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Ärger nimmt kein Ende

„More Nutrition“ – Verbraucherschützer fahren vor Gericht Erfolg gegen Supplement-Hersteller ein

More Nutrition Kritik
Ein Löffel Pulver mit Geschmack soll 50 Gramm Zucker ersetzen – würden Sie so viel Zucker in Ihren Joghurt geben? Foto: Getty Images

27. Februar 2024, 15:40 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Die Quality First GmbH ist das Unternehmen hinter der bekannten Marke „More Nutrition“ – und eine der bekanntesten Hersteller für Fitness-Supplements auf dem deutschen Markt. Mit Hilfe vieler Influencer verschaffen sich Produkte wie „Chunky Flavour“ und „Zerups“ reißenden Absatz, Kalorien einsparen lautet das große Versprechen. Seit 2023 liegen Schatten über der perfekten, zuckerfreien Welt, in der trotzdem alles süß schmeckt: Berichte von angeblichen Insulinresistenzen wabern durchs Netz und einflussreiche Verbraucherschutzorganisationen laufen Sturm gegen irreführende Werbeversprechen – zuletzt auch erfolgreich vor Gericht.

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FITBOOK wirft einen Blick auf die Geschichte der jüngsten Abmahnungen gegen „More Nutrition“ und enttäuschten Stimmen aus der „More“-Community, bei denen es im Kern um den Vorwurf ging, die Produkte von „More Nutrition“ begünstigten eine Insulinresistenz – was ist dran an dieser Kritik? FITBOOK ließ einen Ernährungsexperten die brisante Frage beantworten.

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Verbraucherzentrale NRW gegen „More Nutrition“

Zuletzt war die Verbraucherzentrale NRW erfolgreich vor Gericht gegen „More Nutrition“: Nachdem der Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln auf Instagram eine Backmischung mit Zucker- und Fettangaben ohne Vergleichsangaben beworben hatte, gab das Landgericht Hamburg den Verbraucherschützern Ende Februar 2024 recht – es handelt sich um „irreführende Werbung“. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, handelt es sich um einen weiteren herben Schlag gegen den Supplemente-Hersteller, hinter dem die Quality First GmbH mit Sitz in Elmshorn steckt.

Unter anderem wurde damit geworben, die „Total Vegan Protein Brownie Bowl“ enthalte „95 Prozent weniger Zucker“, „70 Prozent weniger Fett“ und sei „perfekt für jede Diät“. Dabei fehlten Vergleichsangaben zu anderen Brownie-Backmischungen. Das führe Verbraucher in die Irre, so die Verbraucherzentrale NRW.1

Zudem würde das „More Nutrition“-Produkt die angegebenen Prozentwerte „nicht im Ansatz“ erreichen, wenn man sie mit anderen fett- und zuckerreduzierten Backmischungen vergleiche. Überdies fehle, so die Verbraucherzentrale, „in der Werbung der Hinweis, worauf sich der Vergleich beziehe – nämlich auf eine ’normale‘ Backmischung“, heißt es in einer Pressemitteilung. Einem Antrag der Verbraucherzentrale wegen irreführender Werbung, dem eine Abmahnung an „More Nutrition“ vorausgegangen war, gab das Landgericht Hamburg nun Recht.

Foodwatch gegen „More Nutrition“

Erst Ende Januar 2024 hatte sich die NGO Foodwatch gegen „More Nutrition“ positioniert und dem Unternehmen eine Abmahnung unter anderem wegen Irreführung zukommen lassen, die in „zahlreichen Posts auf Social Media“ stattfinde. Zulässig sei weder die Aussage, Süßstoffe würden bei der Gewichtsabnahme helfen noch das Versprechen, die in einem Produkt namens „Cycle Balance“ enthaltenen Mikronährstoffe würden den weiblichen Menstruationszyklus fördern.

Foodwatch verwies auf ein Video, in dem eine Frau den Eindruck vermittele, dass der Konsum des Produkts ihr geholfen habe, schwanger zu werden, weil dadurch ihre Periode wieder eingesetzt habe. Nach der Geburt habe sie zudem mit anderen More-Produkten 17 Kilogramm abgenommen.

Im Gespräch mit FITBOOK erklärt „Foodwatch“-Pressesprecherin Sarah Häuser Ende Januar, dass die Organisation natürlich hoffe, dass der Supplement-Hersteller auf die Abmahnung eingehe. Ansonsten könne die Organisation sich weitere rechtliche Schritte vorstellen.

