3. April 2020, 4:33 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Unsere Redakteurin will 10 Kilometer in unter 45 Minuten laufen. Zurzeit drückt und zieht und sticht es dauernd irgendwo rein oder wird dick und muss hochgelagert, gekühlt, gewärmt oder massiert werden. Dabei hätte sie in Corona-Zeiten so schön trainieren können – was wäre in der Mittagspause alles möglich gewesen! Es ist zum Jammern.
Es gibt es gerade kein Gespräch mehr, in dem man nicht beim Coronavirus landet. Bei uns in der Redaktion ist das nicht anders. Pumpern ohne gut ausgestattetes Home Gym zum Beispiel hat das Coronavirus das Training schockgefroren. Sie haben jetzt die Wahl zwischen Konservendosen- und Klopapier-Workouts bei Instagram (alles schon gesehen) oder 270 Euro für 30-Kilo-Hantelscheiben, die sonst 80 Euro kosten. Lieferung am Sankt Nimmerleinstag inklusive.
Corona-Krise? Joggen geht immer!
Als Läuferin, die noch dazu am liebsten alleine unterwegs ist, habe ich da sehr viel mehr Glück und werden mit einem Stück Normalität beschenkt: Kein Kontaktverbot hält mich davon ab, draußen im Wald oder Park wie immer meine Runden zu drehen. Wir sollen sogar, habe ich gelernt, denn das Coronavirus mag die frische Luft nicht sonderlich. Und bildet nicht das Homeoffice den perfekten Rahmen? Ein kurzer Lauf in der Mittagspause, keine Fahrt vom Büro nach Hause, in der Man kostbare Lauf-Zeit verplempert. Noch dazu ist es abends endlich wieder länger hell und man muss nicht mehr als Grubenarbeiter losziehen. Wenn man so will, herrschen für Läufer gerade keine besseren Bedingungen…
Lauftraining an der K***grenze und großer Fahrtspiel-Liebe
Was ich zu Beginn meiner Challenge nicht erwartet hätte: Lauftraining kann unglaublich abwechslungsreich sein! Der Coach führt mich ein in das Lauf-ABC (Anfersen, Hochfersen und was alles dazu gehört). Wir machen Fußgelenkarbeit, beispielsweise Seilspringen in allen möglichen Varianten. Ich soll Kraftausdauer-Zirkel mit Widerstandsbändern an den Knien, irre anstrengenden Knie-Hebe-Läufen und Seithopsern machen, die neben der Ausdauer die Rhythmik schulen. Wir machen eine Art Pferdekutschen-Spiel, bei dem ich gegen ein Widerstandsband, das um meine Hüfte gelegt ist, ansprinte – also in etwa wie ein panischer Gaul, der auf der Stelle galoppiert, weil die Kutsche im Graben hängt. Auch kam ich schon in den Genuss eines Vollgas-Laufs über zwei Kilometer (hart an der Kotzgrenze, sage ich euch – aber eine ganz interessante Erfahrung, weil man den Punkt spürt, an dem die Kraft zu Ende ist und der Wille übernimmt). Aber wirklich angetan hat es mir eine andere Trainingsform: Geländeläufe über mittlere und längere Distanzen, bei denen man mit dem Tempo spielt. Das sogenannte Fartlek-Training (kommt aus dem Schwedischen von fart = Geschwindigkeit und lek = Spiel), auch Fahrtspiel genannt.
Schotter, Wiese, Sand, Geröll – neues Laufterrain
Wie muss man sich das vorstellen? Der Coach hatte mich für so eine Fartlek-Laufeinheit in einen hügeligen Park bestellt. Nach dem obligatorischen Warm-up, bestehend aus Einlaufen, Dehnübungen und Fußgelenksarbeit, lief ich über 45 Minuten folgendes Intervall in Dauerschleife: 3 Minuten gemütliches Jogging, 2 Minuten zügiger Dauerlauf, 30 Sekunden Sprinten. Der Coach auf dem Mountainbike mit Stoppuhr vorneweg („Ich muss ja wissen, dass du dir irgendwann selbst ordentlich einschenkst!“), die Strecke sagte er spontan an und es ging querfeldein: Wiesen, Treppen, Schotter, Sand, Geröllhänge, Asphalt. Verdammt anstrengend, aber das kurzweiligste Lauftraining, das ich je absolviert habe. Zehn Kilometer Fahrtspiel gehen schneller vorbei als zehn Runden (vier Kilometer) im Stadion. Wer die Trainingsvariante noch nicht kennt, sollte sie unbedingt einmal ausprobieren!
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Und dann nahm das Unglück seinen Lauf
So fantastisch die ersten Trainingswochen für mich liefen, so hart war der Dämpfer: Ich finde, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass eine Lawine von kleinen und großen (Läufer-)Wehwehchen auf mich zugerollt ist und mich und meine Motivation teilweise unter sich begraben hat. Läuferisch befinde ich mich momentan in einer Krise. Was ist los?
