
1. März 2025, 8:23 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Möchten Sie beim Sport länger durchhalten – oder explosiver werden? In beiden Fällen brauchen Sie eine Mischung aus aerobem und anaerobem Training. Erfahren Sie hier, wie sie das Wissen darum konkret für Ihre Ziele nutzen können und wie man es ermittelt.
Stellen Sie sich vor, Sie müssen ein Gebäude in den 10. Stock hinauflaufen. Wenn Sie gemütlich die Treppen hochgehen, haben Sie genug Zeit, Sauerstoff zu nutzen – das ist wie aerobes Training. Doch wenn Sie im Sprint nach oben rennen, wird der Sauerstoff knapp, und Ihr Körper muss auf Notfallreserven zurückgreifen – das ist anaerobes Training. Das Wissen um das Verhältnis von aerober und anaerober Energiegewinnung hilft Ausdauer- wie Kraftsportlern, ihr Training gezielt zu steuern, ihre Leistung zu maximieren und Ermüdung effizient zu vermeiden.
Übersicht
- Aerober und anaerober Stoffwechsel laufen parallel ab
- Was bringt es mir, zu wissen, ob ich aerob oder anaerob trainiere?
- Was passiert, wenn der Körper Milchsäure bildet?
- Wie kann ich meine aerobe bzw. anaerobe Schwelle ermitteln?
- Kann man spüren, ob man gerade aerob oder anaerob trainiert?
- Wann sollte man aerob und wann anaerob trainieren? Das rät der Experte
- Quellen
Aerober und anaerober Stoffwechsel laufen parallel ab
Die beiden Begriffe aerob und anaerob stehen im Zusammenhang mit den Stoffwechselprozessen in unserem Körper: Aerob sind solche, die mit Sauerstoff stattfinden, anaerob hingegen jene, die ohne Sauerstoff ablaufen.
Relevant wird diese Unterscheidung besonders beim Training. Denn gerade beim Sport arbeitet unser Stoffwechsel zur Energiegewinnung auf Hochtouren. Oftmals ist dabei von einer Schwelle die Rede, ab der der Körper vom aeroben Stoffwechselbereich in den anaeroben „umschaltet“. Ganz so einfach funktioniert das Ganze allerdings nicht: Denn beim Menschen ist es prinzipiell so, dass aerobe und anaerobe Stoffwechselprozesse parallel im Körper ablaufen – selbst im absoluten Ruhezustand.
Genaugenommen gibt es damit keinen rein aeroben und keinen rein anaeroben Trainingsbereich. Aber: Für Sportler ist das Wissen um diese beiden Stoffwechselprozesse trotzdem extrem hilfreich. Im besten Fall weiß man, in welchem Verhältnis aerobe und anaerobe Stoffwechselprozesse individuell während des Trainings ablaufen. Dafür analysieren Sportwissenschaftler, wann und in welchem Umfang der Körper Energie maßgeblich durch Sauerstoff (aerob) oder ohne Sauerstoff (anaerob) gewinnt.
Was bringt es mir, zu wissen, ob ich aerob oder anaerob trainiere?
Aerobes Training verbessert vor allem unsere kardiovaskuläre Ausdauer, während anaerobes Training hauptsächlich unsere Muskelkraft steigert. Ein besseres Verständnis der Stoffwechselprozesse hilft, das Training so zu steuern, dass Übersäuerung vermieden wird. Wenn man weiß, wann der eigene Körper in den anaeroben Bereich wechselt und schneller ermüdet, kann man den Trainingsplan und auch eine Wettkampfstrategie daran anpassen. Der Nutzen um das Wissen von aerobem und anaerobem Training am Beispiel für Läufer:
- Läufer etwa können gezielt an ihrer anaeroben Schwelle arbeiten, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern.
- Langstreckenläufer trainieren vor allem die aerobe Kapazität, um Energie möglichst lange effizient bereitzustellen.
- Sprinter nutzen verstärkt anaerobe Prozesse für maximale Leistung über kurze Zeit
Was passiert, wenn der Körper Milchsäure bildet?
