10. Dezember 2024, 10:38 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Wer Kraftsport oder speziell Bodybuilding betreibt, der hat mit Sicherheit schon einmal die Männer und Frauen bewundert, die mit ihren durchtrainierten Körpern und äußerst geringem Körperfettanteil auf der Bühne stehen. Viele Menschen, die ihre Leidenschaft für den Kraftsport entdeckt haben, wünschen sich, ebenso auszusehen. Doch gibt es auch Schattenseiten dieses Extremsports? Fitnesstrainerin Alina Bock hat im Jahr 2020 selbst eine solche Wettkampfvorbereitung durchlaufen, nämlich für die Bikini-Klasse im Bodybuilding, und verrät, was sie in dieser aufregenden Zeit gelernt hat und vor allem, welche dramatischen Schattenseiten sie hatte.
Nach drei Jahren Krafttraining und einem Leben in der sogenannten „Fitness Bubble“ (deutsch: „Fitness Blase“), die heute oftmals als toxisch und krank machend angesehen wird, entschied ich mich, bei einem Bodybuilding-Wettkampf in der Bikini-Klasse an den Start zu gehen. Einmal auf dieser Bühne stehen, in der Form meines Lebens, das war mein Ziel! Ein aufregendes Abenteuer begann – mit vielen Höhen und Tiefen.
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Übersicht
- Worum geht es beim Bodybuilding-Wettkampf in der Bikini-Klasse?
- Mein Tagesablauf in der Wettkampfvorbereitung
- Morgens erst mal der prüfende Blick in den Spiegel
- Die Kehrseite des geringen Körperfettanteils
- In der Bikini-Klasse des Bodybuildings ist Körperfettanteil von 12 Prozent gängig
- Schlechte Laune durch Wettkampfdiät
- Niedriger Blutdruck und Ausbleiben der Periode
- Objektive Wahrnehmung des eigenen Körpers schwindet
- Am Ende der Wettkampfvorbereitung: Binge-Eating, gefolgt von exzessivem Training
- Erst ein Jahr später lernte ich Schritt für Schritt, wieder gesund zu essen
Worum geht es beim Bodybuilding-Wettkampf in der Bikini-Klasse?
Bei Wettkämpfen im Bodybuilding geht es um die Präsentation des Körpers durch eine einstudierte Kür sowie vorgegebenen Posen. Die Jury beurteilt nach Kür, Posing, Symmetrie der Muskulatur und Muskelmasse. Je nach Klasse können diese Faktoren stark variieren.
Wertungskriterien in der Bikini-Klasse sind vor allem die Symmetrie der Muskelgruppen, ein guter Muskeltonus, die Präsentation, Ausstrahlung, ein schlanker, femininer Körper sowie ein attraktives Erscheinungsbild. Auch Gesicht, Make-up und Frisur fließen in die Beurteilung mit ein. Dem Bikini-Bodybuilding-Wettkampf geht eine strenge Vorbereitung voraus, bei welcher der Körperfettanteil zum Sichtbarmachen der Muskulatur drastisch reduziert wird.
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Mein Tagesablauf in der Wettkampfvorbereitung
Februar 2020, 4:30 Uhr am Morgen – nach einer schlaflosen Nacht fasse ich den Entschluss, aufzustehen. Also gehe ich hinunter und bereite mir die Erste von insgesamt sechs Mahlzeiten des Tages vor: Eier und Lachs, ohne Kohlenhydrate. Anschließend fahre ich ins Gym, welches gleichzeitig auch mein Arbeitsplatz ist und mache vor Arbeitsbeginn eine Stunde Cardio. Nach der Arbeit folgt ein 1,5-stündiges Krafttraining. Zu Hause angekommen, bereite ich die Mahlzeiten für den nächsten Tag vor.
Die Woche bestand aus insgesamt elf Sporteinheiten: fünf einstündige Cardioeinheiten sowie sechsmal Kraftsport. Sechs Mahlzeiten alle drei Stunden takteten den Tag. Mein Chef genehmigte mir alle drei Stunden eine kleine Pause, um die Mahlzeiten einzunehmen. Es wurde viel Eiweiß und das häufig am Tag zugeführt, um den Muskelabbau so gering wie möglich zu halten.
Beispiele für Mahlzeiten sind: 30 Gramm Nüsse, Thunfisch mit Tomaten, Hähnchen mit Reis und Gemüse oder auch einfach mal nur einen Shake. Im Laufe der Diät wurde die Kalorienzufuhr verringert, während im Training die Cardioeinheiten erhöht wurden, von anfangs dreimal wöchentlich zu fünfmal wöchentlich.
