31. Dezember 2021, 4:39 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Von Home-Workouts über den Outdoor-Hype bis hin zur Quantified-Self-Bewegung – Fitnessprofessor Dr. Stephan Geisler spricht im Interview mit FITBOOK über die größten Fitness-Trends für 2022.
Der Jahreswechsel spielt beim Thema Fitness eine große Rolle. Viele Menschen freuen sich nach den gemütlichen Feiertagen wieder auf ihre Fitness-Routine. Auch bei zuvor Untätigen ist das neue Jahr ein beliebter Anlass, um gute Vorsätze endlich in die Tat umzusetzen. Der Sportwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Geisler verrät, welche Fitness-Trends 2022 eine wichtige Rolle spielen werden.
FITBOOK: Herr Prof. Geisler, lassen Sie uns gleich einsteigen: Was sind Ihrer Einschätzung nach die wichtigsten Fitness-Trends für das Jahr 2022?
Prof. Dr. Geisler: „Die Frage finde ich nicht leicht zu beantworten, denn wenn ich nur meine persönliche Einschätzung äußern würde, wäre die Antwort natürlich recht subjektiv gefärbt. Es gibt jedes Jahr verschiedene Erhebungen, auch weltweit, die versuchen, die Fitness-Trends zu prognostizieren. Führend ist in dem Bereich das American College of Sports Medicine, welches jährlich einen Bericht veröffentlicht. Ich als ACSM-Mitglied war selbst beteiligt und kann daher natürlich trotzdem ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern.“
Fitness-Trends 2022 – Home-Fitness auf Platz 1
Gibt es einen großen Trend?
„Der Mega-Trend für das Jahr 2022 ist meiner Einschätzung nach ganz klar Home-Fitness. Dazu muss man aber auch sagen, dass das hauptsächlich der Pandemie geschuldet ist. Es war schließlich nicht so, dass die Menschen gesagt hätten: ‚So, nun melde ich mich von meinem Fitness-Studio ab und mache meine Workouts nur noch im Wohnzimmer.‘ Stattdessen ist die Bewegung eher aus einer Notlage heraus entstanden. Trotzdem gibt es aber auch einige Trends, die seit Jahren schon bestehen und die durch Corona nur zusätzlich verstärkt wurden.“
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Welche wären das?
„Das sind zum Beispiel digitale Fitness, die Nutzung von Apps, aber auch Virtual Fitness, etwa über interaktive oder animierte Fitnessprogramme. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Trends auch 2022 wieder auf den vorderen Rängen landen werden. Ein weiteres solches Beispiel ist Social Fitness, also Fitness in Interaktion mit anderen. Ich bin kein Psychologe oder Soziologe, aber ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen gerade nach einer etwas isolierten Zeit verstärkt den Kontakt mit Freunden, Bekannten und Familie suchen. Das kann sowohl im Fitness-Studio passieren als auch bei Outdoor-Sportgruppen. Theoretisch könnte ja auch jeder seine Liegestütze für sich machen, aber anscheinend verabreden sich die Menschen momentan dazu lieber mit anderen.“
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In ist, wer draußen ist
Ist Outdoor-Training auch ein Trend?
„Definitiv. Es gibt um Outdoor-Training einen regelrechten Hype – was ich sehr befürworte. Auch hier ist die Pandemie natürlich wieder ein Katalysator, allerdings können wir schon seit fünf bis zehn Jahren einen kontinuierlichen Anstieg dieses Trends beobachten. Große Player am Markt sind beispielsweise die Anbieter „Original Bootcamp“ oder „Outdoor Gym“, die diesen Trend noch stärker etabliert haben. Inzwischen sind aber auch viele Personal Trainer oder Fitness-Studios nachgerückt, die ihr Business kurzerhand an die frische Luft verlagert haben.“
Gibt es die Tendenz, dass Menschen derzeit neben klassischen-Fitness-Training oder der bewährten Runde Joggen auch andere Sportarten ausprobieren?
„Den Eindruck habe ich schon, ja. „Urban Sports Club“ ist beispielsweise durch das Anbieten verschiedener Sportarten extrem gewachsen. Aber auch die Nachfrage nach Apps wie etwa „Freeletics“, die dem Endkunden eine Art Mini-Guide oder Trainerersatz liefern, ist angestiegen. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass die Neigung, neue Dinge ausprobieren zu wollen, unseren Zeitgeist genau trifft. Insbesondere der moderne, urbane Mensch sucht oft nach neuen Reizen und Challenges.“
Achtsamkeit, Meditation und Resilienz werden wichtiger
Welche Rolle wird 2022 die Verbindung von physischer und psychischer Gesundheit spielen?
„Eine sehr große. Stichworte wie Resilienz, Achtsamkeit, Stressbewältigung oder Wohlbefinden fallen momentan häufig. Einige Sportarten sind dafür prädestiniert – etwa Yoga, Tai-Chi, autogenes Training oder Meditation. Das haben inzwischen viele Fitness-Anbieter für sich entdeckt und integrieren das in ihr Angebot. Solche Kurse werden seit Jahren sehr gut genutzt, das ist also nicht erst durch die Pandemie aufgeploppt. Die durch Corona ausgelöste Sinnkrise vieler Menschen befeuert das Bedürfnis danach aber natürlich umso mehr.“
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Wie schätzen Sie die Entwicklung des „Quantified Self”-Trends ein, also des engmaschigen Trackings von Gesundheits- und Fitnessdaten?
„Diesen Trend sehe ich zwiegespalten. Einerseits ist es im ersten Moment für viele Menschen gar nicht schlecht, wenn ihnen objektive Daten zeigen, dass sie sich beispielsweise zu wenig bewegen oder ihren Kalorienbedarf stark überschreiten. Als Wake-Up-Call können Fitnesstracker also durchaus sinnvoll sein. Andererseits hat diese ‚Tracking-Wut‘ auch ihre Schattenseiten. Trackt man dauerhaft sämtliche seiner Gesundheits- und Bewegungsdaten, kann so etwas auch stark unter Druck setzen.“
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Welche Wünsche haben Sie für die Entwicklung der Fitness-Trends 2022?
„Es gibt zwei Dinge, die ich sehr gern in den Fitness-Trends 2022 sehen würde. Das Erste ist ganz klar das Krafttraining für ältere Menschen. Für die Gesunderhaltung und die Selbstständigkeit im Alter hat das nämlich eine enorme Bedeutung. Ich wünsche mir deshalb mehr spezielle Angebote auf dem Markt für ältere und ganz alte Menschen, die von fundiert ausgebildeten Trainern angeleitet werden. Ähnliches gilt übrigens auch für Kinder. Deren sportliche Aktivitäten müssen sich nicht zwangsläufig nur auf den Fußballplatz oder das Handballfeld beschränken. Kinder dürfen genau so auch ins Fitness-Studio und unter guter Anleitung oder in geführten Kids-Kursen Kraftübungen durchführen.“
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Und was noch?
„Mein zweiter Wunsch lautet, dass zukünftig noch mehr auf die Qualität von Anbietern geachtet wird. Wir sollten uns bei der Wahl unseres Fitness-Studios nicht von einem stylischen Interior blenden lassen, sondern darauf schauen, wie gut die Trainerinnen und Trainner ausgebildet sind.“