10. April 2024, 11:32 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Normalerweise sitzt Erik Jäger als Trainer des amerikanischen Fitnessgerätespezialisten Peloton auf dem Indoorbike und stemmt Gewichte. Krafttraining ist seine Welt, da macht ihm keiner so schnell etwas vor. Nun lief er am vergangenen Sonntag zum ersten Mal mit ernsten Absichten und einer Zielzeit von 1:40 Stunden einen Halbmarathon. Wie schmerzhaft war das?
Schweißgeruch liegt in der Luft. Menschen mit starrem Blick und starren Gliedern bahnen sich an diesem frühen Sonntagnachmittag ihren Weg hinunter zu den U- und S-Bahn-Gleisen am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Man lechzt nach einer Ruhephase, der Dusche und dem Sofa. Aber bis es so weit ist, müssen sie noch durch die Menschenmasse hindurch und in den nassen Klamotten, die wie getrockneter Orangensaft am Leib kleben, auf den Zug warten. Einer, der diese Probleme an diesem Tag nicht hat, ist Erik Jäger: Der Peloton-Trainer ist einer von 35.000 Menschen, der den Berliner Halbmarathon gelaufen ist – aber für ihn steht, weil sein Arbeitgeber Mitsponsor des Events ist, unmittelbar hinter dem Zielbereich ein gediegenes Hotelzimmer bereit, von dem aus er um 15 Uhr frisch geduscht und im sommerlichen Look zum FITBOOK-Interview erscheint. FITBOOK und Erik Jäger sind alte Bekannte, haben gemeinsam Dutzende Trainingsvideos gedreht. Inzwischen ist er deutschlandweit bekannt – und uns hat interessiert, wie er als Krafftraining-Experte den Halbmarathon gemeistert hat.
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„Mein Puls lag die ganze Zeit bei 185“
FITBOOK: Erik Jäger, du bist den Berliner Halbmarathon zwar schon zweimal gelaufen, aber zum ersten Mal mit einer persönlichen Zielzeit, die mit 1:40 Stunden echt ambitioniert war. Du hast viele Jahre eher auf Krafttraining gesetzt – wie hat sich das Rennen vor diesem Hintergrund für dich angefühlt?
Erik Jäger: „Ich bin reingestartet und direkt viel zu schnell losgelaufen. Die Uhr hat die ersten zwei, drei Kilometer eine Pace von 4:25 Minuten angezeigt, mein Ziel waren 4:40. Deshalb musste ich mich nach drei Kilometern von meinen Mitläufern abreißen lassen, unter denen auch André Schürrle war. Das waren übrigens dann hintenraus genau die drei Kilometer, die schwer wurden. Mein Puls lag die ganze Zeit bei 185. Das musste ich durchhalten, um da hinzukommen, wo ich hin wollte. Wohlgefühlt habe ich mich nicht. Aber ich habe das abgerufen, was ich wollte. Zweimal bin ich kurz in einen Flow gekommen, habe es aber nicht geschafft, das zu halten.“
Was ging dir durch den Kopf in dem Moment, in dem du über die Ziellinie gerannt bist?
„Zuerst dachte ich: ‚Ich habs geschafft‘. Und dann: ‚Ich bin völlig im Eimer. Mir tut alles weh, ich bekomme gleich überall Krämpfe‘. Und natürlich realisiert man dann: Ich bin genau das gelaufen, was ich mir vorgenommen hatte: 1:40 Stunden und zehn Sekunden. Die zehn Sekunden hätte ich irgendwie noch herausholen können, aber meine Uhr war falsch eingestellt, sodass ich die Gesamtzeit nicht im Blick hatte, sondern nur die Pace.“
Was war der Tiefpunkt während des Laufs?
„Zwischen Kilometer 18 und 20 hat die Anzeige für Kilometer 19 gefehlt. Das hat mich komplett rausgebracht! Bei Kilometer 15 hatte ich einen kleinen Einbruch und leichtes Seitenstechen.“
Ab Kilometer 15 halfen nur noch richtige Ballersongs
Was hat da geholfen?
„Richtige Ballersongs auf den Ohren. Linkin Park, Limp Bizkit und Metallica. Davor eher intensives Elektro mit Happy-Moments. Die Musik lässt mich vergessen, das lenkt mich ab. Die letzten zwei Kilometer habe ich die Musik herausgenommen, weil sooo viele Leute da waren. Das wollte ich aufsaugen!“
Welche Rolle spielte die Musik für deinen Lauf?
„Ohne Musik wärs für mich schon schwer gewesen, weil ich zu sehr abdrifte und denke: ‚Oh, jetzt ist es aber anstrengend.‘ Die Musik gibt mir die Möglichkeit, wirklich abzuschalten. Ansonsten denke ich alle drei Sekunden: ‚Habe ich jetzt noch Lust? Mache ich noch weiter? Laufe ich schneller, laufe ich langsamer? Was ist das da drüben?‘ Da ist die ganze Zeit die Birne an! Dagegen sind Musik, Podcasts und Outdoor-Kurse auf den Ohren schon echt hilfreich.“
Die krasseste Trainingseinheit in der Vorbereitung auf den Halbmarathon
Du hast deinen Körper drei Monate lang darauf trainiert, über einen langen Zeitraum konstant ein Tempo von 12,7 km/h halten zu können. Was waren die schmerzhaftesten Momente in der Vorbereitung auf diesen Halbmarathon, Erik Jäger?