Morgens erst mal der prüfende Blick in den Spiegel
Meist führte mich mein erster Gang nach dem Aufstehen zum Spiegel. Dort betrachtete ich voller Stolz meine sichtbaren Bauchmuskeln, meinen durchtrainierten Rücken und meine kantigen Schultern. Fast jeder oberflächliche Muskel meines Körpers war sichtbar.
Auf Instagram dokumentierte ich natürlich meinen Fortschritt mit Bildern, Videos und Bildunterschriften. Zu keiner Zeit bekam ich so viel positive Rückmeldungen wie zu dieser Zeit: Likes, anerkennende Worte und Fragen zum Erreichen dieser Form schmückten mein Postfach. Würde ich behaupten, dass die positiven Rückmeldungen mich nicht beeinflusst hätten, wäre ich nicht ganz ehrlich. Schließlich spielt Social Media vor allem in den jüngeren Generationen eine große Rolle, wenn es um das Gefühl der Bestätigung geht.
Auch wenn ich die Wettkampfvorbereitung nicht der Bestätigung wegen angefangen hatte, gab es mir durchaus ein positives Gefühl, bei dem, was ich tat. Doch was hinter dem sichtbaren Sixpack steckt, sieht auf Social Media meist niemand.
Die Kehrseite des geringen Körperfettanteils
Wer im Bereich des Kraftsports und Bodybuildings unterwegs ist, der hat mit großer Sicherheit schon einmal den Begriff „lean“ gehört. „Lean“ ist jemand, der einen sehr geringen Körperfettanteil hat und bei dem die Muskeln dementsprechend nicht verdeckt, also sichtbar sind. Der Begriff „lean“ ist hip, cool und vor allem in der Fitnessszene angesagt. Wer „lean“ ist, sieht zwangsläufig gut aus, so die allgemeine Meinung. Übersetzt man den Begriff jedoch ins Deutsche, so kann dieser mit „mager“ übersetzt werden. Synonyme für „mager“ sind „abgezehrt“, „dürr“, „eingefallen“, „knochig“ oder auch „unfruchtbar“. Klingt nicht mehr ganz so cool, oder?
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In der Bikini-Klasse des Bodybuildings ist Körperfettanteil von 12 Prozent gängig
Bereitet man sich als Frau für einen Wettkampf im Bodybuilding vor, in meinem Fall für einen Wettkampf in der Bikini-Klasse, so ist ein Körperfettanteil von ungefähr 11 bis 12 Prozent gängig. In anderen Klassen kann der Körperfettanteil sogar noch niedriger ausfallen. Einmal im Vergleich: Ein gesunder Körperfettanteil liegt bei Frauen ungefähr zwischen 20 und 30 Prozent. Ein Körperfettanteil unter 15 Prozent wird bei Frauen als krankhaft angesehen. Folgen eines zu geringen Körperfettanteils bei Frauen sind Müdigkeit, Frieren, Schwankungen im Hormonhaushalt, ein verschlechtertes Immunsystem und oftmals sogar Periodenverlust.
Schlechte Laune durch Wettkampfdiät
Auch meine Wettkampfdiät zerrte an meinen Nerven. Zwischen Arbeit und Studium standen fast täglich eine Stunde Cardio sowie ein 1,5-stündiges Krafttraining auf meinem Programm. Zu Hause angekommen, mussten die Mahlzeiten für den nächsten Tag vorbereitet werden. Diese bestanden größtenteils aus eiweißhaltigen Nahrungsmitteln wie magerem Fleisch, Fisch, Eiern und Quark sowie gesunden Fetten.
Das fertige Essen sowie die Nahrungsmittel wurden im Kühlschrank beschriftet, sodass sich ja niemand an meinem sorgfältig abgewogenen Essen bediente. Sogar das Salz wurde abgewogen. Von Tag zu Tag verschlechterte sich meine Laune – insbesondere dann, wenn ich Familie und Freunde Mahlzeiten essen sah, von denen ich seit Wochen träumte. Denn Fettiges und Süßes waren strikt tabu. Ausnahmen gibt es in einer Wettkampfdiät keine. Mahlzeiten und die Zeiten, zu denen diese zu sich genommen werden, sind sorgfältig geplant. Also mied ich schließlich jegliche soziale Events.
