trotzdem ambitioniert an Rennen teilnehmen, empfiehlt Hendrik Pfeiffer statt den Profi-Carbon-Schuhen bspw. Modelle seines Ausrüsters Puma, wie den Deviate oder Deviate Elite, die auch Carbon-Platten enthalten, aber auch für schwerere und langsamere Sportler laufbar sind.
Machen Sie spezielle Fußgymnastik, damit Ihre Füße mit diesen High-Tech-Schuhen klarkommen?
Pfeiffer: „Mein Laufstil ist ökonomisch und sauber, obwohl ich kein spezielles Krafttraining mache. Das passt auch so. Wer allerdings eine Fehlhaltung hat, sollte aktiv dagegen etwas tun. Wie ein passendes Training aussieht, sollte individuell ein Experte anhand einer Laufstilanalyse festlegen.“
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Haben Sie noch weitere Tipps für Hobby-Marathon-Läufer? Welche Fehler sollten unbedingt vermieden werden?
Pfeiffer: „Neue Sachen im Wettkampf auszuprobieren! Neue Bekleidung oder ein Energy-Gel zum Beispiel. Das sehe ich immer wieder, sollte man aber nicht machen. Außerdem ist es wichtig, sich in der Startphase nicht von der Musik, Fans oder anderen Läufern mitreißen zu lassen. Das passiert immer, jedes Mal. Aber wer zu schnell angeht, hat den Rest des Marathons keinen Spaß. Der wohl größte Fehler ist aber, sich nicht richtig vorbereitet zu haben. Ein Marathon braucht mindestens zwölf Wochen spezifische Vorbereitung. Das bedeutet, dass man da nicht erst anfängt zu trainieren, sondern auf einen fitten Zustand dann zwölf Wochen spezifisch trainiert. Sonst sollte man sich nicht an die Startlinie stellen.“