Heftige Kritik auch aus der eigenen Community

Die Aktivitäten von Foodwatch und der Verbraucherzentrale NRW beider Verbraucherschutzorganisationen sind auch im Zusammenhang mit Gesundheitsvorwürfen zu sehen, die Mitte/Ende 2023 im Internet gegen „More Nutrition“ laut wurden. Damals hatten einige Kunden behauptet, dass sie der regelmäßige Konsum von Produkten der Supplement-Marke krank gemacht habe, indem sie eine Insulinresistenz erlitten hätten.

Die Influencerin Milena Reszka hatte 2023 auf ihrem Instagram-Account Direct Messages ihrer Follower veröffentlicht, die über ihr gestörtes Essverhalten berichteten. Viele von ihnen gaben an, (ehemalige) Kunden von „More Nutrition“ zu sein und beschrieben, wie sie unter der „künstlich erzeugten Angst vor Kalorien“ litten und wie sie durch die Produkte „Mehr Drang nach Süßem haben wie vorher“.

Bei der Influencerin Milena Reszka melden sich viele Betroffene in den DM's zu Wort. Den Markennamen hat sie zensiert.
Bei der Influencerin Milena Reszka melden sich viele Betroffene in den DM’s zu Wort. Den Markennamen hat sie zensiert.

Glaubt man „More Nutrition“, sind ihre Produkte hervorragend geeignet für Diabetiker. Auf TikTok postete die Firma dazu Ende 2023 ein Statement.

Die User-Perspektive scheint eine andere zu sein. Eine Userin schreibt: „Ich bin mittlerweile schwer Darm krank inkl. Insulinresistenz von dem ganzen Süßstoff“. Eine weitere Userin spricht davon, durch die süßen Produkte in ihre Binge-Eating-Disorder zurückgefallen zu sein und dass sie erneut prädiabetisch sei.

Neben den Kundenstimmen hatten 2023 auch Jan Böhmermanns „ZDF Magazin-Royale“ sowie „STRG_F“ kritisch über die Firma berichtet, die stets behauptete „nur sinnvolle Nahrungsergänzungsmittel“ anzubieten, deren Wirkung wissenschaftlich fundiert sei.

Mediziner: Süßstoffe können „eindeutig“ eine Insulinresistenz begünstigen

Insulinresistenz durch Verzehr von „More Nutrition“-Produkte? Der Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl hat sich für FITBOOK die Inhaltsstoffe einiger „More“-Produkte angesehen. Die im Raum stehenden Vorurteile überraschen ihn überhaupt nicht. Laut Riedl können Süßstoffe, wie sie in den Produkten enthalten sind, „eindeutig“ eine Insulinresistenz begünstigen. Ob es dazu kommt, hänge zwar von der persönlichen Empfindlichkeit und der Menge ab – „aber die aktuelle Datenlage bestätigt das klar“, sagt Riedl zu FITBOOK.

Forschung zur gesundheitlichen Wirkung von Süßstoffen

Bei dem Thema, ob Süßstoffe wie Sucralose die Gesundheit beeinträchtigen können, herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit. Die American Diabetes Association etwa empfiehlt den Einsatz von Süßungsmitteln im Rahmen einer Ernährungsstrategie zur Reduktion von zugesetzten Zuckern, um die Kontrolle des Blutzuckerspiegels bei Prädiabetes und Diabetes Typ 2 zu verbessern.2 Diese Empfehlung hat jedoch einen bitteren Beigeschmack: Auftraggeber der Studie, auf die sich dafür gestützt wird, ist die „Heartland Food Products Group“, welche eine große amerikanische Süßstoff-Marke vertreibt.

Eine Meta-Analyse aus Kanada kommt zu dem Ergebnis, dass Süßungsmittel die Blutzuckerwerte weder bei gesunden Probanden, noch bei Typ 2-Diabetikern, negativ beeinflussten. Konkreter, sie beeinflussten nicht die Insulinausschüttung nach dem Verzehr mit Süßstoff versetzten Getränken. 3

Doch auch wenn Süßstoffe nicht zwingend direkt nach dem Verzehr einen Effekt zeigen, könnte sich die Insulinresistenz auf einem anderen, schleichendem Wege entwickeln: über den Darm, genauer die Darmflora. Der Süßstoff Sucralose, welcher auch im „Chunky Flavour“ eingesetzt wird, wurde in einer Interventionsstudie untersucht. Es zeigte sich, dass gesunde Probanden nach einer zweiwöchigen Gabe eines sucralosehaltigen Getränks Anzeichen für eine Insulinresistenz aufwiesen, gemessen anhand des oralen Glukosetoleranztests.4 Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass durch Süßstoff-Konsum verursachte Veränderungen der Darmflora eine Dysbiose hervorrufen können, welche den Glukosestoffwechsel beeinflusst.

