5. März 2021, 5:33 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Ashtanga gilt als die härteste Stilrichtung des Yoga. Folgt sie den klaren Vorgaben, bringt sie selbst geübte Yogis an die Grenzen. FITBOOK erklärt, wie die Königsdisziplin des Yoga funktioniert und wozu sie gut ist.
Fangen wir an mit dem Begriff Ashtanga (Vinyasa). Der übersetzt sich ungefähr in „acht Stufen“ (Ashta ist Sanskrit für „acht“ und Anga bedeutet soviel wie „Körperteil“ oder „Stufe“). Vinyasa setzt sich zusammen aus Nyasa, was „legen, setzen, stellen“ bedeutet und vi für „auf eine bestimmte Art“. Wer sich ein bisschen mit Yoga beschäftigt hat, hat diesen Ausdruck vielleicht schon im Zusammenhang mit einem Mann namens Patanjali gehört. Dessen Lehre nach, unterteilt sich Yoga in eben acht Schritte. Einer davon sind die Asanas, also die körperlichen Übungen, ein weiterer die Atemtechniken des Pranayama. Hier lesen Sie mehr zu diesen acht Stufen des Yoga.
Das Ashtanga über das wir hier sprechen, meint eine festgelegte Abfolge von Yoga-Asanas, das sogenannte Ashtanga Vinyasa Yoga. Umgangssprachlich wird das oft einfach als „Ashtanga“ bezeichnet und ist der mental und körperlich forderndste Yoga-Stil.
Übersicht
Was ist Ashtanga Vinyasa Yoga?
Bei der Stilrichtung Ashtanga Vinyasa Yoga werden die körperlichen Übungen mit einer bestimmten Atemtechnik (der Ujjayi-Atmung), verschiedenen energetischen Verschlusstechniken (Bandhas) und Fixpunkten (Dristhis) verbunden (was das bedeutet und wie es funktioniert weiter unten). Die Asanas werden so miteinander verknüpft, dass ein Flow entsteht. Yogis folgen im Ashtanga Yoga einer klar festgelegten Sequenz, das heißt die Reihenfolge und Länge der Übungen steht fest. Es gibt sechs originale Ashtanga-Serien. Yogis sollten an sechs Tagen in der Woche die gleiche Serie üben, bis sie zur nächsten Serie wechseln.
Durch die flüssige Bewegung erhitzt sich der Körper beim Ashtanga Vinyasa Yoga schnell. Dadurch wird laut dem Yoga-Lehrbuch der indischen Yogaschule „Mahi Yoga” Sauerstoff ins Blut transportiert, das Nervensystem gereinigt und Giftstoffe mittels Schweiß aus dem Körper ausgeschüttet. Ein netter Nebeneffekt von Ashtanga Yoga ist, dass der Körper – durch die Schnelligkeit und mitunter anspruchsvollen Übungen – innerhalb kurzer Zeit an Gewicht verlieren sowie an Flexibilität und sogar etwas Muskelmasse gewinnen kann.
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Kurze Geschichte des Ashtanga Vinyasa Yoga
Das System des Ashtanga-Yoga soll in den 1930er Jahren von dem Yoga-Meister und Sanskrit-Gelehrten Sri Tirumalai Krishnamacharya und seinem Schüler K. Pattabhi Jois in der Universitätsbibliothek in Kalkutta, Indien, wiederentdeckt worden sein. So steht es im Handbuch von Mahi Yoga. Die beiden sollen sechs Haltungs-Serien auf einem Bündel Palmblätter gefunden, übersetzt und rekonstruiert haben, die sogenannte Yoga Korunta. Angeblich war das Manuskript zu dem Zeitpunkt bereits 500 bis 1.500 Jahre alt.
Jois machte die Yoga Korunta zum Fundament seiner eigenen Praxis und Lehren und etablierte schließlich das Yoga Research Institute (Shri K Pattabhi Jois Ashtanga Yoga Institute) im indischen Mysore. Dort lehrte er Ashtanga Vinyasa Yoga bis zu seinem Tod im Mai 2009.
