26. April 2019, 15:11 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Schauspieler, Kampfkunstmeister (in rund 11 Disziplinen!), erfolgreicher Teilnehmer bei „Let’s Dance“ und jetzt auch Fitness-Model – es kommen immer mehr Talente von Benjamin Piwko (39) ans Licht. Er selbst findet das alles offenbar nicht allzu bemerkenswert. „Ich bin normal“, sagte er im FITBOOK-Interview, „ich kann nur nicht hören.“ Wie der Sport ihm dabei hilft, mit seiner Gehörlosigkeit und ihren Folgen umzugehen, und was Piwko im Kraftraum garantiert anders macht als Sie, erfahren Sie bei uns.
Benjamin Piwko ist Schauspieler und Kampfkunstlehrer. Viel mehr, als was er beruflich macht, war gemeinhin nicht so bekannt, bevor er im Rahmen der RTL-Show „Let’s Dance“ (jeden Freitag ab 20.15 Uhr) vorgestellt wurde. Wie einige seiner prominenten Kollegen der diesjährigen Staffel hatte er vorher noch nie getanzt. Der Unterschied zu den anderen: Piwko ist absolut gehörlos – er hört keinen Ton, weder Musik noch die Anweisungen der RTL-Regie oder seiner Tanzlehrerin. Strenggenommen ein Handicap, das man ihm in Aktion aber nicht ansieht. Im Gegenteil, Piwko überzeugt Jury und Fans Woche für Woche.
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FITBOOK trifft Benjamin Piwko
Es ist erstaunlich: Selbst ohne Gebärdendolmetscher kann man sich gut mit Benjamin unterhalten. Als einer von extrem wenigen Menschen auf der Welt kann Benjamin nicht nur Lippenlesen, sondern auch sprechen.
Benjamin lernte Gebärdensprache erst als Teenager
„Benjamin dachte seine gesamte Kindheit über, er sei schwerhörig und nicht gehörlos. Seine Mutter hatte ihn und sein Umfeld in dem Glauben gelassen, damit er auf eine Schwerhörigenschule gehen und so in Kontakt mit anderen Kindern und Jugendlichen treten konnte. Dabei ging es ihr darum, dass er sein volles Potential ausschöpft: Hätte er Gebärdensprache gelernt, hätte er das mit dem Sprechen sicherlich bald aufgegeben. Ohne es anders zu kennen, wusste er natürlich nicht, wie man diese stete Stille definiert. Erst mit 14 verstand er, was ihn von seinen schwerhörigen Mitschülern unterschied: als die ersten Handys kamen und er, anders als die anderen, damit partout nicht telefonieren konnte. Den Gebärdensprachenkurs finanzierte er sich von seinem eigenen Taschengeld.“–
Der Hintergrund: Mit gerade einmal acht Monaten verlor Benjamin seinen Hörsinn aufgrund einer Virusinfektion. Als Benjamin zwei war, zog seine Mutter mit ihm in die Schweiz und schickte ihn auf eine Privatschule zum Sprachkurs, wo ihm beigebracht wurde, wie man spricht ohne zu hören: über seine Hand am Kehlkopf der Lehrerin, wodurch Benjamin den Vibrato erkannte und so verstand, wie sich einzelne Töne anfühlen. Dies dauerte viele Jahre. So hart es damals war – in einem Alter, in dem ein Kleinkind lieber spielt anstatt an einem Pult zu sitzen: Heute ist Benjamin natürlich froh, durchgehalten zu haben. Und es zeigt sich schnell, wovon er am liebsten spricht.
Piwko: „Sport ist für mich Therapie“
Von jeher war Sport ein ganz wichtiger Bestandteil seines Lebens. Angefangen mit Judo (im Alter von gerade einmal fünf Jahren) sollten immer mehr Kampfkünste dazu kommen, darunter Aikido, Thaiboxing, Escrima, Wing Tsung, Wun Hop Kuen Do-Kung Fu, um nur einige zu nennen. Kampfsport bedeutete „etwas Männliches“ für ihn. Als Einzelkind seiner alleinerziehenden Mutter – und Enkel eines erfolgreichen Boxers – war der Weg in den Kampfsport ein natürlicher, der ihm zudem zu mehr Selbstbewusstsein verhalf. Daran hat es beim gehörlosen Benjamin im jungen Kindesalter etwas gefehlt.
In seiner eigenen Kampfkunstschule in Hamburg (– Piwko hat zwei Wohnsitze: einen in Hamburg und einen in New Orleans/USA) hat er zehn Jahre lang Erwachsene und Kinder in Kampfkunst, Gewaltvermeidung und Motivation unterrichtet. Nun gibt er auf der ganzen Welt Workshops. Über 30 Jahre hatte er immer viel und lange trainiert. Als er davon scheinbar eine Auszeit brauchte, reiste er nach Hawaii – um hier wieder Kampfsportkurse zu geben, diesmal in erster Linie in den Disziplinen Kajukenbo, Dacascos, Philippinischem Combat und klassischem Boxen. Er kann und will nicht ohne.
„Sport ist für mich Therapie“, erklärt uns Benjamin Piwko. „Er hat mir immer geholfen, einen Ausgleich zu finden und auszubrechen.“ Diese Leidenschaft hat nicht zuletzt seine Mutter unterstützt, die sich schon früh vorstellen konnte, dass es für ihr Kind anstrengend sein muss, sich in der hörenden Welt zurechtzufinden. Und er bestätigt: „Ich muss mich immer sehr konzentrieren. Training hingegen ist eine Kommunikation ohne Worte, dabei muss man nicht sprechen.“
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Wie trainiert Benjamin Piwko?