Eine 2020 veröffentlichte Studie zeigt, dass Personen, die den von „More Nutrition“ verwendeten Süßstoff Sucralose sowie vermehrt Kohlenhydrate zu sich nehmen, Zucker anders verstoffwechselten und ihre Empfindlichkeit gegenüber Insulin reduziert war.5 Das kann eine Vorstufe zu Typ-2-Diabetes sein. Auch Personen, die bereits an Diabetes erkrankt sind und Süßstoffe zu sich nehmen, haben nachweislich eine verminderte Insulinresistenz im Vergleich zu Diabetikern, die keine Süßstoffe zu sich nehmen.6

Mediziner zu „Chunky Flavour“: „Nährnutzen nahezu null, Schadpotenzial maximal“

Laut einer nationalen US-Querschnittsstudie hat sich der Süßstoff-Konsum von Erwachsenen von 2000 bis 2012 um das Anderthalbfache erhöht. Bei Kindern ist er sogar um das Dreifache angestiegen.3 Das Geschmackspulver „Chunky Flavour“ besteht zu vier Prozent aus Süßstoff, vorwiegend Sucralose. Eine Portion ist mit drei Gramm angegeben – aus Sicht von Dr. Riedl ist das „eindeutig“ zu viel. „Wir nehmen durch viele Fertigprodukte Süßstoffe zu uns. Es geht darum, die Menge so stark zu begrenzen, wie es geht, wo wir es noch in der Hand haben“, mahnt Riedl im Gespräch mit FITBOOK. Süßstoff stecke schließlich überall drin – selbst in Gewürzgurken und Krautsalat.

Mit Blick auf „Chunky Flavour“ von „More Nutrition“ spricht der Mediziner gar von einer roten Linie, die überschritten sei. „„Nährnutzen nahezu null, Schadpotenzial maximal. Ich finde, dieses Produkt ist der Gipfel der schamlosen Verbraucherausnutzung, -täuschung und -schädigung. Das ist ein Ergebnis aus der Marketingabteilung in Zusammenarbeit mit der Lebensmitteltechnik. Der falsche Weg. Das schadet dem Ruf der Lebensmittelindustrie. Wir brauchen bessere Fertigprodukte, nicht mehr schlechte“, so Riedl zu FITBOOK.

Ist Zucker die bessere Alternative?

Nein, denn auch ein erhöhter Zuckerkonsum kann eine Insulinresistenz begünstigen. Laut Riedl geht dieser Web bei Zucker jedoch langsamer vonstatten, denn die Entwicklung des Diabetes entstehe über eine Fetteinlagerung in der Leber und Übergewicht. Im Vergleich zu Süßstoff erklärt er: „Schon ein Glas Softdrink mit Süßstoff kann die Darmflora verändern und den Weg ebnen für die Entwicklung einer Insulinresistenz.“

Die Erfolgsgeschichte von „More Nutrition“

Die beiden Gründer Christian Wolf und Michael Weigl brachten „More Nutrition“ 2017 mit dem Slogan „#changetheindustry“ auf den Markt. Startete der Onlineshop noch mit einem übersichtlichen Produktangebot, ist die Auswahl heute groß. Man könnte daher womöglich den Eindruck bekommen, die Marke habe ihren ursprünglichen Fokus darauf, ausgesuchte und hochwertige Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen, verloren. Ihr Erfolg baut insbesondere auf Produkten, mit denen die Kunden Kalorien einsparen können, aber nicht auf Geschmack verzichten müssen. Dazu zählen zum einen die „Zerups“ für Wasser und zum anderen das Pulver „Chunky Flavour“, welches man sich in Milchprodukte, Kaffee oder Pancakes rühren kann.

