31. Mai 2023, 19:20 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Gut vorbereitet an der Startlinie stehen. In Vorfreude darauf, dass sich der Fleiß und das Training der letzten Wochen gleich auszahlen werden. Wissend, dass man den Lauf locker schafft – wenn nicht sogar in einer persönlichen Bestzeit. Das alles in Kombination muss sich richtig gut anfühlen. Wie sich ein 10-Kilometer-Laufevent ohne Training anfühlen kann, weiß Susanne Resch, unsere Kollegin von TRAVELBOOK. Sie hat ohne viel Vorbereitung beim Koro-Frauenlauf 2023 in Berlin mitgemacht und ihre Erfahrungen für FITBOOK aufgeschrieben.
„Ach komm, das schaffst du schon und ein bisschen Zeit ist ja noch bis zum Rennen“, so die motivierenden Worte meiner FITBOOK-Kollegin Alex, um mich für einen 10-Kilometer-Lauf anzuspornen. Zuvor erzählte sie mir, dass sie sich beim Koro-Frauenlauf in Berlin angemeldet habe, woraufhin ich meinte: „Oh, da würde ich auch gerne mal mitmachen – ich bin aber in diesem Jahr erst einmal gelaufen.“ Obwohl diese Unterhaltung etwa anderthalb Monate vor dem Event stattgefunden hatte, meldete ich mich erst elf Tage davor an. Ohne bis zu diesem Tag auch nur einen einzigen gelaufenen Kilometer mehr in den Knochen gehabt zu haben.
Warum ich trotzdem mitlaufen wollte? Weil ich (mir) bis dahin immer gesagt hatte, dass ich mich nicht zu einem Lauf anmelden kann, weil ich nicht (genug) trainiert habe, obwohl ich auf der anderen Seite nie wirklich in den Trainingsrhythmus gekommen bin oder diesen aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen musste. Daher entschied ich mich also kurz vor dem Lauf, als die (Nicht-)Sportlerin, die ich nun einmal bin, an die Startlinie zu treten – ohne eine bestimmte Zeit im Kopf, nur mit dem Ziel, durchzuhalten. Lauf statt Rennen: Der Frauenlauf in Berlin durch den Tiergarten, der sich Charity, Female Empowerment und Solidarität auf das Lauf-Shirt schreibt, schien mir dafür perfekt. Doch ob ein 10-Kilometer-Lauf fast ohne Training und fast ohne Joggen in den Monaten zuvor wirklich eine gute Idee war?
Die letzten 10 Tage vor dem Lauf
Mit der Anmeldung wuchsen auch meine Bedenken. Zwar fahre ich fast jeden Tag etwa 12 Kilometer Fahrrad und ich bin auch keine absolute Laufanfängerin. Auch bin ich in den letzten vier Jahren – zwar selten, aber immer wieder mal – Strecken um die acht bis zehn Kilometer gelaufen. Doch mein Laufumfang lag bis auf ein paar Ausnahmemonate immer nur bei etwa 15 Kilometern (im Monat!). Im Jahr 2023 bin ich erst einmal Anfang Januar gejoggt.
Um vor dem Frauenlauf zumindest noch ein paar Kilometer in meinen Laufschuhen auf die Straße zu bringen, bin ich neun Tage davor drei Kilometer und vier Tage davor sechs Kilometer gelaufen. Ob das gereicht hat? Und ob der Kopf mitgespielt hat? Denn durch das bisschen Lauferfahrung, das ich hatte, wusste ich, wie wichtig das richtige Mindset beim Joggen ist.
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Die letzten Stunden vor dem Lauf
Als ich dann am Tag des Frauenlaufs mit dem Fahrrad zum Laufevent fahre, schwanke ich zwischen „Ach, das wird richtig gut“, „Puh, Hauptsache, ich schaffe das irgendwie“ und „Oha, das könnte richtig knapp werden“. Auf der Straße des 17. Juni angekommen, checke ich auf dem Veranstaltungsgelände ein und hole meine Startnummer und mein Lauf-Shirt ab. „Sei du selbst“ lautet das Motto des Frauenlaufs in diesem Jahr. Ok, ich bin die motivierte Nicht-Sportlerin, die gerade etwas aufgeregt ist. Warum nicht? Das Schlimmste, was passieren kann, ist, aufgeben zu müssen, sage ich mir. Der Gedanke, dass ich es dann immerhin probiert hätte, motiviert mich.
Ich ärgere mich gerade gedanklich etwas über das stereotype und klischeehafte Lila der Lauf-Shirts, als ich höre, wie eine andere Teilnehmerin zu ihrer Bergleitung meinte, dass diese Farbe auch für Solidarität für krebs- und brustkrebserkrankte Menschen steht. Auf einmal mag ich das fliederfarbene Shirt sehr.
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An der Startlinie
Steht der Koro-Frauenlauf auch für Motivation und Respekt, fühle ich genau das, als wir an der Startlinie stehen – genauer gesagt, ziemlich weit dahinter. Denn wir haben uns bei einer Zielzeit von etwa 70 Minuten eingeordnet. Wir: Das sind Alex, die die 10 Kilometer langsam laufen möchte, weil sie am nächsten Tag für einen 25-Kilometer-Lauf angemeldet ist (RESPEKT!!!), Maren, die schwanger ist, und ich, die hier ohne vorbereitendes Training in der Masse steht. Klingt für mich nach einer optimalen Kombination. Dazu kommen tausend andere Läuferinnen in den lilafarbenen Shirts.
