19. Januar 2022, 15:16 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Mehr war nach ihrer Corona-Erkrankung nicht drin: Angelique Kerber scheiterte bei den Australian Open bereits in der ersten Runde. Um die bestmögliche Leistung abrufen zu können, muss physisch und psychisch alles passen. Deutschlands beste Tennisspielerin hat FITBOOK in einem Interview verraten, worauf sie bei Training, Ernährung und mentaler Balance achtet.
An ihren 34. Geburtstag wird Angelique Kerber wohl nicht so gern zurückdenken. Beim Erstrunden-Match bei den Australian Open 2022 gegen die Estin Kaia Kanepi musste sich Deutschlands Tennis-Queen mit 4:6 und 3:6 geschlagen geben. Zwar spürte sie auf dem Platz keine direkten Folgen ihrer Corona-Erkrankung im Dezember, doch die fehlenden Vorbereitungsspiele machten sich bemerkbar, wie Kerber nach dem Match gestand. In einem Interview mit FITBOOK hat Angelique Kerber zuvor einen Einblick in ihr Fitness-Training, ihre Ernährung und mentale Vorbereitung gegeben.
FITBOOK: Haben Sie eine Lieblings-Fitnessübung oder einen Bereich, in dem Sie besonders stark sind?
Angelique Kerber: „Das ist schwierig zu sagen, mein Trainingsrepertoire umfasst mittlerweile einige Übungen. Ich bin aber stolz darauf, wie sehr ich meine Grundausdauer verbessern konnte. Das war früher immer eine Schwachstelle von mir.“
»Beim Training muss ich ständig gefordert sein
Mit welchem Training kann man Sie am meisten quälen bzw. was mögen Sie überhaupt nicht?
„Lange Ausdauerläufe waren früher nicht meine Lieblingsdisziplin, wobei es natürlich auch
dazu gehört. Generell sind monotone, eindimensionale Trainingseinheiten vom Kopf her
eher schwierig für mich. Ganz im Gegensatz zu High-Intensity-Workouts, bei denen ich
ständig gefordert werde.“
Wie viel Prozent Ihres Trainings spielen sich auf dem Tennisplatz ab und wie viel im Gym oder bspw. beim Laufen?
„Das kommt natürlich auf die Trainingsphase an. Es ist in Sachen Aufbau, Inhalt und Intensität der Einheiten schon entscheidend, ob ich mich in der Saisonvorbereitung befinde oder kurz vor einem großen Turnier stehe. Seit einer Weile habe ich mein Training allerdings angepasst: Ich verbringe viel Zeit auf meinem Peloton-Bike und nutze das vielseitige Trainingsangebot – das steigert auch meine Motivation und ist wichtig für den Kopf.“
Im Rahmen Ihrer Kooperation mit dem Fitness-Unternehmen haben sie auch einen Trainingsplan entworfen. Worauf legen Sie dabei Wert?
„Mein Trainingsplan für Peloton beinhaltet vier Tage: Jede Einheit beginnt mit einem Warm-up. Es folgt ein intensiver Ride mit einem meiner Lieblingstrainer Erik, Mayla oder Cliff. Und dann noch einmal zehn Minuten Stretching. Sehr gerne lege ich auch Yoga-Einheiten ein.“
Wie hat sich Ihr Training aufgrund von Corona verändert?
„Ich habe insbesondere im ersten Pandemiejahr einige Wochen, ja Monate am Stück zu Hause verbracht, wie die meisten von uns. Was sehr ungewohnt war, da so etwas in meinem Job ja eher selten
vorkommt. Auch in Sachen Fitness war in dieser Zeit Einfallsreichtum gefragt. Da ich gern
mit anderen trainiere, habe ich die Peloton-Community für mich entdeckt. Auch in Wimbledon hatte ich in meinem Zimmer mein Bike.“
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»Alleine motiviert zu bleiben, ist manchmal schwierig
Bekommen Sie von Ihrem Trainer einen Trainingsplan, den Sie abarbeiten müssen, oder steuern Sie Ihr Training selbst?
„Meinen Trainingsplan erarbeite ich gemeinsam mit meinem Coach und dem Team. Wir
kennen uns schon sehr lange und sind bestens eingespielt. Eine gute Trainingssteuerung ist
enorm wichtig, um auf den Punkt fit zu sein – darauf kommt es im Spitzensport an.“
Welchen Tipp haben Sie für alle Hobbysportler, wie sie ihr Training strukturieren können und alleine motiviert bleiben?