Aus dem traditionellen Ashtanga Vinyasa Yoga Jois‘ haben sich andere, ähnlich geartete Yogaformen gebildet, etwa Power Yoga und Vinyasa Yoga. Beide ähneln in den Übungen und Tempo dem traditionelle Ashtanga, die Reihenfolge ist bei den neuen Formen jedoch nicht festgelegt. Ashtanga Vinyasa Yoga ist strikt strukturiert, es kann allerdings vorkommen, dass in reinen Beginnerklassen ein paar Übungen weggelassen werden.
Atmen, anspannen und fokussieren
Bevor es ans Üben geht, sollten Yogis für eine erfolgreiche Ashtanga-Praxis lernen, was es mit der Ujjayi-Atmung, den Bandhas und Dristhis auf sich hat.
Ujjayi-Atmung
Die Ujjayi-Atmung oder auch „siegreiche Atmung“ ist eine spezielle Atemtechnik, bei der die Luftröhre leicht zusammengezogen wird. Dadurch entsteht ein leicht zischendes Geräusch. Das soll helfen, den Verstand ins Hier und Jetzt zurückzuholen, wenn er beginnt zu wandern. Neben dem Verstand beruhigt die Atemtechnik auch das Nervensystem.
Und so funktioniert die Ujjayi-Atmung: Atmen Sie langsam ein wenig Luft ein und wieder aus, während Sie leicht den Rachen zusammenziehen. Es entsteht ein leiser, gleichmäßiger Zischlaut. Diese Technik erfordert vielleicht ein bisschen Übung.
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Bandhas
Mit dem Begriff Bandha ist eine yogische Technik gemeint, bei der bestimmte Muskeln zusammengezogen werden, um die Energie im Körper zu halten. Im Ashtanga Vinyasa Yoga werden drei Bandhas geübt:
Mula Bandha: Die Beckenbodenmuskeln sind angespannt und hochgezogen.
Uddiyana Bandha: Die Bauchmuskeln werden zusammen- und nach innen und oben gezogen.
Jalandhara Bandha: Das Kinn ist die Brust gedrückt.
Dristhis
Dristhi meint soviel wie ein Fixpunkt, auf den sich die Augen während der Übung fokussieren können. Diese Technik hilft, sich auf die Asana zu konzentrieren und bewusst im Moment zu bleiben. Es gibt neun verschiedene Dristhis, die je nach Übung genutzt werden: knapp hinter der Nasenspitze (Nasagrai), zwischen den Augenbrauen (Ajna Chakra), der Bauchnabel (Nabi Chakra), die Hand (Hastagrai), die Zehen (Padhayoragrai), weit nach rechts und weit nach links (beide: Parsva), die Daumen (Angusta Ma Dyai) und hoch zum Himmel (Urdhva oder Antara).
Primäre Ashtanga Serie
Die erste Ashtanga-Serie besteht aus verschiedenen Teilen, die immer in der gleichen Abfolge geübt werden. Es geht los mit zwei Varianten des Sonnengrußes: Surya Namaskar A und B. Diese werden fünf Mal hintereinander geübt.
Nach den wiederholten Sonnengrüßen ist der Körper aufgewärmt, das Herz schlägt schon etwas schneller, wahrscheinlich rinnt auch schon der Schweiß. Nun geht es weiter mit einer ganzen Reihe Standhaltungen. Sie sind jeweils für die Dauer von fünf Atemzügen zu halten. FITBOOK-Redakteurin Anna-Christina Kessler hat sich an die anspruchsvollen Übungen herangetraut!
