2. Mai 2021, 8:24 Uhr | Lesezeit: 18 Minuten
Der Corona-Sommer 2020 war geprägt von Vorsicht und Einschränkungen, von Unsicherheit und Vorschriften. Wer in dieser Zeit etwas unternehmen wollte, der brauchte vor allem Spontanität, Flexibilität und Geduld. Marcia Hapig hat es gewagt: Aus einer monatelang gehegten Idee wurde plötzlich Realität – einmal im Leben eine Alpenüberquerung machen. Es war die beste Zeit dafür.
Auspowern, rauskommen, abschalten. Sich selbst herausfordern und über sich hinauswachsen, das waren meine Gedanken, als ich im Juni vergangenen Jahres ganz spontan entschloss, den E5 von Oberstdorf nach Meran zu laufen (84,5 Kilometer, 7.034 Meter Aufstieg, 7.230 Meter Abstieg).
Zugegebenermaßen war ich nicht besonders gut vorbereitet, hatte mir weder Reiseführer noch Wanderkarten gekauft und auch nicht an die Notwendigkeit oder den überaus großen Nutzen von Teleskopstöcken gedacht.
Es wurden sechs fordernde, anstrengende, aber unvergessliche Tage.
Übersicht
- Alpenüberquerung, Tag 1: Ankunft in Oberstdorf und Aufstieg zur Kemptner Hütte
- Tag 2: Von der Kemptner Hütte zur Memminger Hütte
- Tag 3: Von der Memminger Hütte zur Skihütte Zams
- Tag 4: Von der Skihütte Zams zur Braunschweiger Hütte
- Tag 5: Von der Braunschweiger Hütte zur Martin-Busch-Hütte
- Alpenüberquerung, Tag 6: Von der Martin-Busch-Hütte bis zum Stausee in Vernagt, dann nach Meran
- Fazit zu meiner Alpenüberquerung
- DAV-Tipps zur Vorbereitung auf eine Alpenüberquerung
Alpenüberquerung, Tag 1: Ankunft in Oberstdorf und Aufstieg zur Kemptner Hütte
Strecke: 13 Kilometer, Aufstieg: 1.100 Höhenmeter
Ich würde mich als sportlich bezeichnen. Zumindest eine gute Grundlagenausdauer ist vorhanden und ein Talent dafür, die letzten Kilometer, wenn nicht mehr mit Kraft, dann mit Willen durchzustehen.
Schon allein aufgrund der Spontanität des Entschlusses, in einigen Wochen meinen Traum zu verwirklichen und einmal über die Alpen zu laufen, blieb mir kaum Zeit für eine körperliche Vorbereitung. Ich war schon viel gewandert, meist mit mehr Glück als Verstand. Und ich blieb bei dem Konzept (und lernte daraus).
23. Juli, ich laufe los.
Gleich die erste Etappe birgt einen herausfordernden Anstieg. Mein Rucksack ist zu schwer gepackt und ich laufe recht spät nach Mittag los. Die Autofahrt nach Oberstdorf war lang, der Kopf scheint schon leer, doch nach den ersten Kilometern werde ich wieder wacher. Den Einstieg habe ich direkt gefunden. Motiviert und schon fast ungeduldig lege ich das erste Drittel, welches oft mit dem Bus überbrückt wird, zurück. Ich will nicht mehr fahren, ich will laufen. Sechs Tage lang Berge sehen und Ruhe spüren. Das ist das Ziel.
Gegen Nachmittag sind Schauer und Gewitter angekündigt, trotz schweren Gepäcks laufe ich sehr zügig, eher zu schnell. Wie so häufig im Sport oder bei Wettläufen, startet man mit einem sehr hohen Tempo und läuft dadurch Gefahr, sich zu früh auszupowern, sodass gegen Ende keine Reserven oder Energie mehr bleiben.
Es geht 1.100 Höhenmeter bergauf. Die Landschaft ist einmalig, doch mein übermotivierter Start macht mir nach drei Vierteln des Weges zu schaffen. Nur der Gedanke an den nahenden Regen hält das Tempo aufrecht, die Bergluft ist frisch und klar.
Etappenziel schneller erreicht als erwartet, aber…
Eine halbe Stunde vor dem Schauer erreiche ich die erste Hütte meiner Alpenüberquerung. Erst nach der Durchquerung des Sperrbachtobels und der letzten Biegung um eine Felswand ist sie ersichtlich – die Kemptner Hütte, auf 1.844 Meter gelegen.