„Sich alleine zu motivieren, ist manchmal schwierig. Ich weiß das aus eigener Erfahrung sehr genau. Am besten schließt man sich einer Community, einer festen Trainingsgruppe an. Es gibt so viele toll ausgearbeitete und individuell zugeschnittene Trainingskonzepte von Experten. Ich kann nur sagen: Nutzt diese! Nicht jeder muss sich einen eigenen Plan erstellen, das kostet nur unnötig Zeit, die ihr viel besser fürs eigene Training nutzen könnt.“
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Tipp, um den Aufschlag zu verbessern
Wie können Hobby-Tennisspieler am effektivsten einen härteren Aufschlag trainieren? Ist das reine Kraftsache?
„Der Aufschlag hat nicht unbedingt etwas mit reiner Kraft zu tun. Er ist technisch komplex, der Bewegungsablauf anspruchsvoll. Das geht schon damit los, dass der Ballwurf sitzen muss, damit der Ball in der optimalen Höhe getroffen werden kann. Der große Vorteil besteht darin, dass man den Aufschlag selbst aktiv gestalten kann, sozusagen als Spieleröffnung. Man muss also nicht reagieren, sondern kann gleich mit dem ersten Schlag agieren. Intensive Aufschlageinheiten mit Technik-Tipps von einem Trainer sind nicht nur empfehlenswert für jeden Hobbyspieler, sondern auch lohnenswert.“
Haben Sie eigentlich Probleme mit muskulären Dysbalancen, weil Sie nur Ihren Schlagarm trainieren – oder arbeiten Sie an beiden Seiten gleich?
„Die muskuläre Dysbalance ist tatsächlich ein weit verbreitetes Problem unter Tennisspielern, da die ständige, einseitige Belastung beim Spiel nur mit viel Aufwand ausgeglichen werden kann. Das ist auch extrem wichtig ist, um verletzungsfrei zu bleiben. Daher trainiert man als Tennisprofi eigentlich jeden Muskel…(lacht). Und natürlich gilt es, durch gezielte Übungen mit dem Physiotherapeuten muskulären Dysbalancen vorzubeugen und die Flexibilität zu erhalten!“
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Schlaf und Ernährung während eines Turniers
Wie sieht ein typischer Match-Tag aus? Wann stehen Sie auf, wann essen Sie was?
„Gerade während eines Turniers sind die Tage zwischen den Matches strikt durchgetaktet. Mir ist es grundsätzlich sehr wichtig, ruhig und ohne Hektik in den Tag zu starten und ausreichend Zeit fürs Frühstück einzuplanen. Dafür stehe ich lieber ein bisschen früher auf und starte entspannt in den Tag. Ich achte im Allgemeinen auf eine ausgewogene Ernährung mit Ballaststoffen und Kohlenhydraten, esse gerne Fisch, Salat und Obst als Snack zwischendurch. Einheiten im Gym und Behandlungen beim Physio sind ebenfalls fester Bestandteil des Turnieralltags, wobei die Intensität davon abhängt, wie viel Zeit bis zum nächsten Match bleibt. Die Planung bei den Grand-Slam-Turnieren ist eine stetige Herausforderung, da man an einem Tag am Vormittag angesetzt werden kann und nur wenige Tage später die Night Session unter Flutlicht spielt.“
Haben Sie einen Tipp, wie man auch unter großem Druck seine bestmögliche Leistung abruft?
„Mentale Balance ist immer sehr wichtig. Wenn man sich wohlfühlt, gewissermaßen in sich ruht, geht man eine Herausforderung gelassener an. Und wenn man dann noch an sich und seine Fähigkeiten glaubt, dann lassen sich auch die letzten Kräfte mobilisieren. Mir hilft immer, wenn ich mein Ziel vor Augen habe und weiß, wofür ich kämpfe.“
Wenn Sie keine Tennisspielerin geworden wären, welchen Sport hätten Sie dann
gemacht?
„Ich bin als Jugendliche geschwommen und habe Hockey gespielt. Beides hat mir sehr viel
Spaß gemacht. Beim Schwimmen war es allerdings so, dass mir die Wettkämpfe sehr kurz
vorkamen. Zwei Stunden Tennis am Stück waren da schon eher mein Ding.“