Vor uns die Siegessäule, hinter uns das Brandenburger Tor, links und rechts der Tiergarten, über uns die Sonne und blauer Himmel: Die Stimmung ist mega und vergessen meine Gedanken, ob ein Lauf nur für Frauen noch zeitgemäß ist. In der Luft liegen gegenseitige Unterstützung und ein Mit- statt Gegeneinander. Ich merke, dass es hier für viele nicht um die Zeit und die Leistung, sondern um den Lauf an sich geht. Ich habe total Lust und beruhige mich, indem ich mir sage, dass ich zwar nicht trainiert, aber immerhin kohlehydratreich gegessen, gut geschlafen und genug getrunken habe. Wird schon! Beim Warm-up feiere ich mehr, als dass ich die Übungen korrekt ausführe und genieße einfach die Wahnsinns-Stimmung.
3-2-1-Los!
Der Countdown läuft und dann geht’s los. Noch einmal tief Luft holen und ich will loslaufen. Da es mein erster Lauf ist, weiß ich natürlich nicht, dass wir erst einmal bis zur Startlinie gehen statt laufen: Bei so vielen Läuferinnen dauert es natürlich etwas, bis jede wirklich laufen oder sogar richtig Tempo machen kann. Gut, dann strecke ich bis zur Startlinie eben die Arme im Takt zur Musik in die Luft. Getreu dem Motto: „Sei du selbst“!
Zunächst geht es auf der Straße des 17. Juni Richtung Siegessäule, dann biegen wir links in den Tiergarten ab. Gemeinsam färben wir den Tiergarten lila und ich fühle mich richtig gut. Überall feuern uns Zuschauer an und ich habe richtig Spaß an unserem entspannten Lauf mit einer ungefähren Pace von 6:45.
Überraschenderweise hält das gute Gefühl weiter an. Besser noch: Es hört gar nicht auf. Etwa bei Kilometer 7 setze ich mich etwas von unserer Lauftruppe ab – ich will nun doch sehen, was noch möglich ist. Ob ich mich überschätzt habe?
„Gleich geschafft, Susanne“!
Das ruft mir ein Zuschauer etwa bei Kilometer 9 zu. Etwa 300 Meter überlege ich, woher ich ihn kenne, als mich ein anderer mit meinem Namen anfeuert. Dann fällt mir ein, dass mein Name auf meiner Startnummer steht und ich freue mich über das persönliche Anfeuern. Ich bin sogar ein bisschen gerührt von dieser Form der Unterstützung. „Gleich geschafft, Susanne“, sage ich mir selbst und ziehe etwa 500 Meter vor dem Ziel noch etwas an. Und ich bin schon jetzt stolz, dass ich den Lauf ohne Gehpausen und sogar noch etwas schneller als gedacht, schaffen werde.
Eine letzte Kurve und dann geht es aus dem Tiergarten heraus, auf die Straße des 17. Juni. Hinter mir das Brandenburger Tor und vor mir die Siegessäule und die Ziellinie. Noch ein letzter „Sprint“ (wenn man das in meinem Tempo so nennen kann) und ich überquere die Ziellinie in 01:05:55. Erst später erfahre ich, dass das die Brutto-Zeit ist – netto habe ich 01:04:02 gebraucht. Denn bis wir nach Startschuss die Startlinie überqueren konnten, hat es knapp zwei Minuten gebraucht. Da war die spätere Gewinnerin, Deborah Schöneborn, übrigens schon längst im Tiergarten. Sie hat für die 10 Kilometer 00:33:57 gebraucht – was für eine Leistung!
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Starker Kopf – starker Lauf?
Überraschenderweise fühlte ich mich den ganzen Lauf super. Ich habe es total genossen, mit so vielen anderen Läuferinnen zusammenzulaufen. Da ich das bis dahin nicht kannte, wusste ich nicht, wie sehr das pushen kann. Auch anfeuernde Zuschauer haben mich immer wieder richtig angetrieben. Ganz besonders toll fand ich die Trommelgruppen: Für ein „Danke“ hat meine Puste immer gereicht.
Schon bei Kilometer 4 habe ich das erste Mal mit dem Gedanken gespielt, das Tempo etwas anzuziehen. Zum Glück haben mich Alex und Maren etwas gebremst, denn das hätte ich wohl über die letzten sechs Kilometer nicht durchgehalten. Dachte ich während des Laufs immer wieder, ich hätte noch Luft, sagte der Blick in meine Fitness-App nach dem Lauf etwas anderes. Fast eine Stunde lang bin ich mit einer Herzfrequenz bzw. einem Puls von weit mehr als 170 gelaufen.
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Ist nach dem Lauf vor dem Lauf?
Nachdem ich mir bewiesen hatte, dass ich die 10 Kilometer auch ohne viel Vorbereitung schaffe, bin ich diese Distanz in den zwei Wochen nach dem Laufevent bereits zwei weitere Male gelaufen. Für mich war der 10-Kilometer-Lauf ohne Training also ein echter Antrieb. Das Gefühl, es geschafft zu haben, pusht mich noch heute. Und ich will im nächsten Jahr wieder beim Frauenlauf in Berlin mitmachen. Allerdings mit Training und auf jeden Fall mit einer Zielzeit von unter einer Stunde. Den Erfahrungsbericht lest ihr dann hier.