4. Februar 2020, 7:03 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Flavios Wohnzimmer ist das Fitnessstudio. Außerdem ist der FITBOOK-Autor bekennender Fleischliebhaber, der jeden Monat einen halben Hühnerstall verdrückt. Das soll sich jetzt ändern: Für sechs Monate will er sich rein vegan ernähren und im Rahmen einer Kolumne über sein neues Leben berichten. Im ersten Teil erklärt er uns seine Motive für die dezent radikale Ernährungsumstellung.
Ich bin Flavio, esse pro Woche 5 Kilo Fleisch und 50 Eier und ernähre mich seit dem 1. Februar für ein halbes Jahr lang vegan.
Ich weiß, diese Intro wirft viele Fragen auf, wovon ich die meisten bestimmt schon kenne. Denn: Mein täglicher Fleischkonsum und damit auch meine unermüdliche Jagd nach Proteinen führen oft zu spitzen Kommentaren und machen mich zur Zielscheibe von jeder Menge ungebetener Ernährungsratschläge.
Muscle was my first love
Warum mir Proteine so wichtig sind, könnt ihr euch bestimmt denken. Ich liebe Kraftsport – und das vielleicht auch ein bisschen exzessiv. Schon als Kind war ich laut den Erzählungen meines Vaters kaum vom Fernseher wegzukriegen, sobald ich Arnold Schwarzenegger oder Dolph Lundgren erblickte. Wo andere nur Muskelberge sahen, ergötzte ich mich an faszinierender athletischer Ästhetik.
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Richtig mit Kraftsport begonnen habe ich im Sommer 2014, als ich nach einer Rückenverletzung keinen Sport mehr machen konnte und unaufhörlich zunahm. Erste Erfolge stellten sich schnell ein und hielten mich bei der Stange. Der sichtbare Verlust von Körperfett und die Zunahme an Muskelmasse sorgten dafür, dass ich mich wohler fühlte und dem Kraftsport bis heute treu geblieben bin. Und sie ließen mich immer größer werdende Mengen an (tierischem) Eiweiß in mich reinstopfen, schließlich führte ich meinen Trainingserfolg auch auf kiloweise Hähnchenschenkel zurück …
Darum ernähre ich mich jetzt rein pflanzlich
Genau das will ich jetzt radikal ändern und wage den Sprung von (mindestens) 100 auf 0! Aber warum will ich das tun?
Nun, kaum ist die magische Altersgrenze von 30 durchbrochen, mache ich mir mehr Gedanken über meinen Lebensstil und frage mich, ob das alles so gesund ist. Zu meinen Zweifeln beigetragen haben auch meine Kollegen bei den anderen BOOKs. Als ich in einer Themenkonfi neulich die Info gedroppt habe, wie viel Fleisch ich mir jeden Tag reinzimmere, habe ich in den Augen der STYLEBOOK-Kolleginnen irgendwas zwischen Entsetzen, Ekel und Mitleid gesehen. Nichts, was mich unbedingt abschrecken würde. Um es mit den Worten eines bekannten deutschen Profi-Bodybuilders zu sagen: „Je ekliger mich die Frauen fanden, desto sicherer war ich mir, auf dem richtigen Weg zu sein.“
Dennoch schwören ja immer mehr Athleten auf eine vegane Ernährung, selbst mein Idol Arnie hat sich schon geoutet, vegan zu leben, wie viele von euch in der Netflix-Produktion „The Game Changers“ gesehen haben werden. Ich gehöre zwar nicht zu den Personen, die von der Vegan-Doku sonderlich beeindruckt waren (erst recht nicht, als ich den Verriss eines FITBOOK-Kollegen gelesen habe).
Trotzdem bin ich neugierig geworden, wie sich ein Verzicht auf Fleisch auf meine Gesundheit auf der einen und meine Leistung im Fitnessstudio auf der anderen Seite auswirkt. Schließlich bedeutet eine pflanzliche Ernährung so ziemlich den kompletten Gegenentwurf zu meinem jetzigen Lebensstil. Ich möchte für mich einfach herausfinden, ob Veganismus mit (meiner Ausübung von) Kraftsport vereinbar ist.
