
11. April 2025, 17:16 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Anders, als Sie es vielleicht erwarten, geht es in diesem Artikel nicht um Fettsäuren aus fetthaltigen Lebensmitteln. Stattdessen werden kurzkettige Fettsäuren von den vielen Bakterien, die in unserem Darm leben, produziert – vorausgesetzt, wir essen genügend Ballaststoffe. Welche Funktionen kurzkettige Fettsäuren im Körper erfüllen und was sie so wertvoll für unsere Gesundheit macht, erklärt Ihnen FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke.
Seit rund 20 Jahren erforschen Wissenschaftler, wie eng die Bakteriengemeinschaft im Darm mit dem gesamten Organismus vernetzt ist. Klar ist inzwischen: Das Mikrobiom ist ein Schlüsselakteur für unsere Gesundheit. Es beeinflusst das Immunsystem, reguliert Entzündungsprozesse und kommuniziert sogar mit dem Gehirn. Dabei stehen die Stoffwechselprodukte bestimmter Bakterien im Mittelpunkt – allen voran die kurzkettigen Fettsäuren (SCFA; „short-chain fatty acids“). Sie entfalten ihre Wirkung nicht nur lokal im Darm, sondern auch in entfernten Organen wie Leber, Herz und Gehirn. In der Prävention und Therapie verschiedenster Erkrankungen könnten sie als sogenannte Postbiotika künftig eine noch größere Rolle spielen.
Übersicht
Kurzkettige Fettsäuren sind Postbiotika
Kurzer Chemie-Exkurs: Kurzkettige Fettsäuren sind eine Untergruppe der Fettsäuren und weisen zwei bis sechs Kohlenstoffatome in ihrer Kette auf.1 Das war’s schon an Chemie, versprochen. Wichtig zu wissen ist, dass unser Körper diese nicht selbst herstellen kann – dafür können es unsere Darmbakterien. Sie produzieren SCFAs im Dickdarm, indem sie unverdauliche Kohlenhydrate bzw. Ballaststoffe vergären. Als Stoffwechselprodukte dieser nützlichen Mikroben gelten SCFAs als sogenannte Postbiotika und stehen inzwischen in ihrer gesundheitlichen Bedeutung auf einer Stufe mit Pro- und Präbiotika.
Präbiotika = Futter für nützliche Darmbakterien
Probiotika = lebende nützliche Darmbakterien
Postbiotika = Stoffwechselprodukte nützlicher Darmbakterien
Mit dieser Ernährung sind Sie gut mit SCFAs versorgt
Damit Ihr Körper ausreichend mit kurzkettigen Fettsäuren versorgt wird, benötigen SCFA-produzierende Bakterien im Darm das richtige Futter. Zentral dafür ist eine ballaststoffreiche Ernährung. Rund 30 Gramm Ballaststoffe pro Tag empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung2. Reich an Ballaststoffen sind Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte sowie Haferflocken und Kleie. Dabei favorisieren die Bakterien lösliche Ballaststoffe wie Inulin und Pektin, da diese – anders als unlösliche – vollständig von ihnen vergoren werden können. Inulin steckt z. B. in Chicorée, Spargel, Porree und Zwiebeln. Pektin hingegen in Äpfeln, Birnen, Beeren und Zitrusfrüchten. Hülsenfrüchte enthalten Glacto-Oligosaccharide (GOS), eine weitere Art löslicher Ballaststoffe.
Neben löslichen Ballaststoffen zählt resistente Stärke zu den Favoriten der SCFA-produzierenden Bakterien. Sie entsteht, wenn stärkehaltige Lebensmittel wie Kartoffeln, Reis oder Nudeln nach dem Garen vollständig abkühlen. Nach etwa zwölf Stunden hat sich ein Großteil der Stärke umgewandelt. Auch beim Wiedererhitzen bleibt die resistente Stärke erhalten – perfekter Zeitpunkt für Bratkartoffeln. Zusätzliche Unterstützung bekommt das Mikrobiom weiterhin durch Milchsäurebakterien aus fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, Kimchi oder Joghurt. Einige Nahrungsmittel liefern sogar direkt SCFAs – darunter Milch sowie daraus hergestellte Produkte wie Butter und Käse.
Good News für alle, die bisher wenig auf ihre Ballaststoffzufuhr geachtet haben: Die ersten positiven Veränderungen des Mikrobioms zeigen sich bereits einen Tag nach der Ernährungsumstellung. Übrigens: Kürzlich entwickelten Forscher die sogenannte Restore-Diät, welche auf eine Verbesserung des Mikrobioms abzielt.
Die bekanntesten SCFAs und ihre Funktionen
Die drei bekanntesten und wichtigsten kurzkettigen Fettsäuren sind Butyrat (Buttersäure), Propionat (Propionsäure) und Acetat (Essigsäure).
Butyrat
Butyrat ist der wichtigste Energielieferant für die Darmbarriere. Zudem sorgt die Buttersäure für einen sauren pH-Wert im Darm, reguliert wichtige Immunfunktionen und beeinflusst Stoffwechselprozesse in Leber und Gehirn. Ein chronischer Mangel an Butyrat steht in Zusammenhang mit Krankheiten wie Typ 2-Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem steigt durch einen Mangel das Risiko von Infektionskrankheiten im Darm.3
Propionat
Propionat unterstützt ebenfalls die Darmbarriere und stärkt das Immunsystem, indem es die Bildung und Aktivität bestimmter Immunzellen, den T-Zellen, fördert.4 Darüber hinaus schützt Propionat die Nervenzellen (u. a. im Gehirn) und trägt zu deren Regeneration bei. Zusätzlich wirkt es positiv auf den Fettstoffwechsel, da es das „schlechte“ LDL-Cholesterol senkt.
Acetat