Das Unglück nahm mit einem Bauchplatscher beim gemütlichen Joggen seinen Lauf, etwa zu der Zeit, als das ganze Corona-Ding wirklich ernst wurde. Ein paar Schürfwunden, nichts Schlimmes. Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen. Allerdings hätte ich am nächsten Tag besser nicht aufstehen sollen: Ich knickte auf einer Treppe mit dem rechten Fuß um. Ironischerweise führte die Treppe direkt zu meiner Physiotherapeutin (ich habe gelegentlich Nackenprobleme), sodass die Diagnose rasch gestellt war: Zerrung des oberen Sprungbands. Wie lange… dauert… ? Ich traute mich kaum, die Frage ganz auszusprechen. „Tage, Wochen… alles ist möglich“, bekam ich als Antwort.
Alle bisherigen Teile der Kolumne:
- Warum ich 10 Kilometer in unter 45 Minuten laufen will
- Ein höllischer Funktionstest – und die Entdeckung der Langsamkeit
„Was maaaachst duuuuu dennn?“ Die Ratlosigkeit von Coach Egidijus war nachvollziehbar. Beantworten konnte ich seine Frage nicht. Um den Schaden so gering wie möglich zu halten, sollte ich mich an die PECH-Regel halten: Pause, Eis, Kompression, Hochlegen. Die Verletzung sei zwar „blöd“ und „typisch für Sportler“, allerdings „nichts Dramatisches“, erfuhr ich. Da wollte mir jemand Mut machen.
Egidijus sollte mit seinem Optimismus Recht behalten: Nach nur zehn Tagen sah der rechte Knöchel nicht nur wieder normal aus, er fühlte sich auch so an. Vorsichtig testete ich ein paar kürzere Joggingrunden. Der Fuß hielt! Doch weil ich nun unbewusst eine Schonhaltung einnahm, überlastete ich plötzlich das andere Bein – und öffnete damit ein weiteres Kapitel im Läufer-Wehwechen-Lexikon: die verhärtete Wade.
Und dann auch noch die Wade
Aus dem anfänglichen Ziepen wurde mit der Zeit ein stechender Schmerz, der sich bei jedem Schritt bemerkbar machte. Ich hatte mir noch nie Gedanken um meine Waden gemacht – die hingen an den Knien dran, die auch hin und wieder Problemchen machten, dafür hatte ich aber eine Bandage – die Waden hingegen funktionierten einfach immer irgendwie. Nein, meine Waden hatte ich wirklich nicht auf dem Schirm. Aber jetzt drängte sich eine von ihnen in den Vordergrund.
10km in unter 45 Minuten Lauf-Challenge, Teil 5 – mein Coach ist entsetzt
10km in unter 45 Minuten Lauf-Challenge, Teil 2 – ein höllischer Funktionstest
Lauf-Challenge 10 Kilometer in unter 45 Minuten – Tag der Entscheidung
Ich wurde hektisch, statt auszuruhen
Auf der Strecke rief ich mir Mantras ins Gedächtnis, die ich dem Coach entlockt hatte: „Im Kopf zum Läufer werden“, oder „kann ich das jetzt gerade wirklich nicht aushalten?“ Ich hielt aus, mied den Asphalt, wo es nur ging, um die Wade zu schonen, dehnte mich vor und nach den Läufen ausgiebig. Massierte und klebte Wärmepflaster auf (ich hätte schwören können, ich hätte mir auf der Wade ein Spiegelei braten können, so sehr brannte das). Ich wurde hektisch. Und gleichzeitig führten diese ganzen Maßnahmen nur dazu, dass es immer schlimmer wurde: Zuletzt konnte ich gar nicht mehr „Laufen“, sondern nur noch humpeln – und inzwischen meldet sich meine Wade schon beim Gang ins Bad, wenn ich Nachts aufstehe. Ich bin überfordert.
Der Coach hat mir jetzt erstmal Ruhepause verordnet, bis die gröbsten Schmerzen verflogen sind. Doch auch danach könnte die Wade über einen Zeitraum von zwei bis vier Monaten ein leidiges Thema sein, prognostiziert er. Manche Waden bräuchten viel Zeit, um sich an ein gesteigertes Trainingspensum zu gewöhnen. Also heißt es geduldig sein und erstmal auf alternative Trainingsmöglichkeiten umsteigen: Kniebeugen, Rückentraining, Radfahren – oder auch Teile dieses Kraftzirkel-Programms für Läufer, das mein Coach Egidijus aufgesetzt hat. Und vor allen Dingen muss ich Geduld mit mir selbst üben…
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Kennt ihr ein Zaubermittel gegen zickende Waden? Was auch immer ihr loswerden wollt, ab damit an info@fitbook.de. Und wer mehr von meinem Läuferinnen-Alltag möchte, kann mir gerne auf Instagram folgen.
Der Coach: Egidijus Pranckus (39) ist Sportwissenschaftler und Betreuer des deutschen Leichtathletik-Nationalteams. Sein Wissen gibt der erfahrene Athletiktrainer gerne 1:1 im Personal Training weiter. Pranckus leitet auch das Langstrecken-Training beim SCC Berlin, für den u.a. Gina Lückenkemper sprintet.