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Außerdem habe ich seit einigen Jahren einen sehr unkonventionellen Schlafrhythmus, um es vorsichtig auszudrücken. In der Regel gehe ich um acht pennen und bin um elf schon wieder wach. Zwar döse ich danach noch ein paar Mal ein, aber richtig tiefer Schlaf kommt leider nicht mehr zustande. Aus diesem Grund kann man mich beastmodemäßig zu gottlosen Zeiten im Studio antreffen. Allein letzte Woche war ich zweimal vor 3 Uhr im Freihantelbereich am Ackern. Ich will für mich herausfinden, ob eine Ernährungsumstellung mich wieder durchschlafen lässt.
Und zu guter Letzt ist es auch aus ethischer Sicht sicherlich nicht unproblematisch, so vielen Tieren indirekt den Garaus zu machen. Wenn ich Kraftsport auch vegan (oder perspektivisch gesehen zumindest fleischreduziert) betreiben könnte, wäre eine dauerhafte Ernährungsumstellung eine Überlegung wert.
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Ich werde mein Experiment protokollieren
Wer so viel tierisches Eiweiß zu sich nimmt, ist auf den ersten Blick nicht unbedingt der logische Kandidat für ein halbes Jahr vegane Ernährung. Ich sehe das aber andersrum: Als bekennender (und bisher gewissenhaft praktizierender) Fleischjunkie fühle ich mich förmlich prädestiniert dazu, die vegane Ernährungsform auszuprobieren und an mir zu beobachten, was ein Verzicht mit meinem Körper so anstellt – und welche Vor- oder Nachteile zu Tage treten.
Wer kann denn schon von sich behaupten, von so viel Fleisch pro Woche auf 0,0 Gramm runterzugehen? Genau diese extreme Diskrepanz finde ich eine spannende Ausgangslage für meine Challenge – vielleicht ja auch aus Forschungssicht.
Natürlich hätte ich die letzten Jahre nicht so viel Fleisch und Eier verdrückt, wenn ich von meinem Speiseplan nicht überzeugt gewesen wäre. Zudem ging es mir bisher körperlich super damit, selbst der wenige Schlaf hat mich tagsüber kaum gestört (auch wenn ich dafür schon ordentlich Koffein trinken musste).
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Ich bin halt ein klassischer Hardcore-Pumper mit Suchttendenzen und um meine Trainingsziele zu erreichen, kam es mir unumgänglich vor, massenhaft tierisches Eiweiß ohne jeglichen kulinarischen Anspruch in mich reinzupumpen.
Darum muss ich schon zugeben, dass ich nicht vorurteilsfrei an das Experiment rangehe. Ich verbinde Kraftsport mit Fleisch. Viel Fleisch. Um meine eigene Voreingenommenheit zu überlisten und möglichst objektive Erfahrungen zu gewinnen, werde ich all meine körperlichen Veränderungen dokumentieren.
Hier gibt’s alle bisherigen Teile von Flavios Challenge
- Warum ich mich ein halbes Jahr vegan ernähren möchte
- So lief meine erste Woche als Veganer
- Wie hat sich mein Fleischkonsum auf meine Gesundheit ausgewirkt?
- So lief mein erster Monat ohne massenweise Fleisch und Eier
Dazu wird mir zweimal Blut abgenommen, einmal als Noch-Fleischesser und einmal nach 6 Monaten Vegan-Seins. Des Weiteren werde ich Stress- und Belastungsfragebögen ausfüllen sowie meine Maße und Trainingserfolge dokumentieren.
All diese Werte werden am Ende einer unabhängigen Ärztin vorgelegt, um eine professionelle Einschätzung meines Gesundheitszustandes vor und nach der Challenge zu erlangen.
Ihr habt eine Meinung oder Fragen zu Flavios Vegan-Challenge? Dann schreibt ihm eine E-Mail an flavio.treppner@axelspringer.com