
23. April 2025, 10:54 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Ob wir besser Steak oder Tofu essen sollten, ist offenbar keine rein ethische oder ökologische Frage mehr. Denn einer neuen globalen Analyse zufolge kann die Art der Proteinquelle darüber mitentscheiden, wie hoch bzw. niedrig unsere Lebenserwartung ist. Und welche Quelle optimal ist, ändert sich bereits mit dem fünften Geburtstag. FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke stellt Ihnen die Studie vor.
Wissenschaftler der University of Sydney haben mit einer groß angelegten Analyse untersucht, wie verschiedene Proteinquellen – pflanzlich oder tierisch – mit dem altersabhängigen Sterberisiko zusammenhängen. Dabei nutzten sie Daten aus 101 Ländern. Diese nationalen Angaben zur Lebensmittelversorgung kombinierten sie mit Sterbedaten nach Altersgruppen.1 Kann Protein die Langlebigkeit beeinflussen? Die Forscher wollten verstehen, wie sich Verschiebungen hin zu pflanzlicher Ernährung auf die Lebenserwartung auswirken – und wie diese Effekte je nach Altersgruppe unterschiedlich ausfallen. Die Ergebnisse liefern wichtige Hinweise für zukünftige Ernährungsempfehlungen und nachhaltige Ernährungssysteme.
Übersicht
Die Rolle von Proteinen bei Gesundheit und Umwelt
Der Verzehr großer Mengen tierischen Eiweißes, insbesondere in Form von verarbeitetem Fleisch, wird mit einer Reihe chronischer Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und einigen Krebsarten in Verbindung gebracht. Gleichzeitig wird pflanzliches Eiweiß – darunter Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkornprodukte – mit einem geringeren Risiko für chronische Krankheiten und einer geringeren Gesamtsterblichkeitsrate assoziiert. Darüber hinaus bemühen sich Länder weltweit, zunehmend den Konsum tierischer Lebensmittel zu reduzieren. Hauptmotivation hierfür ist der Kampf gegen den Klimawandel. Dr. Senior, der Leiter der Studie, erklärt in einer Pressemitteilung: „Eiweiß ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Ernährung, aber da sich die Ernährungsgewohnheiten ändern und die Industrieländer versuchen, den Kohlenstoffausstoß zu verringern, wird die Herkunft unseres Eiweißes immer mehr infrage gestellt.“2 Doch wie beeinflusst die Verschiebung von tierischem Protein hin zu pflanzlichem die Langlebigkeit?
Das Ziel der Studie
Die Wissenschaftler wollten klären, ob es für Menschen aller Altersstufen gleichermaßen gesund ist, mehr pflanzliches Protein zu konsumieren – oder ob das Alter eine entscheidende Rolle spielt. Genutzt wurden Daten zur nationalen Nahrungsmittelversorgung. Die Studienautoren fragten also keine individuellen Essgewohnheiten ab, sondern bedienten sich der statistischen Datenbank der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAOSTAT). Diese umfasst alle Nährstoffe, die in einem Land durchschnittlich pro Kopf zur Verfügung stehen, und ist damit ein zentraler Faktor für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung. Im Fokus standen das Verhältnis von pflanzlichem zu tierischem Protein sowie die Gesamtmengen an Fett und Kohlenhydraten im nationalen Ernährungsangebot. Ziel war, potenzielle Risiken oder Vorteile einer Ernährung mit überwiegend pflanzlichem oder tierischem Protein je nach Alter zu erfassen.
Doch das war gar nicht so einfach, wie Erstautorin Caitlin Andrews klarstellt: „Unsere Studie zeichnet ein gemischtes Bild, wenn es darum geht, die gesundheitlichen Auswirkungen von Fleisch- und pflanzlichem Eiweiß auf Bevölkerungsebene zu vergleichen.“ Später hierzu mehr.
Ernährungsweisen aus 101 Ländern verglichen
Bei der Studie handelt es sich um eine ökologische Analyse, womit Umweltfolgen von Ernährungssystemen untersucht werden können. Die Daten stammten aus 101 Ländern über den Zeitraum von 1961 bis 2018. Neben der FAOSTAT wurden Bevölkerungs- und Sterbedaten aus der Human Mortality Database sowie Wirtschaftskennzahlen (BIP pro Kopf) herangezogen. Für die Analyse wurden sogenannte generalisierte additive gemischte Modelle (GAMM) eingesetzt, um die Zusammenhänge zwischen Nährstoffverfügbarkeit, Wirtschaftskraft und altersabhängiger Überlebenswahrscheinlichkeit zu modellieren.
Dabei wurden Sterbewahrscheinlichkeiten für zwei Schlüsselalter untersucht:
- das 5. Lebensjahr (frühe Lebensphase) und
- das 60. Lebensjahr (spätere Lebensphase).