Für „More Nutrition“ steht das aber nicht in einem Widerspruch. So erklärte die Pressestelle der Quality First GmbH FITBOOK im Namen von „More Nutrition“: „Aus unserer Sicht schließen sich erstklassige Qualität und ein breites Angebot nicht aus – es ist ein ganz natürlicher Vorgang eines jungen, wachsenden Unternehmens, das sein Sortiment entsprechend der Kundenbedürfnisse sukzessive erweitert.“

Stimmt! Qualität und ein breites Produktportfolio müssen sich nicht automatisch ausschließen. Dennoch: Die aktuellen Werbeversprechen liegen weit entfernt vom Ursprung, „sinnvolle Nahrungsergänzungsmittel“ anbieten zu wollen. Beispielweise wird damit geworben, dass man mit einem Löffel „Chunky Flavour“ 50 Gramm Zucker einsparen würde.7 Das entspricht 200 Kilokalorien. Diese aromatisierten Pulver konsumieren Kunden der Firma vorwiegend, um Gewicht zu verlieren. Zwar spricht sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Anbetracht der weltweiten Adipositas-Epidemie für eine Reduzierung des Zuckerkonsums aus.8 Gleichzeitig rät sie jedoch davon ab, Süßstoffe als Mittel zur Gewichtskontrolle zu nutzen. Denn diese zeigten keinen langfristigen Erfolg bei Gewichtsabnahmen. Im Gegenteil: Der dauerhafte Konsum erhöhe das Risiko für Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.9

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So reagierte „More Nutrition“-Gründer Christian Wolf auf Kritik

Der ehemalige Gründer Christan Wolf hatte während der hitzigen Debatte um „More“ nichts von sich hören lassen. Anfang 2024 sprach er dann im „ungeskriptet“-Podcast mit Ben Berndt. Allerdings fokussiert sich die Podcast-Folge nicht explizit auf die Vorwürfe. Hinsichtlich der Kritiken von „ZDF Magazin-Royal“ und „STRG_F“ beschreibt er seine Reaktion damals als entspannt. Da die Firma „More Nutrition“ über zwei Millionen Kunden habe, sei es klar, dass es Einzelfälle gebe, die Verdauungsbeschwerden durch die Produkte erlitten. Auch die Entwicklung von Essstörungen durch „More“ weist er zurück. Denn ein Kundenstamm der abnehmen möchte, habe laut ihm generell eine höhere Wahrscheinlichkeit eine Essstörung zu entwickeln. Für Betroffenen dürfte das wie blanker Hohn klingen.

Quellen

Themen Diabetes Süßungsmittel Zucker

Quellen

  1. Verbraucherzentrale NRW: Erfolg vor Gericht gegen „More Nutrition (aufgerufen am 27.02.2024) ↩︎
  2. Warshaw, H., Edelman, S. V. (2021). Practical Strategies to Help Reduce Added Sugars Consumption to Support Glycemic and Weight Management Goals. Clinical Diabetes. ↩︎
  3. Zhang, R., Noronha, J. C., Khan, T. A. et al. (2023). McGlynn N, Back S, Grant SM, Kendall CWC, Sievenpiper JL. The Effect of Non-Nutritive Sweetened Beverages on Postprandial Glycemic and Endocrine Responses: A Systematic Review and Network Meta-Analysis. Nutrients. ↩︎
  4. Romo-Romo, A., Aguilar-Salinas, C. A., Brito-Córdova, G. X. et al. (2018). Sucralose decreases insulin sensitivity in healthy subjects: a randomized controlled trial. The American Journal of Clinical Nutrition. ↩︎
  5. Dalenberg, J., Patel, B., Denis, R. et al. (2020). Short-Term Consumption of Sucralose with, but Not without, Carbohydrate Impairs Neural and Metabolic Sensitivity to Sugar in Humans. Cell Metabolism. ↩︎
  6. Mathur, K., Agrawal, R., Nagpure, S. et al. (2020). Effect of artificial sweeteners on insulin resistance among type-2 diabetes mellitus patients. Journal of Family Medicine and Primary Care.  ↩︎
  7. More Nutrition. Chunky Flavour. (aufgerufen am 20.11.2023)  ↩︎
  8. Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sugars intake for adults and children. (aufgerufen am 20.11.2023)  ↩︎
  9. Weltgesundheitsorganisation (WHO). Use of non-sugar sweeteners. (aufgerufen am 20.11.2023) ↩︎
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