Normalerweise, also wenn die intensive Vorbereitung für „Let’s Dance“ nicht seinen Wochenablauf bestimmt, trainiert er zweimal am Tag: morgens und nach einer Pause, in die auch ein Nickerchen gehört (– „damit der Körper sich wieder reparieren und neue Energie sammeln kann“, wie er sagt), dann noch einmal am Mittag. „Ich mache morgens eine Stunde Ausdauertraining, das sich aus verschiedenen Übungen à jeweils 15 Minuten zusammensetzt, damit der Kreislauf gleichmäßig zu laufen beginnt.“ Eine Stunde sei dafür aber auch das Maximum, denn: „Wenn man mehr macht, bauen die Muskeln ab, da muss man aufpassen.“ Der zweite Teil des Trainings ist eine halbstündige Krafttrainingseinheit. Dazu kommt alle zwei Tage eine Stunde Schattenboxen und Thaiboxen, um den Oberkörper effektiver aufzubauen. Vor dem Aufwärmen geht er, um nicht an Energie zu verlieren, mit Sportkleidung kurz in die heiße Sauna. Sobald er schwitzt, fängt er mit dem Training an.
»DAS ist das Wichtigste beim Krafttraining!
Benjamin greift jede Muskelgruppe nur einmal pro Woche an – „bis auf den Bauch, den kann man jeden Tag trainieren.“ Dem Bauch kommt im Kraftraum also Benjamins größte Aufmerksamkeit zu. Er glaubt, dass viele die Bauchübungen ans Ende der Einheit setzen, und macht es selbst aber anders. „Der Bauch ist das Zentrum. Es ist wichtig, ihn am Anfang trainieren, damit man warm wird und der gesamte Körper besser arbeiten kann.“
Seine Routine zahlt sich aus. „Let’s Dance“-Fans können Freitag um Freitag seine starke Körperhaltung beurteilen und wie fit er ist, die anspruchsvollen Figuren zu halten und Tanzpartnerin Isabel Edvardsson (36) übers Parkett zu wirbeln. Als Kampfsportler ist er es beispielsweise gewohnt, in Deckung zu gehen – seinen Hals zu „schützen“. Beim Tanz muss dieser gestreckt und offen sein. Übrigens: Wie genau er es schafft, die komplizierten Choreografien zu lernen, die die Edvardsson ihm beibringt – die ist immerhin deutsche Meisterin in Standardtänzen! –, bleibt wohl ein stückweit ein Rätsel. Auch wenn er versucht, es uns genauer zu erklären.
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Wie kann man tanzen, ohne die Musik zu hören??
Die beiden arbeiten im Training viel mit Blicken und haben, um beim Tanzen synchron zu bleiben, verschiedenen Methoden entwickelt. Beispielsweise ist da der Händedruck. Es gibt Schritte und Tänze, bei denen gehört das Halten der Hände dazu. Damit Benjamin rechtzeitig beginnt – und somit auch im Takt bleibt, den er schließlich nicht hören kann – hilft die Stärke, mit der Isabel seine Hand drückt. „Das hat uns vor allem auch beim Walzer sehr geholfen“, verrät Benjamin. „Drückte Isabell zu, sind wir in die Knie gegangen. Ließ sie locker, gingen die Schritte wieder hoch.“
Wie er versichert, brauche er aber gar nicht so lang, um sich die Schrittfolge zu merken. Von den vier verfügbaren Trainingstagen pro Woche genügen ihm in der Regel zwei. „Ich habe ein Talent, glaube ich.“ Ja, das glauben wir auch.
Und apropos Talent. Benjamin Piwko ist wie erwähnt auch Schauspieler, verkörperte etwa 2016 einen Gehörlosen in „Tatort: Totenstille“. In seiner zweiten Heimat Amerika hat er schon häufiger vor der Kamera gestanden. Das liege aber grundsätzlich daran, dass dort die Gehörlosen-Community (laut Benjamin leben in den USA 30 Millionen) stärker in die hörende Welt integriert werden.
Er sieht auch in Deutschland eine positive Entwicklung – nicht zuletzt dadurch, dass RTL ihn an der Tanzshow teilnehmen lässt und auch McFit ihn wie einen normalen Menschen behandelt. „Denn ich bin normal. Ich kann nur nicht hören.“ Benjamin ist froh darüber, durch seine mediale Präsenz wichtige Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt zu haben. Das sei sein Ziel gewesen: dass Gehörlose und Hörende mehr miteinander in Kontakt kommen und den Mut haben, einander anzusprechen. So würde man hoffentlich erkennen, dass man voneinander lernen und profitieren kann. „Die Leute haben nicht gelernt, dass wir alle eine Super-Power haben,“ sagt er. Die, die nicht hören können, sähen anders und teilweise mehr. Jeder hat unterschiedliche Superkräfte.
Diesen Freitag ist Benjamin wieder bei „Let’s Dance“ zu sehen. Ob er es bis ins Finale am 14. Juni schafft, wird sich noch zeigen müssen. Aber egal wie es weitergeht: Das mit dem Tanzen will er auf jeden Fall weitermachen. „Ich glaube, Tanzen ist mein neuer Lieblingssport – vielleicht in einer Mischung mit Kampfsport“, überlegt er mit uns. Er ist sehr gespannt auf „spannende Projekte“, die teilweise offenbar schon angedacht sind. Wir wünschen ihm dabei viel Erfolg.