Ich bin zwar eine Stunde schneller gelaufen als für die Tour angegeben ist. Ich weiß allerdings auch, dass ich ab jetzt achtsamer und langsamer unterwegs sein muss, wenn ich sechs Tage am Stück wandern will.
Seit langem bin ich wieder in Bergen, der erste Sonnenuntergang zwischen den Gewitterwolken belohnt die Anstrengung. Ich melde mich nur bei den engsten Freunden und lasse alles andere gedanklich zurück. Früh lege ich mich schlafen – halb stolz, halb verunsichert, ob es eine gute Idee war, alleine aufzubrechen und wie es mir am nächsten Tag wohl gehen wird.
Tag 2: Von der Kemptner Hütte zur Memminger Hütte
Strecke: 14 Kilometer, Aufstieg: 1.030 Höhenmeter, Abstieg: 950 Höhenmeter
Schon am zweiten Tag laufe ich in Gesellschaft. Nicht zwanghaft und durchgehend, aber ich treffe immer wieder auf kleinere Gruppen oder einzelne Wanderer. Aufgrund der Reduzierung der Hüttenplätze aufgrund der Corona-Regelungen ist der sonst eher als überfüllt bezeichnete E5 angenehm verlassen. Schnell wird man miteinander bekannt. Es kommt mir vor, als überquere eine große Schulklasse gemeinsam die Alpen. Jeder in seinem eigenen Tempo, aber alle mit demselben Ziel.
Alleine in den Bergen zu sein, hat einen besonderen Reiz, wie ich finde. Die Ruhe und Stetigkeit der Landschaft wirken ganz anders, wenn man sie bewusst und ohne Ablenkung wahrnimmt.
Der zweite Tag wird durch eine Busfahrt unterbrochen, die zwei Stunden laufen entlang der Teerstraße erspart. Fast alle, die ich an diesem Tag treffe, nutzen die Fahrt als kurze Pause, die uns gleichzeitig neun Kilometer weiterbringt. Der anschließende Aufstieg bis auf 2.242 Meter könnte optional durch eine Beförderung des Gepäcks mit einer Materialseilbahn erleichtert werden, was ich jedoch ausschließe. Solange ich kann, will ich meinen Rucksack selbst tragen. Das Tempo ist langsamer als am ersten Tag, der Rhythmus dafür aber gleichmäßig.
Kein Handyempfang? Egal…
Die letzten Kilometer laufe ich zusammen mit einer jungen Frau, wir haben dasselbe Tempo. In solchen Momenten freue ich mich über die Gesellschaft – es ist einfach schöner, den ersehnten Kaffee zu zweit zu trinken.
Wir sind in Österreich angekommen. Die Memminger Hütte liegt fast schon exponiert auf einem kleinen Podest, inmitten von felsigen Wänden, die sie wie ein Kessel umgeben. Der 2.412 Meter hohe Seekogel ist in der näheren Umgebung der einzige Ort mit stabilem Mobilfunk-Empfang. Da es nachmittags zu regnen beginnt, mache ich mir die Mühe nicht und lasse mein Smartphone im Rucksack.
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Tag 3: Von der Memminger Hütte zur Skihütte Zams
Strecke: 12,5 Kilometer, Aufstieg: 1.470 Höhenmeter, Abstieg: 1.950 Höhenmeter
Mein größter Respekt galt vom ersten Tag an diesem Abstieg nach Zams. Obwohl der vierte Tag als der anspruchsvollste gilt, sind lange Abstiege insbesondere für die Kniegelenke extrem belastend. Da mir bereits aufgefallen ist, dass ich von unserer Gruppe eindeutig den größten Rucksack mit mir herumtrage und zudem keine Wanderstöcke dabei habe, die die Knie entlasten könnten, breche ich am dritten Tag noch vor Sonnenaufgang auf. Ich rechne mit einem langsamen Vorankommen und vielen Pausen.
Doch schon der erste Aufstieg zur Seescharte, einem nahe gelegenen Pass auf 2600 Meter, wird zur bisher größten Herausforderung. Die Kletterpassage ist mit Seilen und Eisen gesichert, technisch zwar nicht anspruchsvoll, aber recht steil und ausgesetzt. Der Fels ist so früh am Morgen noch nass und rutschig, die Felswand schirmt die aufgehende Sonne von der Teilstrecke ab. Ich sehe eine Herde von Steinböcken direkt auf einer Felsplattform unter mir. Für eine lange Pause ist es jedoch zu kalt, mein Handy schaltet sich aus noch bevor ich ein Erinnerungsfoto versuche.