Standübungen
Bodenübungen
Nach den Standübungen folgen die Asanas am Boden. Auch diese werden jeweils fünf Atemzüge lang gehalten. Dazu gehören unter anderem diese Übungen:
An vielen Stellen wird die Abfolge der Übungen durch Vinyasas unterbrochen. Das heißt, auf eine Übung, die fünf Atemzüge lang gehalten wird, folgt ein schneller, Kraft und Geschicklichkeit erfordernder Flow. Darauf wieder eine statischere Haltung für fünf Atemzüge, wieder eine Vinyasa und so weiter. (Wie so eine Vinyasa aussieht, sehen Sie weiter unten im Video.)
Umkehrhaltungen
In der Schluss-Sequenz sind die Vinyasas geschafft und es geht mit Umkehrhaltungen weiter. Die sind unterschiedlich lang zu halten und sehen unter anderem so aus:
Zur Ruhe kommen
Die Ashtanga-Session endet schließlich mit der Lieblingshaltung vieler Yogis: Savasana. Dabei liegt man auf dem Rücken, streckt Arme und Beine leicht zu den Seiten und darf sich einfach entspannen. Hier darf sich der Herzschlag wieder beruhigen und der Yogi aus dem schnellen Tempo zurück in die Ruhe kommen.
Die gesamte erste Serie hat Ryan Spielman von trueryan.com zusammengefasst und FITBOOK netterweise zur Verfügung gestellt. Und so sieht sie aus:
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Die erste Ashtanga Serie nach Sri K. Patthabi Jois im Video
Wie eine solche Ashtanga-Session genau aussehen kann, zeigt Sri K. Patthabi Jois in diesem Video:
Bevor Sie nun aber sofort loslegen mit den Ashtanga-Übungen, sollten Sie sich dies unbedingt bewusst machen: Ashtanga gilt nicht umsonst als härtester Yoga-Stil. Viele der Übungen sind sehr anspruchsvoll und sollten nicht ohne fachgerechte Anleitung geübt werden, da bei vielen Asanas Verletzungsgefahr besteht. Einige Übungen sollten zu Beginn gar nicht ausgeführt werden und werden in vielen Anfängerklassen erst einmal weggelassen. Um Verletzungen zu vermeiden, sollten Neu-Yogis sich unbedingt einen kompetenten Ashtanga-Lehrer suchen.
Wie hat es sich angefühlt, die Übungen auszuführen?
Anna-Christina Kessler, FITBOOK-Redakteurin
„Ich habe hier und da mal ein bisschen Yoga gemacht, irgendwann auch mal einen Kurs besucht. Die ganz große Liebe war es nie. Als eher ungeduldiger Mensch ziehe ich Sportarten mit Geschwindigkeit vor, ich bin leidenschaftliche Läuferin. Was mich am Yoga dann doch immer wieder kickt, sind Übungen, für die ich in eine starke Dehnung gehen muss. Wenn meine ganze Beweglichkeit gefordert wird, und ich einen gewissen Schmerzpunkt aushalte. Die Dehnung des ganzen Körpers ist nicht nur eine prima Ergänzung zum Laufen (kein Muskelkater am nächsten Tag), sie entlastet auch meine Wirbelsäule, mein Rücken ist weniger verspannt. Die Übungen aus Ashtanga Vinyasa kannte ich zum Teil schon, andere – wie z.B. Kurmasama (das X flach auf dem Boden) – habe ich zum ersten Mal gemacht. Die Arme, im Spreizsitz und mit komplett auf dem Boden abgelegten Oberkörper, unter den Knien durchzuschieben, war krass. So muss sich ein Zollstock fühlen, der falsch zusammengeklappt wird. Ich konnte mich auch nicht ohne weiteres aus der Postion lösen. Für alle Übungen kann ich sagen: Sie sind nicht ohne und man benötigt sehr viel Beweglichkeit, um in die Position zu kommen – da ist vom Halten noch gar keine Rede, das erfordert wiederum Rumpfstabilität. Ich habe mich vor den Posen 15 Minuten lang Dehnungsübungen gemacht, worauf man keinesfalls verzichten sollte. Verletzungsgefahr! Muskelkater-Level: 7/10.“