Acetat hilft dem Immunsystem bei der Abwehr von Krankheitserregern, in dem es die Funktion der Gedächtniszellen (jene Zellen, die bekannte Erreger wiedererkennen) unterstützt. Bei Infektionen steigt die Acetat-Konzentration im Gewebe deutlich an. Sobald ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist, reguliert die SFCA die Immunantwort: Sie bremst überaktive Immunzellen aus, fördert antientzündliche Signalstoffe und schützt so vor einer zu starken Immunantwort.
Kein Einlass für Krankheitserreger
Der Großteil der im Darm gebildeten kurzkettigen Fettsäuren wird direkt von der Darmschleimhaut aufgenommen, wo sie als Energiequelle dienen. Besonders Butyrat spielt dabei eine Schlüsselrolle: Es fördert die Teilung und Reifung der Epithelzellen, welche die Innenseite des Darms auskleiden. Zusätzlich stärkt Butyrat die sogenannten „tight junctions“ – Zellverbindungen, die eine dichte Barriere gegen Krankheitserreger und Schadstoffe bilden. Wichtige Nährstoffe gelangen weiterhin hindurch. Wird diese Schutzschicht gestört, etwa durch eine einseitige Ernährung, Alkohol oder Infektionen, kann es zum sogenannten Leaky Gut kommen – die Darmbarriere wird durchlässig und unerwünschte Stoffe gelangen in den Körper.
Gesundheitliche Wirkungen von kurzkettigen Fettsäuren
Kurzkettige Fettsäuren stabilisieren nicht nur lokal die Darmbarriere und schützen vor unliebsamen Eindringlingen, sondern wirken auch entzündungshemmend. Über den Blutkreislauf können sie an zahlreiche Wirkorte gelangen und präventiv oder auch therapeutisch bei diversen Erkrankungen wirken.
Schutz vor Übergewicht
Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms steht schon länger unter Verdacht unser Gewicht zu beeinflussen. Und SCFAs sind nützliche Helfer, um vor Übergewicht geschützt zu sein. So deutete etwa eine epidemiologische Studie mit 619 stillenden Müttern darauf hin, dass kurzkettige Fettsäuren aus Muttermilch einen schützenden Effekt vor übermäßiger Gewichtszunahme bei Säuglingen haben.5 Eine klinische Studie mit 20 gesunden, normalgewichtigen Männern zeigte zudem, dass eine erhöhte Versorgung mit Propionat belohnungsbasiertes Essverhalten abschwächen konnte.6
Laut einer weiteren Tierstudie soll Butyrat im übrigen ähnlich wirken wie das Diabetes-Medikament Ozempic – mehr dazu lesen Sie hier.
Kardiovaskuläre Gesundheit
SCFAs schützen auf verschiedenen Wegen das Herz-Kreislauf-System. So zeigte ein Tierversuch mit Mäusen, dass Butyrat das Fortschreiten ernährungsbedingter Arteriosklerose hemmte, indem es die Cholesterinabsorption verringerte.7 Auch eine klinische Studie mit 62 Teilnehmern zeigte eine signifikante Senkung des LDL-Cholesterols – ein Risikofaktor für kardiovaskulärer Erkrankungen – nach acht Wochen Supplementation eines Propionat-Präparats.8
Propionat wirkt antientzündlich bei Multipler Sklerose
Vor wenigen Jahren zeigte eine Forschungsarbeit der Ruhr-Universität Bochum, dass Propionat vermutlich die darmvermittelte Immunregulation bei Menschen mit Multipler Sklerose beeinflusst. Die Gabe von Propionat zusätzlich zu MS-Medikamenten reduzierte langfristig die Schubrate und das Risiko einer Behinderungszunahme.9
Die Rolle bei Arthritis
Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Universitätsklinikums Erlangen fanden heraus, dass kurzkettige Fettsäuren sich positiv auf entzündliche Erkrankungen wie die Rheumatoide Arthritis auswirken. Ernähren sich Arthritis-Patienten ballaststoffreich, erhöht sich unter anderem die Zahl regulatorischer Immunzellen, welche Autoimmunreaktionen entgegenwirken. Also Reaktionen, bei denen das Immunsystem den eigenen Organismus angreift.10
SCFA können das Risiko für Krebserkrankungen senken
SCFAs beeinflussen auch Tumorerkrankungen. Laut einer Meta-Analyse aus 2022 standen niedrigere Konzentrationen der drei wichtigsten kurzkettigen Fettsäuren im Stuhl mit einem höheren Risiko und einer höheren Inzidenz von Darmkrebs in Verbindung.11 Weiterhin zeigte eine Kohortenstudie mit 52 Krebspatienten, dass eine hohe Konzentration kurzkettiger Fettsäuren im Stuhl signifikant mit einem längeren Überleben ohne Verschlechterung der Erkrankung verbunden waren.12

Bestimmter Ballaststoff soll ähnlich im Körper wirken wie Ozempic

Wie unser Mikrobiom entsteht und sich verändert – und wie es mit Krankheiten zusammenhängt

Wie kann man die Darmflora nach einer Antibiotika-Einnahme wieder aufbauen?
Fazit
Kurzkettige Fettsäuren sind weit mehr als bloße Stoffwechselprodukte – sie übernehmen wichtige Aufgaben im Körper und könnten sich künftig als wichtige Bausteine in der Prävention und Therapie verschiedenster Erkrankungen etablieren. Die wissenschaftlichen Hinweise auf ihr Potenzial sind vielversprechend. Doch so faszinierend die Erkenntnisse bislang auch sind – viele der Ergebnisse stammen aus Tierversuchen oder kleineren Humanstudien. Um kurzkettige Fettsäuren gezielt medizinisch nutzen zu können, ist weitere, qualitativ hochwertige Forschung unerlässlich.