14. Januar 2025, 15:21 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Auf die Frage, ob Frauen oder Männer besser im Krafttraining sind, lautet die erste Antwort häufig, dass das männliche Geschlecht klar im Vorteil liegt. Doch nur, weil Männer durchschnittlich mehr Muskeln als Frauen besitzen, muss das nicht sofort damit gleichgesetzt werden, dass sie auch länger durchhalten können. Eben diesen Faktor haben sich Forscher in einer Studie genauer an und liefern überraschende Ergebnisse.
Zwischen Mann und Frau gibt es grundlegende Unterschiede in der Muskulatur. So besitzt das männliche Geschlecht mehr Muskelmasse, was dazu führt, dass Männer zehn bis 20 Prozent mehr Kraftleistung aufbringen können.1 Doch Frauen besitzen tendenziell mehr Typ-1-Muskelfasern. Diese zeichnen sich durch eine langsame und aerobe Energiegewinnung (also unter Sauerstoffverbrauch) aus und spielen bei Ausdauerleistungen eine zentrale Rolle. Doch was bedeutet das nun hinsichtlich des Durchhaltevermögens beim Krafttraining? Eine Studie arbeitete heraus, dass Frauen länger ihre Kraftleistung aufrechterhalten können als Männer.
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Übersicht
Hintergrund der Studie
Die Studie hatte das Ziel, Unterschiede in der Ermüdungsresistenz und der Erholung zwischen Männern und Frauen beim Krafttraining zu untersuchen. Hintergrund der Untersuchung ist die Annahme, dass Frauen im Vergleich zu Männern eine höhere Ausdauer und Ermüdungsresistenz bei Kraftübungen haben könnten.2 Die Forscher wollten herausfinden, ob Frauen bei gleicher relativer Belastung (50 Prozent des Maximalkraftwerts, 1RM) mehr Wiederholungen schaffen und wie sich dies auf die Muskelkraft und Aktivität auswirkt. Ein weiteres Ziel war, zu prüfen, ob es Unterschiede in der Erholung zwischen den Geschlechtern gibt. Die Ergebnisse sollten helfen, Trainingspläne für Männer und Frauen besser zu optimieren und die physiologischen Unterschiede besser zu verstehen.
Dabei stand eine einfache, isolierte Übung im Mittelpunkt: der einseitige Bizeps-Curl. Um eine solide Vergleichsbasis zu schaffen, wurden ausschließlich Personen untersucht, die regelmäßig Krafttraining betreiben. Dies ist besonders relevant, da sich trainierte und untrainierte Personen stark in ihrer Leistung und Erholung unterscheiden können.
Ausführung einer Übung bis zur Erschöpfung
Die Studie führte man mit 20 Teilnehmenden durch, mit jeweils zehn Frauen und zehn Männern, die regelmäßig Krafttraining betrieben. Beim ersten Besuch der Probanden im Studienlabor testete man zunächst die Maximalkraft (1RM) und gewöhnte sie an den Übungsablauf. Beim zweiten Laborbesuch fand dann das Experiment statt: Jeweils vier Sätze führten die Teilnehmer einseitige Bizeps-Curls mit 50 Prozent der Maximalkraft bis zur völligen Erschöpfung aus.
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Die Forscher dokumentierten, wie viele Wiederholungen die Probanden ausführen konnten sowie die relativen isometrischen Kraft (MVC). Mithilfe einer Elektromyographie-Messung (EMG) maß man die Muskelaktivität nach jedem Satz und während der Erholungsphase. Darüber hinaus untersuchte man noch die Erholungsphase, um festzustellen, ob Männer und Frauen unterschiedlich schnell ihre Kraft und Muskelaktivität wiederherstellen.
Frauen schaffen rund 16 Wiederholungen mehr als Männer
„Frauen haben definitiv mehr Wiederholungen geschafft“, fasst Prof. Dr. Stephan Geisler, der nicht an der Studie beteiligt war, das Hauptergebnis zusammen. „In der Summe waren es 64,9 Wiederholungen, die Frauen in den vier Sätzen geschafft haben. Männer absolvierten dagegen durchschnittlich nur 48,3.“
Darüber hinaus verloren Frauen während des Trainings weniger Kraft. Denn ihre relative isometrischen Kraft (MVC) sank im Durchschnitt auf 76 Prozent ihres Ausgangswerts, während Männer nur 69 Prozent beibehielten. Auch die Muskelaktivität (EMG) war bei Frauen während des Trainings höher. „Das bedeutet wahrscheinlich, dass Frauen das vorhandene Potenzial effektiver ausnutzen können“, schlussfolgert der Fitnessprofessor.
Interessanterweise gab es jedoch während der Erholungsphase keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Kraft und die Muskelaktivität wurden bei Männern und Frauen ähnlich schnell wiederhergestellt.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
„Frauen können muskulär gesehen ihr Potenzial mehr ausschöpfen. Ebenso könnte man daraus schließen, dass Frauen generell mehr muskuläres Volumen – zumindest bezogen auf die einseitige Kontraktion – aufzeigen“, schließt Prof. Dr. Geisler aus der Studie.
