22. September 2020, 12:35 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Von leichten Verspannungen bis hin zu starken Rückenbeschwerden, vom Läuferknie bis zum blockierten Iliosakralgelenk: Eine Vielzahl an Bewegungseinschränkungen und Schmerzen wird inzwischen auf mangelnde Geschmeidigkeit der Faszien zurückgeführt. Entsprechend groß ist der Trend, jenes hauchdünne Bindegewebe zu trainieren. Wie man die Faszienrolle optimal für die eigenen Bedürfnisse nutzt, erklärt Faszienexperte Robert Schleip.
Hinter Faszientraining steckt die inzwischen durch verschiedene Studien belegte Theorie, wonach alle Muskeln und Organe im Körper über ein bindegewebsartiges Netz verbunden sind. Dieses sogenannte fasziale Gewebe kann – durch Nichtbeanspruchung – „verkleben“, was zu einer Reihe von Beschwerden und Schmerzen führt. Am häufigsten ist in diesem Zusammenhang von unspezifischen Rückenschmerzen die Rede; aber auch Verspannungen am ganzen Körper, generell mangelnde Beweglichkeit sowie konkrete Syndrome wie beispielsweise das berühmte Läuferknie oder die IGS-Blockade werden inzwischen u.a. darauf zurückgeführt.
Dieses Bindegewebe locker und geschmeidig zu halten, indem es durch Druck stimuliert wird, ist die Idee von Faszientraining. Bekanntestes Arbeitsgerät hierfür ist die Faszienrolle – als deren Taufpate der US-amerikanische Bewegungstherapeut Tom Myers gilt.
Dr. Robert Schleip leitet das Fascia Research Project der Universität Ulm und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Kraft und dem Potenzial der Faszien, die er sogar als eigenes „Sinnesorgan“ bezeichnet. Welche Funktion Faszien erfüllen und woran man gesunde Faszien erkennt, hat er bereits an anderer Stelle bei FITBOOK erklärt.
Die richtige Druckintensität für effektives Faszientraining
Beliebtestes Trainingsgerät in diesem Zusammenhang ist die Faszienrolle. Produziert aus Kunststoff in unterschiedlichen Härtegraden, rollt man mit der verspannten Muskelpartie (Oberschenkel, Po, Rücken…) darüber hinweg. Der dadurch entstehende Druck bzw. Massageeffekt kann es in sich haben – je nachdem, wie viel Körpergewicht man auf die Rolle verlagert bzw. über sie hinwegrollt.
Laut Robert Schleip sollte der Körper ein Zehntel bis Fünftel des eigenen Körpergewichts im Rumpfbereich und an den Oberschenkeln an Druckintensität aushalten können. Er nennt das den „Wohlwehbereich“. Dort solle man so lange verweilen, wie es der eigene Körper verlange.
Von schmerzhaftem Faszientraining rät der Experte ab
„Beim Training mit der Rolle sollte es einem möglich sein, in einem einzigen Ausatemzug vier hörbare Silben wie „Ma-ma-Mi-a“ oder „Alt-er-Schwe-de“ von sich zu geben“, so der Faszienexperte gegenüber FITBOOK. Von noch schmerzhafteren Bekanntschaften mit der Faszienrolle rät er ab: Diese würden „deutlich jenseits des therapeutischen Bereichs“ liegen.
Wem das Darüber-hinweg-Rollen zu schmerzhaft ist, dem empfiehlt Schleip, im Stehen mit einer Rolle hinter dem Rücken an einer Wand zu rollen. Wer keine Faszienrolle zu Hause hat, kann verklebte Faszien auch mit einer Wasserflasche lösen. Dies erfordert allerdings ein wenig Vorsicht.
Faszientraining vor dem Sport
Das Bearbeiten der Faszien ist grundsätzlich eine sinnvolle Ergänzung zum Training. Besonders dienlich sei der Einsatz der Rolle vor der Ausübung von Sportarten, die viel Beweglichkeit in den Gelenken fordern (wie bspw. Yoga, Turnen oder Schwimmen): Durch das Ausrollen mit der Faszienrolle lässt sich die Gleitfähigkeit zwischen Muskel- und Fasziengewebe verbessern. Robert Schleip empfiehlt 15 Minuten vor dem Training oder einem Wettkampf „herzhafte, schnelle Rollbewegungen“, um die Durchblutung zu steigern, den Stoffwechsel anzuregen und das Gewebe fit zu machen.
Faszientraining nach dem Sport
Und nach dem Training? Studien belegen, dass die Faszienrolle die Regeneration von einem Muskelkater beschleunigt. Sind Muskelkater oder ähnliche Schmerzen nach intensivem Sport entstanden, empfiehlt der Experte nach dem Training zweimal täglich mit der Faszienrolle zu arbeiten – und das so lange, bis die Schmerzen komplett weg sind. „Nach einem Triathlon-Wettkampf ist es durchaus effizienter, die beanspruchten Muskeln mit einer Faszienrolle zu bearbeiten, als sich passiv auf der Massagebank behandeln zu lassen.“
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Die richtige Faszienrolle
Faszienrollen gibt es in verschiedenen Härtegraden. Für die Wahl der richtigen Rolle empfiehlt der Experte, diese am besten an mehreren Körperstellen zu testen (nach o.g. Kriterien). Von billigen, meist aus Asien stammenden Produkten rät Schleip ab. Für vibrierende Faszienrollen gibt er grünes Licht: Erste Studien würden eine noch bessere Regeneration gegenüber der einfachen Faszienmassage bestätigen.
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Fazit
Studien haben ergeben, dass Muskelkater nach einem Training mit der Faszienrolle schneller abklingt und die Regeneration beschleunigt wird. Laut Robert Schleip gibt es auch robuste Hinweise darauf, dass mit Faszientraining die Beweglichkeit vergrößert werde. Außerdem verbessere sich die Durchblutung und Hydration (also Wasserversorgung und -speicherung) der Faszien. „Wer regelmäßig seine Faszien trainiert, profitiert langfristig von einer verbesserten Körperwahrnehmung und vermindert das Auftreten von Schmerzen“, so der Experte gegenüber FITBOOK. Und das muss gar nicht schmerzhaft sein.