Alle Modelle wurden nach Geschlecht aufgeteilt berechnet und berücksichtigten mögliche Störfaktoren wie Bevölkerungsgröße, Zeitverlauf und BIP. Die Analyse betrachtete auch die Interaktion zwischen Fett- und Proteinzufuhr, um altersabhängige Zusammenhänge präzise zu erfassen. Zudem wurde aus den Überlebenswahrscheinlichkeiten die gesamte Lebenserwartung modelliert.
Pflanzliches Protein erhöht die Langlebigkeit – außer bei Kleinkindern
Die Studie liefert Hinweise dafür, dass sowohl die Gesamtmenge an Protein als auch dessen Quelle entscheidend mit dem Sterberisiko verknüpft sind – allerdings altersabhängig. Während Kleinkinder von tierischem Protein profitierten, waren pflanzliche Eiweißquellen im Erwachsenenalter mit einer höheren Langlebigkeit verknüpft.
- Bis zum 5. Lebensjahr: Höhere Anteile an tierischem Protein und Fett in der nationalen Ernährung gingen mit einer besseren Überlebensrate bei Kleinkindern einher. Der Effekt von pflanzlichem Protein war in dieser Altersgruppe deutlich schwächer.
- Bis zum 60. Lebensjahr: Hier zeigten sich Vorteile von pflanzlichem Protein. Länder mit höherem PBP-Anteil wiesen eine höhere Überlebensrate im späteren Leben auf, insbesondere bei gleichzeitig niedriger Fettverfügbarkeit.
- Lebenserwartung bei Geburt: War am höchsten in Ländern mit hohem Anteil an tierischem Protein, geringem Anteil an pflanzlichem Protein und niedrigem Fettanteil.
- Alle Altersgruppen: Geringe Gesamt-Proteinmengen gingen in allen Altersgruppen mit einer reduzierten Überlebenswahrscheinlichkeit einher.
Dr. Senior kommentiert die Ergebnisse: „Die Erkenntnis, dass pflanzliches Eiweiß mit einem längeren Leben in Verbindung gebracht wird, ist wirklich wichtig, da wir nicht nur darüber nachdenken, wie unsere Ernährung unsere eigene Langlebigkeit beeinflusst, sondern auch die Gesundheit unseres Planeten.

Keine Panik vor vegetarischem Babybrei
„Beim Lesen der Studienergebnisse können werdende oder frisch gebackene Eltern schnell den Eindruck bekommen, sie würden ihrem Nachwuchs wichtige Lebensmittel verwehren, wenn sie auf eine fleischfreie Ernährung setzen. Doch an dieser Stelle möchte ich die Panik nehmen. Eine vegetarische Ernährung, welche Milchprodukte und Eier enthält, ist sicher für Kleinkinder und kann ihren Nährstoffbedarf decken. Da Fleisch eine wichtige Quelle für Eisen ist, sollte vegetarischer Brei allerdings pflanzliche Eisenlieferanten enthalten, z. B. Vollkornhaferflocken. Wer nach einem Beratungsangebot sucht, kann beim Netzwerk Gesund ins Leben nach Stellen in der Nähe suchen.“
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie bietet robuste Hinweise, basiert jedoch auf ökologischen Daten und nicht auf individuellen Ernährungsgewohnheiten. Das bedeutet: Sie erfasst den Nährstoffgehalt des nationalen Lebensmittelangebots, nicht das tatsächliche Essverhalten einzelner Menschen. Dies kann zu Verzerrungen führen, etwa durch ungleiche Verteilung oder Lebensmittelverschwendung. Zudem berücksichtigt die Studie nicht die genaue Zusammensetzung von Fetten oder Kohlenhydraten (z. B. gesättigte vs. ungesättigte Fettsäuren). Darüber hinaus vermag das angewandte Studiendesign keine kausalen Rückschlüsse zu ziehen. Dennoch erlaubt die Studie eine differenzierte Betrachtung komplexer Wechselwirkungen zwischen Makronährstoffen. Die Ergebnisse ergänzen damit Erkenntnisse aus individualbezogenen Studien und liefern wertvolle Impulse für Ernährungspolitik und globale Gesundheitsstrategien.

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Fazit
Die Studie liefert Hinweise dafür, dass eine pauschale Umstellung von tierischen auf pflanzliche Eiweißquellen gesundheitlich nicht für alle Altersgruppen gleich sinnvoll sein könnte. Während tierisches Eiweiß im Kindesalter mit geringeren Sterblichkeitsraten verbunden ist, verbessern pflanzliche Proteinquellen die Überlebenschancen im späteren Leben und steigern die Lebenserwartung. Auch Fett wirkt altersabhängig: förderlich im Kindesalter, eher nachteilig im Alter. Damit unterstreicht die Studie die Notwendigkeit altersdifferenzierter Ernährungsempfehlungen – auch vor dem Hintergrund globaler Umstellungen hin zu umweltfreundlichen Ernährungsweisen.