Adrenalinstoß in der Felswand
Mit großer Anstrengung und klammen Fingern ziehe ich mich an Seilen und Eisen den schmalen, in die Felswand geschlagenen Pfad hinauf bis zum Pass. Ich weiß, dass ich es schaffe, dass es keine gefährliche Passage ist, technisch zu bewältigen, mit Konzentration und Kraft. Trotzdem spüre ich das Adrenalin ansteigen und bin erleichtert, dass die Kletterpassage nur kurz ausfällt und die Schlüsselstellen schnell überwunden sind.
Der Abstieg auf der anderen Seite bringt jedoch keine Erholung. Zwar in der Sonne liegend und trocken, ist er dennoch schmal und sehr steil. Relativ gerade läuft er am Hang entlang bergab und stellt für mich ohne Stöcke eine noch größere Herausforderung dar, als der Aufstieg zuvor.
Auf Schotter und Geröll rutsche ich mehrere Male aus und komme nur extrem langsam und in kleinen Schritten vorwärts. Zwischendurch schlittere ich einige Meter im Sitzen bergab, weil meine Konzentration bereits stark nachlässt und die Aufregung beim Aufstieg viel Energie gekostet hat.
Erst nach Stunden, so kommt es mir vor, komme ich wieder auf normale, in Serpentinen und zwischen Weiden verlaufende Wanderwege. Zeit um durchzuatmen, etwas zu essen und sich zu sammeln.
Durchatmen in Zams
In Zams angelangt, mache ich nur eine kurze Rast. Der restliche Abstieg war technisch nicht anspruchsvoll, nur belastend für die Gelenke. Dieser Tag hat mich jetzt schon überfordert. Und es stehen noch mindestens zwei Stunden Aufstieg bevor. Die Seilbahn lehne ich trotzdem ab. Zu ehrgeizig.
Noch einmal 1.000 Höhenmeter bergauf. Ich wähle den Weg, der am schnellsten hinaufführt, dafür aber auch am steilsten ist. Zum ersten Mal wird das Laufen zur Tortur. Ich will ankommen und achte nicht mehr auf Landschaft oder was um mich herum passiert. Was direkt dazu führt, dass ich den Weg aus den Augen verliere. An einer der vielen Kreuzungen im Wald nehme ich scheinbar die falsche Abzweigung. Ans Umkehren und die Suche nach dem richtigen Weg ist nicht zu denken, also laufe ich die letzten Kilometer querfeldein über Wiesen und alte Äcker, die Zamser Skihütte schon in Sichtweite.
Das Glück einer warmen Dusche zur rechten Zeit
Das Ankommen an Tag 3 meiner Alpenüberquerung fühlt sich nach mehr an, als jemandem auf die Schulter zu klopfen. Ich war schon lange nicht mehr so erleichtert und gleichzeitig körperlich so gerädert.
Da die Zamser Skihütte die einzige privat geführte Hütte der ganzen Alpenüberquerung ist, habe ich meinen Tiefpunkt immerhin zeitlich passend gewählt. Es gibt warme Duschen, einen Wäscheservice und ein reichhaltiges Buffet zum Abendessen. Zum ersten Mal breite ich auf dem Grundstück der Hütte mein Yogatuch aus und bin glücklich, einfach nur still dazusitzen.
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Tag 4: Von der Skihütte Zams zur Braunschweiger Hütte
Strecke: 17 Kilometer, Aufstieg: 1.754 Höhenmeter, Abstieg: 1.580 Höhenmeter
Ich kann nicht sagen, wie genau es dazu kam, aber nach dem dritten Tag bin ich kaum mehr alleine unterwegs. Vielleicht haben Anstrengung und Aufregung dazu geführt. Vielleicht auch der Wunsch nach Gesellschaft, wenn man keine Kraft mehr hat und nicht mehr weiter will.
Der Weg von der Zamser Skihütte bis zur Braunschweiger Hütte auf 2760 Metern bleibt mir als einer der schönsten Tage dieser Alpenüberquerung im Gedächtnis. Kaum weniger Höhenmeter als am Tag zuvor, merke ich deutlich, dass mir die Strecke leichter fällt, wenn ich in Gesellschaft laufe. Relativ schnell hat sich eine kleine Gruppe zusammengeschlossen, wir sind langsam, aber ich passe mein Tempo an und entspanne mich. Sogar eine recht ausgiebige Mittagspause erscheint mir heute angebracht und ich lasse meinen eigenen Zeitplan außen vor.