Die Ergebnisse könnten nützlich für die Trainingsplangestaltung werden, da Trainer darauf aufbauend diese geschlechtsspezifisch anpassen sollten. Frauen könnten von höheren Trainingsvolumina profitieren, während Männer möglicherweise stärker auf kürzere, intensivere Sätze setzen sollten.
Einordnung der Studie
Die wissenschaftliche Bedeutung dieser Studie liegt unter anderem darin, dass sie die Grundlage für weitere Untersuchungen liefert. Besonders interessant wären Studien, die die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Unterschiede untersuchen, wie beispielsweise hormonelle Einflüsse, Muskelfaserzusammensetzung oder andere physiologische Faktoren. Auch die Übertragung der Ergebnisse auf andere Übungen und Muskelgruppen könnte wertvolle Einblicke bieten.
Und da kommen wir auch schon auf die Einschränkungen zu sprechen. Denn die Studie analysierte ausschließlich die einzelnen Parameter anhand einer einzigen Übung – den Bizeps-Curls. Es bleibt also unklar, ob ähnliche Unterschiede auch bei anderen Übungen oder Muskelgruppen aufträten. Zudem weist die Untersuchung eine sehr geringe Stichprobengröße mit nur 20 Teilnehmenden auf, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt.
Ein weiterer Limitierungsfaktor ist die Maximalkraft von 50 Prozent. Diese Belastung könnte für einige Teilnehmende als zu niedrig oder zu hoch empfunden worden sein, was die Ergebnisse beeinflusst haben könnte.
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Weitere Studie
Jedoch gibt es auch eine Studie, die zwar zu einem ähnlichem Ergebnis bezüglich des Durchhaltevermögens kommt, doch andere Erkenntnisse liefert, sobald die Ausgangsbedingungen verändert wurden. Diese Untersuchung aus dem Jahr 2023 analysierte, ob es geschlechterspezifische Unterschiede in der Ermüdungsresistenz bei exzentrischem Training gibt.3
Frühere Forschung hatten zwar gezeigt, dass Frauen bei isometrischen Übungen mit niedriger Intensität im Vergleich zu Männern tendenziell weniger ermüdbar sind. Allerdings war bislang wenig darüber bekannt, wie geschwächte Muskeln diese geschlechtsspezifischen Unterschiede beeinflussen. Exzentrische Übungen, die die Muskeln gezielt schwächen, bieten ein ideales Szenario, um diese Frage zu untersuchen. Die Forscher wollten klären, ob Frauen ihren typischen Vorteil in der Ermüdungsresistenz nach exzentrischem Training beibehalten und ob Unterschiede in der Muskelaktivierung dabei eine Rolle spielen.
So wurde getestet
An der Studie nahmen 19 junge, gesunde Erwachsene teil, davon neun Männer und zehn Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Zu Beginn wurde die relative isometrische Kraft (MVC) der Fußheber bei einer 35-Grad Plantarflexion (Abwärtsbewegung des Fußes) gemessen. Anschließend führten die Teilnehmenden eine isometrische Kontraktion bei 30 Prozent ihrer MVC aus, bis sie diese Position nicht mehr halten konnten. Dabei maß man die Zeit bis zum Versagen.
Nach einer Pause von 30 Minuten absolvierten die Teilnehmenden 150 exzentrische Kontraktionen, um die Muskeln gezielt zu schwächen. Dieselbe isometrische Aufgabe führte man danach erneut durch, um die Auswirkungen der Muskelschwächung zu untersuchen. Die Muskelaktivierung wurde während der Aufgaben mittels Oberflächen-EMG gemessen, wobei man die Aktivität des Tibialis anterior (agonistischer Muskel) und des Soleus (antagonistischer Muskel) erfasste.
Männer schneiden nach exzentrischem Training besser ab
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Frauen vor dem exzentrischen Training deutlich länger bis zum Versagen durchhielten als Männer: Die Zeit fiel 34 Prozent länger aus. Dieser Unterschied reflektiert den bekannten Vorteil der Frauen bei isometrischen Übungen mit niedriger Intensität.
Nach dem exzentrischen Training, das bei beiden Geschlechtern zu einem ähnlichen Kraftverlust von etwa 20 Prozent führte, wurde dieser Vorteil jedoch aufgehoben. Die Zeit bis zum Versagen sank bei beiden Gruppen um etwa 45 Prozent, sodass es keinen signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen mehr gab. Eine bemerkenswerte Beobachtung war, dass Frauen nach der Muskelschwächung eine doppelt so hohe Aktivierung der antagonistischen Muskeln (Soleus) zeigten wie Männer. Diese erhöhte Aktivität der Gegenspielermuskulatur beeinträchtigte die Fähigkeit der Frauen, die Aufgabe länger auszuführen, und reduzierte ihre sonst übliche Ermüdungsresistenz.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Vor dem exzentrischen Training waren Frauen signifikant weniger ermüdbar als Männer. Nach der Muskelschwächung durch exzentrische Übungen war dieser Vorteil jedoch verschwunden, was durch die erhöhte Aktivierung der antagonistischen Muskulatur bei Frauen erklärt werden könnte.