„Klar ist: Um schneller zu werden, muss man Momente aushalten können, in denen Training wehtut. Auch ich musste meine Schmerzgrenze verschieben, um mein Ziel zu erreichen. Das war schon hart! Für den Lauf wurde ich von dem Lauftrainer Tobias Heinze gecoacht. Meistens sollte ich im Training Intervallläufe, 2000 Meter oder zehnmal 200 Meter laufen. Mein krassestes Training waren Neun-Minuten-Intervalle auf dem Laufband. Neun Minuten so schnell du kannst, was bei mir 14,5 Km/h waren. Dazwischen regeneratives Laufen für vier Minuten. Und das ganze viermal hintereinander. Da bin ich wirklich gestorben.“
Gibt es Tipps von erfahrenen Läufern, die du komplett ignorierst?
„Viele versuchen, dir den Vor- oder Mittelfuß einzureden. Aber ich rolle komplett ab und fühle mich wohl dabei. Dadurch habe ich allerdings eine längere Bodenkontaktzeit, was Geschwindigkeit kostet.“
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Was hast du unterschätzt?
„Das Grundlagentraining. Es ist super wichtig, den Bereich zu trainieren, in dem du dich noch easy unterhalten kannst. Da baut der Körper die Möglichkeit auf, viel mehr Energie zu speichern, die man dann im Wettkampf abrufen kann.“
Hättest du das Tempo auf den letzten fünf Kilometern nochmal anziehen können, wie es dein Coach vorgeschlagen hat?
„Wenn ich den krassen Willen gehabt hätte, in dem Moment zu sagen: Es geht jetzt darum, dir selbst das krasseste zu ermöglichen, was du dir jemals erträumt hast, dann hätte ich mich da noch hin pushen können.“
Hast du an den Wasserstationen getrunken?
„Das ist so schlimm! Alles ist nass und voller Leute. Ich weiß nicht, wie viele sich da hingelegt haben. Mein Tipp: Bittet unbedingt Freunde oder Familie, euch an der Strecke Getränke zu reichen.“
„Wenn ich dabei Musik höre, fühle ich eine echte innere Freiheit“
Was bedeutet das Laufen für dich?
„Ich hatte Anfang des Jahres ein paar Dinge, die nicht so ideal gelaufen sind und mich beschäftigt haben. Ich glaube, das haben wir alle immer wieder. Das Laufen kam für mich zum perfekten Zeitpunkt. Denn ich habe das Abschalten beim Training gebraucht. Wenn ich dabei Musik höre, fühle ich eine echte innere Freiheit.“
„Seitdem ich laufe, habe ich keine Rückenschmerzen mehr“
Du kommst aus dem Krafttraining, deine Peloton-Kurse sind klassisches Krafttraining mit Gewichten. Was macht dir mehr Spaß: Laufen oder Krafttraining?
„Ich würde nicht auf Krafttraining verzichten und zehn Kilogramm abnehmen, um einen Halbmarathon in 1:30 Stunden laufen zu können. Auch ein Marathon ist mir zu viel. Training muss auch mal wehtun, aber grundsätzlich will ich mich wohlfühlen und mir ist wichtig, dass ich Spaß daran habe. Aber ich muss sagen: Vom Kreuzheben hatte ich immer Rückenschmerzen. Seitdem ich laufe, habe ich keine Rückenschmerzen mehr. Beim Laufen habe ich Spaß – aber ich weiß, dass Krafttraining das Fundament für alles ist. Das braucht man auch, um verletzungsfrei zu laufen, seien es zehn Kilometer oder ein Halbmarathon. Müsste ich wählen zwischen einem Jahr nur laufen oder nur Krafttraining, würde ich mich für letzteres entscheiden.“
Und mit welcher Art von Training baust du Kraft auf: Mit Gewichten oder dem eigenen Körpergewicht?
„Gewichttraining macht den Unterschied. Gewichte helfen immer, stärker zu werden. Wenn man nur mit dem eigenen Körpergewicht trainiert, ist man limitiert. Ich bin überzeugt davon, dass man später extrem von dem profitiert, was man bis 50 getan hat. Danach dem Körper noch etwas neu anzutrainieren, ist schwierig. Ob man bei der Kniebeuge mit dem Po den Boden berührt oder nicht, ist übrigens völlig egal.“
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Und dann war da noch das Thema Vaseline
Eugen Fink, der Mann hinter den Kraft Runners, hat dir in einem Insta-Live kurz vor dem Wettkampf dringend empfohlen, Vaseline in sämtliche Körperfalten zu schmieren. Hast du seinen Rat befolgt? Und welche Tipps kannst du sonst noch geben?
„Ich habe mir Vaseline auf die Innenseite der Oberschenkel geschmiert. Das half sehr! Die Pobacken sind vielleicht bei einem 100-Kilometer-Lauf wichtig ;). Ein Gamechanger waren die vier Gels, die ich dabei hatte und vor dem Lauf, bei Kilometer fünf, zehn und fünfzehn hergenommen habe.“
Erik Jäger, was war dein schönster Moment beim Berliner Halbmarathon?
„Der war bei Kilometer 1,2, da stand meine Familie. Und bei Kilometer 18,5, da stand links eine sehr attraktive Frau. Wir haben uns angegrinst und ich dachte: ‚Für sie läufst du jetzt nochmal ein bisschen schneller!’“