Aufstieg mit Blick auf den Gletscher
Auch an diesem Tag ist die Strecke nur durch die Inkaufnahme einer einstündigen Busfahrt zu schaffen, bevor der dreistündige Aufstieg zur Braunschweiger Hütte beginnt, dem höchstgelegenen Schlafplatz unserer Wanderroute. Der Wanderweg verläuft abwechslungsreich, technisch und konditionell herausfordernd zwischen Gesteinsbrocken und an Felswänden entlang. Der Blick frei auf den Pitztaler Gletscher. Die Braunschweiger Hütte liegt inmitten dieser beeindruckenden Fels- und Gletscherlandschaft. Die Aussicht während des steiler werdenden Aufstieges ist spektakulär und lohnt die Mühe.
Die letzte Stunde sind wir nur noch zu zweit und erreichen die Hütte mit deutlichem Abstand nach den anderen am späten Nachmittag. Als wir den Gastraum betreten und die restliche Gruppe des Tages schon zusammen an einem der schweren Holztische sitzen sehen, fühlt es sich fast danach an, als kämen wir nach Hause. Man kennt sich kaum, aber fühlt sich verbunden.
Nicht die Einsamkeit, sondern die Gesellschaft bringt mich zur Ruhe
Wir sitzen an diesem Abend noch lange zusammen und brechen auch am nächsten Morgen gemeinsam auf. Ich fühle mich besser und angekommen. Den Abstand von Stress und Rastlosigkeit in der Heimat finde ich nicht wie erwartet alleine und ruhig in der Einsamkeit der Berge, sondern in der Gesellschaft der anderen und in dem gemeinsamen Erlebnis.
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Tag 5: Von der Braunschweiger Hütte zur Martin-Busch-Hütte
Strecke: 18 Kilometer, Aufstieg: 1.120 Höhenmeter, Abstieg: 1.350 Höhenmeter
Der vorletzte Tag startet früh mit dem Aufstieg zum Pitztaler Jöchl auf 2.996 Meter, dem bisher höchsten Punkt der Alpenüberquerung. Es führt ein sehr guter, mit Drahtseilen gesicherter Steig an der Felswand hinauf. Wir entdecken zwei Steinböcke kurz vor dem Pass und genießen die Aussicht auf die umliegenden Gletscher in der Morgensonne.
Zu viert steigen wir über ein vereistes Schneefeld ab und helfen uns gegenseitig an schwierigen Stellen. Ohne geliehene Stöcke und helfende Hände wäre der Abstieg für mich kaum machbar gewesen.
Wer nicht über den Gletscher laufen will, dem bleibt nur der Weg durch den Tunnel. Zu siebt teilen wir uns den kleinen Minibus, der an der im Sommer verlassenen und geisterhaft wirkenden Skiliftstation die Wanderer des E5 aufnimmt und nach acht Minuten Fahrt auf der anderen Seite wieder aussteigen lässt. Alleine hätte ich wohl die Straße durch den Tunnel riskiert, aber meine Priorität liegt nicht mehr darauf, schnell und selbstständig voranzukommen, sondern bei der Gruppe zu bleiben.
Endlich habe ich mich ans Laufen mit Gepäck gewöhnt
Auf dem vierstündigen, leicht abfallenden Panoramaweg bis zum Dörfchen Vent auf 1895 Metern zieht sich die Gruppe in die Länge. Jeder verfällt in sein eigenes Tempo. In Sichtweite legen wir die Strecke entspannt zurück, kommen nacheinander zum Mittagskaffee an und haben uns mittlerweile an das Laufen und das Gepäck gut gewöhnt. Eigentlich kaum vorstellbar, dass am nächsten Tag bereits die letzte Etappe ansteht.
Der Aufstieg bis zur Martin-Busch-Hütte gestaltet sich äußerst zäh und ermüdend. In der Julisonne laufen wir ein breites Tal hinauf. Der Weg ist breit und stetig, man verliert das Zeitgefühl und es ist heiß.