Um das Verhältnis aerober und anaerober Prozesse während des Trainings zu bestimmen, wird das Laktat gemessen. „Laktat ist das Anion der Milchsäure und entsteht beim anaeroben Stoffwechsel als Abfallprodukt, wenn der Körper Zucker in Milchsäure umwandelt“, erklärt der Mediziner und Langstreckenläufer Dr. med. Paul Schmidt-Hellinger FITBOOK. Um herauszufinden, ab wann der Körper vom überwiegend aeroben in den anaeroben Bereich wechselt, misst man den Anstieg des Laktatspiegels im Blut. Laktat, also das Salz der Milchsäure, ist im menschlichen Körper grundsätzlich schon vorhanden. Sein Gehalt wird in dem Konzentrationsmaß Millimol pro Liter (mmol/l) angegeben.
Aerobe Schwelle
Die aerobe Schwelle erklärt der Mediziner von der Abteilung für Sportmedizin der Charité Berlin so: „Der Basiswert an Laktat im Blut beträgt zwischen ein und zwei Millimol. Die aerobe Schwelle beschreibt nun den Punkt, an dem der Laktatspiegel im Blut diesen Wert zum ersten Mal überschreitet.“ Dieser Wert zeigt dann die persönliche aerobe Schwelle an.
Anaerobe Schwelle – „Laktat-Steady-State“
Im Unterschied dazu die anaerobe Schwelle: Sie hat man laut dem Mediziner erreicht, „wenn der Laktatspiegel den Wert der aeroben Schwelle um nochmals mindestens 1,5 Millimol überstiegen hat“. Diesen Punkt nennen die Experten in der Fachsprache auch „Laktat-Steady-State“. Einfach gesagt bedeutet das, dass Laktatbildung und Laktatabbau gerade noch in einem Gleichgewicht zueinander stehen. Erhöht man nun weiter die körperliche Belastung, steigt der Laktatspiegel ab diesem Punkt immer schneller und stärker an. Es kommt zur Erschöpfung.
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Warum Laktat lange ein negatives Image hatte
Laktat galt lange als schädlich für die Leistungsfähigkeit, weil es mit Muskelermüdung in Zusammenhang gebracht wurde. Den Grundstein dieser These legte der Biochemiker Otto Fritz Meyerhof, der in den 1920er-Jahren die Glykolyse und die Milchsäurebildung erforschte.1 Worin der Irrtum lag, erklärt Schmidt-Hellinger so: „Laktat wurde oft mit der Milchsäure selbst verwechselt und deshalb für eine Übersäuerung des Muskels verantwortlich gemacht.“
Laktat-Shuttle-Theorie
Heute weiß man, dass Laktat nicht nur ein „Abfallprodukt“ ist, sondern eine wichtige Rolle im Energiestoffwechsel spielt. Als Retter des schlechten Rufs von Laktat gilt George Brooks. Er hat 1985 die „Laktat-Shuttle“-Theorie aufgestellt. Diese besagt, dass es zwei Mechanismen gibt, mit denen Laktat der Verstoffwechselung zugeführt werden kann, ohne über den Blutkreislauf zu gelangen. Beim „Intracellular Shuttle“ wird entstandenes Laktat innerhalb derselben Zelle über einen Shuttle Mechanismus in die Mitochondrien verschoben. Beim „Cell-Cell Lactate Shuttle“ wird das dort angehäufte Laktat in eine andere Muskelzelle transportiert, die mit höherem aeroben Potential zum Abbau von Laktat geeignet ist. Bei beiden Vorgängen taucht außerhalb des Muskels kein messbar erhöhter Laktatwert auf. Kann der Muskel das Laktat nicht mehr abbauen, wird es in das Blut verschoben. Jetzt ist es messbar.2,3
„Laktat kann als Anion im Gegenteil sogar die Anhäufung von Säure im Muskel abfangen“, erklärt Schmidt-Hellinger den Faktor, der zur „Ehrenrettung“ des Laktats maßgeblich beitrug. Insgesamt übersäuert der Muskel bei stark anaerober Belastung natürlich trotzdem“, stellt der Mediziern klar.
Wie kann ich meine aerobe bzw. anaerobe Schwelle ermitteln?
Um das Laktat während der Belastung zu messen, wird typischerweise der sogenannte Stufentest absolviert. „Wie der Name impliziert, wird der Test stufenweise durchgeführt. Man lässt den Sportler dazu in verschiedenen Geschwindigkeiten, etwa vier, sechs, acht, zehn und zwölf Stundenkilometer für drei Minuten laufen. Nach jeder Stufe folgen dreißig Sekunden Pause und es wird ein wenig Blut abgenommen, um den Laktatwert zu bestimmen“, erklärt Schmidt-Hellinger.