Niedriger Blutdruck und Ausbleiben der Periode
Bei der Arbeit hatte ich oftmals drei Sweatjacken übereinander an, weil ich aufgrund des geringen Körperfettanteils fror. Mein Blutdruck war ausgesprochen niedrig, oftmals bei unter 90 zu 50. Im Laufe der Diät blieb schließlich auch meine Periode aus – diese sollte ich erst ein Jahr nach Diätende wieder regelmäßig bekommen.
Objektive Wahrnehmung des eigenen Körpers schwindet
Nachdem ich den Entschluss gefasst hatte, an einem Bodybuilding-Wettkampf teilzunehmen, riet man mir, einen Trainer zu engagieren. Dem stand ich skeptisch gegenüber – wieso sollte ich einen Trainer engagieren, wenn ich doch selbst Fitnesstrainerin war? Die Antwort bekam ich schnell und sollte ich später an eigenem Leib erfahren: Die objektive Wahrnehmung des Körpers wird schwinden. Deshalb braucht man jemanden, der objektiv urteilen kann, wann meine Form ausreicht oder was eventuell noch fehlt.
Sehe ich heute meine Bilder aus der Vorbereitung, sehe ich mich als erschreckend mager und ausgemergelt. Zu dem Zeitpunkt habe ich aber gedacht, ich hätte noch viel zu viel Fett am Körper. Dabei muss mein Körperfettanteil am Ende der Diät höchstens 12 Prozent betragen haben.
Am Ende der Wettkampfvorbereitung: Binge-Eating, gefolgt von exzessivem Training
Januar 2020 – die ersten Coronafälle werden in Deutschland bekannt. Im Februar häufen sich die Fälle und schließlich, im März, ist klar: Die Wettkämpfe, auf die ich mich monatelang vorbereitet hatte, sind abgesagt. Die Diät endet schließlich ohne Wettkampf und den Worten meines Coachs, ich solle es in Sachen Cheat Meals nun nicht übertreiben. Denn eines baut sich während einer Wettkampfdiät, bei welcher Verzicht ein großer Bestandteil ist, auf: Gelüste nach fettigen und süßen Mahlzeiten.
Fitness-Influencer zelebrieren und filmen den Moment, in dem sie die heiß geliebte Schokolade nach einem Wettkampf endlich wieder verzehren können. Mir ging es ähnlich. Nachdem klar war, dass es keinen Wettkampf geben wird, begann ich zu essen: Brownies, Gummibärchen, Chips und alles, was ich sonst noch so in die Finger bekam und vorher verboten war. In nur einer Nacht nahm ich 2,5 Kilogramm zu. Hierbei muss gesagt werden, dass nicht über Nacht wieder 2,5 Kilo Fett aufgebaut werden, sondern der Großteil des zugenommenen Gewichts Wasser ist.
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Erst ein Jahr später lernte ich Schritt für Schritt, wieder gesund zu essen
Fortan befand ich mich in einem Teufelskreis: Binge Eating gefolgt von exzessivem Cardio- und Krafttraining zur Kompensation des Gegessenen gefolgt von erneutem Binge Eating. Dieser Teufelskreis hielt mindestens ein Jahr an, bis ich mich Schritt für Schritt wieder einem normalen und gesunden Essverhalten annäherte. Das bedeutet: Zu essen, ohne kompensieren zu müssen. Zu essen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben und Sport nicht aus Zwang, sondern vor allem aus Spaß zu machen.
Die dramatischen Folgen begleiteten mich mehr als zwei Jahre
„Die Wettkampfvorbereitung war definitiv eine aufregende und lehrreiche Zeit. Zwischen vielen Sporteinheiten, geringer Kalorienzufuhr und Posing bewegte ich mich mitten in der ‚Fitness Bubble‘ – einer ganz eigenen, restriktiven Welt in der Fitnessszene, in welcher Optik die größte Rolle spielt. Dass dieser Lebensstil vor allem bei Frauen viele negative Konsequenzen zur Folge hat, wird dabei in den meisten Fällen in den Hintergrund gerückt. Auch ich bekam dies zu spüren: krankhaftes Essverhalten, ein verschlechtertes Immunsystem, Schwinden der objektiven Wahrnehmung des eigenen Körpers und Periodenverlust. Und diese dramatischen Folgen schwinden nicht nach der Diät – ganz im Gegenteil, sie begleiteten mich noch mindestens zwei Jahre. Neben all der negativen Aspekte empfand ich aber auch Stolz und Freude über das Erreichte in dieser Zeit und ich bereue es nicht, mich dieser Herausforderung gestellt zu haben. Wiederholen und empfehlen würde ich diesen Prozess jedoch nicht.“