Mit 20 anderen in einem überfüllten Raum ohne Fenster
Der letzte Kilometer kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Auch die Unterbringung in der Hütte ist eher enttäuschend. Corona-konform wurden zwischen den Matratzen zwar hölzerne Sperrplatten aufgestellt, doch wir liegen mit 20 anderen zusammen direkt unter dem Dach, der Raum ist völlig überfüllt und hat keine Fenster.
Eine kurze Nacht für alle, am nächsten Morgen stehen wir früh auf, um uns zu verabschieden. Hier teilt sich die Wegstrecke in die verschiedenen Alternativen des E5 auf.
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Alpenüberquerung, Tag 6: Von der Martin-Busch-Hütte bis zum Stausee in Vernagt, dann nach Meran
Strecke: 10 Kilometer, Aufstieg: 560 Höhenmeter, Abstieg: 1.400 Höhenmeter
Gemeinsam mit einem Pärchen aus dem Allgäu beginne ich meinen letzten Wandertag. Die Strecke heute ist kurz und wir kommen gut voran. Bereits auf italienischem Gebiet machen wir unsere letzte Rast bei der neu renovierten und wirklich sehr hübschen Similaunhütte auf 3.019 Meter. Der Ausblick auf den 3606 Meter hohen Similaun und die Ötztaler Alpen ist hervorragend.
Freilaufender Hund auf Weidegebiet – es wird brenzlig
Was eigentlich nur noch der letzte, gleichmäßige und entspannte Abstieg der Alpenüberquerung werden sollte, entwickelt sich am Nachmittag jedoch nochmal zu Aufregung und Stress. Leider geraten wir in eine Situation, die so in den Bergen eigentlich nicht vorkommen darf: Schon von Weitem sehen wir einen freilaufenden Hund, der zu zwei Wanderern ein ganzes Stück weiter talabwärts gehört. Wir befinden uns auf Weidegebiet, es besteht strenge Leinenpflicht. Zu beiden Seiten wird das Tal von Felswänden begrenzt. Die Gefahr der Situation wird uns schnell bewusst, doch die unachtsamen Wanderer ignorieren nicht nur die Vorschriften in den Bergen, sondern auch unsere Zurufe.
Der Hund, selbst in Angst und Aufregung versetzt, scheucht die grasenden Kühe auf, und verursacht ein wildes Chaos. Wir bringen so schnell und so viel Abstand wie möglich zwischen uns und die in Panik geratene Herde. Einige der Kühe laufen uns nach, während wir querfeldein über die Weide stolpern. Hätte man mir am ersten Tag der Alpenüberquerung erzählt, dass ich mit diesem Rucksack mal vor einer Kuh davonrennen werde, hätte ich es mir nicht einmal vorstellen können. Die Hundebesitzer sehen wir schon gar nicht mehr, hoffen aber, dass sie das Geschehen wenigstens so weit mitbekommen haben, um daraus zu lernen.
Den Rest des Weges legen wir schweigend zurück, wütend darüber, was uns gerade passiert ist und hätte passieren können.
Vom Wanderziel Vernagt mit Bus und Bahn nach Meran
Das Ziel unserer Wanderung ist der Stausee in Vernagt auf 1689 Meter Höhe. Von dort geht es zuerst mit dem Bus und anschließend mit dem Zug nach Meran. Wir lassen den Naturpark Texelgruppe hinter uns und fahren eine Stunde in der stark klimatisierten Bahn bis in die Kurstadt in den Südtiroler Alpen.
Zugegeben, wer sich mehr Tage Zeit nimmt und Meran zu Fuß erreicht, wird wohl ein spektakuläreres Gefühl erleben als wir. Recht ernüchtert steigen wir am Bahnhof aus, ein überschwängliches Ankommen ist es nicht. Dafür treffen wir uns abends mit allen, die an diesem Tag bis nach Meran gekommen sind, um ein letztes Mal gemeinsam zusammen zu sitzen. Und feiern die knapp 85 Kilometer mit italienischem Wein und gutem Essen.
Fazit zu meiner Alpenüberquerung
Lange Strecken über mehrere Tage zu wandern, ist eine Trainingssache. Mich hat neben den körperlichen Anforderungen vielmehr die Unsicherheit herausgefordert, die einen ständig begleitet, wenn man alleine wandert. In den Bergen unterwegs zu sein, bedarf Konzentration. Ein Fehltritt, ein Stein, der sich löst, nur eine Sekunde Unachtsamkeit – all das kann schwerwiegende Folgen haben.