Zusätzlich wird die Herzfrequenz gemessen. Laut dem Mediziner kann dieser Wert dem Sportler Aufschluss darüber geben, an welchem Bereich der Herzfrequenz er sich während seines Trainings in etwa orientieren sollte, um entweder aerob oder anaerob zu trainieren. „Allerdings muss man in diesem Zusammenhang berücksichtigen, dass die Herzfrequenz kein vollkommen zuverlässiger Wert zur Bestimmung des aeroben und anaeroben Bereichs ist“, relativiert Schmidt-Hellinger. Oft hängt die Herzfrequenz auch von äußeren Faktoren ab, wie etwa der Außentemperatur. Sie kann zudem stark schwanken.
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Was kostet ein Laktat-Test – und muss man ihn selbst bezahlen?
Ein solcher sportmedizinischer Laktat-Test kann für Sportler, die auf ein gewisses Ziel hinarbeiten, durchaus sinnvoll sein. Viele Krankenkassen beteiligen sich hier sogar bis zu 90 Prozent an den Kosten. Schmidt-Hellinger empfiehlt, sich bei der eigenen Krankenkasse direkt zu erkundigen. Die Abteilung für Sportmedizin der Charité Berlin bietet eine Laktatmessung im Rahmen eines sportmedizinischen Check-ups an. Kostenpunkt laut Schmidt-Hellinger: rund 150 Euro.
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Kann man spüren, ob man gerade aerob oder anaerob trainiert?
Den Wechsel in den anaeroben Bereich könne man am ehesten durch das subjektive Empfinden feststellen – wie dem Gefühl, nach Luft schnappen zu müssen und einer sich anbahnenden Erschöpfung. Eindeutige körperliche Signale, die Aufschluss darüber geben, ob man gerade aerob oder anaerob trainiert, gibt es laut Schmidt-Hellinger nicht. Hilfreich sei aber der sogenannte „Talking-Test“. „Wer sich zum Beispiel beim Training noch mit seinem Laufpartner unterhalten kann, trainiert mit hoher Wahrscheinlichkeit im aeroben Bereich“, sagt der Mediziner. Sei man allerdings atmungstechnisch noch so fit, dass man theoretisch sogar singen könnte, sei kein Trainingseffekt vorhanden.

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Wann sollte man aerob und wann anaerob trainieren? Das rät der Experte
Ob man aerob oder anaerob trainieren sollte, hängt laut Schmidt-Hellinger vom persönlichen Trainingsziel ab. Möchte man die eigene aerobe bzw. anaerobe Schwelle verbessern, rät der Mediziner, im gemäßigten anaeroben Bereich zu trainieren und damit einen sanften Trainingsimpuls zu setzen. „Man sollte den Körper natürlich nicht überstrapazieren, ihm aber dennoch einen kleinen Anreiz geben. Nur so kommt es letztlich zu einem Trainingseffekt und einer Verbesserung der Ausdauer.“
Man könne sich dabei an der Regel orientieren, dass etwa zwei Drittel des Trainings im aeroben bis ganz unteren anaeroben Bereich und ein Drittel tatsächlich im intensiv anaeroben Bereich stattfinden sollten. Wichtig sei außerdem, zwischen den Trainingseinheiten Pausen von etwa 48 Stunden einzulegen, damit der Körper sich regenerieren und den gesetzten Trainingsreizen anpassen kann.
Extra-Tipp für Kraftsportler
Wer allerdings Kraftsport betreibt und möglichst viele Muskeln aufbauen möchte, sollte laut Dr. Schmidt-Hellinger überwiegend auf anaerobes Krafttraining setzen – also da hingehen, wo die Muskeln brennen. „Hier kommt es auf das Training der Maximalkraft an. Daher muss der Trainingsreiz bis zur muskulären Erschöpfung reichen, um einen Effekt zu erzielen“, erläutert Schmidt-Hellinger. Ein zusätzliches hochintensives Ausdauertraining sei nicht förderlich. „Die Trainingsimpulse stehen ansonsten in Konkurrenz zueinander und blockieren sich gegenseitig.“ Als Kraftsportler sollte das Ausdauertraining im „lockeren“ aeroben Bereich als Warm-up und Cool-down stattfinden.