Erst nach dem dritten Tag ist mir bewusst geworden, was für eine unglaubliche Erleichterung Gesellschaft sein kann. Wie freier und entspannter man läuft, wie sicherer und besser man sich fühlt.
Nach zwei Tagen Wanderpause in Meran war ich körperlich wieder genauso fit wie zuvor, ich spürte weder einen merklichen „Trainingseffekt“, noch Leistungseinbußen. Doch die Menschen, die ich in den Bergen getroffen und kennen gelernt habe, werden mir im Gedächtnis bleiben.
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DAV-Tipps zur Vorbereitung auf eine Alpenüberquerung
Jakob Neumann vom Deutschen Alpenverein (DAV) gibt nützliche Hinweise, die für eine Etappenwanderung über die Alpen (wie z. B. auf dem E5) hilfreich sein können.
- Gesund in die Berge
Neumann warnt in dieser Hinsicht vor Selbstüberschätzung und betont wie wichtig es sei, den eigenen Körper zu kennen und Warnsignale frühzeitig zu erkennen. Eine Fernwanderung könne nicht einfach aus dem Stand absolviert werden. Neumann empfiehlt, sich gut vorzubereiten und die körperliche Belastung langsam zu steigern.
Wer sich seiner Sache nicht sicher sei, solle im Zweifel lieber umdrehen. Niemals Risiken eingehen, die man nicht zuverlässig einschätzen könne, so Neumann. Selbstverantwortung sei hier entscheidend.
- Ausrüstung
Zu der Vorbereitung zähle auch, das entsprechende Equipment vorher auszuprobieren und passend auszuwählen. Hierfür eignen sich Mehrtagestouren oder kleinere Ausflüge, um festzustellen, was wirklich gebraucht werde und was zuhause bleiben könne. Hochwertige Ausrüstung erspare viel Ärger, so Neumann. Insbesondere bei den Schuhen und der Kleidung solle man keine Kompromisse eingehen.
Einige Basics, wie beispielsweise ein Biwaksack oder ein Erste-Hilfe-Set, gehören laut Neumann zur Standardausrüstung und dürften auf keinen Fall fehlen.
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- Karten lesen lernen
Eine gute Beschilderung und Infrastruktur, wie es beispielsweise auf dem E5 der Fall ist, wären nicht immer vorhanden, so Neumann. Er empfiehlt, auf jeder Wanderung ein Handy mit Navigations-App inklusive Powerbank dabei zu haben. Auch eine Karte des entsprechenden Gebietes gehöre in den Rucksack. Diese habe man sich optimalerweise bei der Vorbereitung und Planung der Tour angeschaut und lesen gelernt, so Neumann. Viele Navigations-Apps zeigen beispielsweise die Schwierigkeit alternativer Routen nicht so detailliert an, wie eine klassische Alpenvereinskarte.
Auch die Notfall-Nummer parat zu haben, zähle zu einer guten Vorbereitung. Europaweit könne man mit der Nummer 112 einen Notruf absetzen. Weitere Informationen für andere Länder finden Sie hier.
- Wetter beobachten
Das Wetter könne in den Bergen schnell umschlagen, berichtet Neumann. Unwetter seien oft unvorhersehbar, weshalb eine aufmerksame Verfolgung des Wetterberichtes ebenso zur täglichen Vorbereitung gehöre. Im Zweifel sei eine Wegstrecke zu wählen, von der man schnell absteigen kann oder auf der es ausreichend Unterkünfte gibt. Gratwanderungen und Gipfelbesteigungen sind bei unsicherer Wetterlage in jedem Fall zu meiden.
- Corona
Wie der Sommer 2021 aussehen wird, kann noch niemand sagen. Voraussichtlich werden auch diese Sommersaison nicht alle Alpenvereinshütten öffnen können oder zumindest nur eine begrenzte Anzahl an Betten zur Verfügung stellen können. Hier bedarf es also einer noch sorgfältigeren Organisation und Planung. So wie auch im vergangenen Jahr würden Übernachtungen sehr wahrscheinlich nur mit einer vorausgehenden Reservierung möglich sein, so Neumann.
Was außerdem zu beachten sei: „Bei einer Alpenüberquerung betritt man mehrer Länder, in denen oftmals unterschiedliche Regeln gelten. Teilweise unterscheiden sich die Vorgaben sogar regional und ändern sich häufig. Bereits bei der Planung sollte man das berücksichtigen und auch unterwegs die aktuelle Lage verfolgen.“