23. Mai 2019, 13:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
„Die Milch macht’s“, so sagt man. Aber angeblich nicht nur Gutes! Im Gegenteil: Der Konsum von Milchprodukten soll auf die Dauer schwere Krankheiten auslösen können – einige Experten warnen sogar vor Krebs! Mit einer von ihnen sprach FITBOOK und holte sich auch eine Gegenmeinung ein.
Wie selbstverständlich trinken wir unseren Cappuccino mit aufgeschäumter Milch, essen zwischendurch eine Käsestulle oder krönen den Teller Nudeln mit ordentlich Parmesan. Und was bitte wären Pizza und Burger ohne knusprig geschmolzenen Käse, ganz zu schweigen von den langen, kalten Wintermonaten ohne Käsefondue? So konsumiert praktisch jeder von uns – Laktoseintolerante bedingt ausgeschlossen – regelmäßig große Mengen an Milchprodukten. Und bei Kraftsportlern ist es meist sogar noch mehr! Neben dem regelmäßigen Verzehr von eiweißhaltigem Hüttenkäse und Co. nehmen viele von ihnen Protein-Supplements zu sich, also Nahrungsergänzungsmittel, die in aller Regel auf Molkenprotein (gekennzeichnet als „Whey“) basieren. In Kombination mit Training soll es das Wachstum der Muskeln fördern. Und denselben Effekt hat es angeblich auf äußerst ungewünschte Veränderungen.
Milch soll schwere Krankheiten auslösen können
Klarer Fall, das Thema polarisiert. Während die einen auf Milch und Milchprodukte schwören, um sich mit wertvollen Probiotika für die Darmgesundheit zu versorgen, ebenso mit Calcium für starke Knochen und Zähne, liest man auch immer wieder von einem Zusammenhang mit Tumoren, Männerbrüsten und Prostatakrebs. Und der steht laut der Ernährungs- und Gesundheitsberaterin Helena Ahonen außer Frage. „In Milch sind insulinähnliche Wachstumsfaktoren enthalten, besser bekannt als IGF-1. Sie kommen von Natur aus auch im menschlichen Körper vor. Zu große Mengen davon im Blut erhöhen jedoch das Risiko auf ungesunde Zellveränderungen.“Das erklärt Ahonen im FITBOOK-Interview.
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Ahonen bestätigt den wachstumsfördernden Effekt von Milchprotein, der sich aber nicht auf die Muskeln beschränken soll. Und das habe oftmals fatale Folgen. So führe das Wachstumshormon in vielen Fällen zu einer ungesunden Vergrößerung der Prostata (Fachbegriff: Prostatahyperplasie) – einem Männerleiden, das mit fortschreitender Krankheitsentwicklung mehr und mehr zu Beschwerden beim Wasserlassen führen kann, schlimmstenfalls zu Prostatakrebs. Und laut der Gesundheitsexpertin begünstige IGF-1 ebenso das Wachstum von Tumorzellen an anderen Stellen im Körper.
Im gleichen Tenor hat sich Bodo Melnik, Professor für Ernährungswissenschaft an der Universität Osnabrück, vor Kurzem in einem ausführlichen WELT-Interview über Milch geäußert und darin ebenso das nur schwer abschätzbare Risiko durch IGF-1 unterstrichen.
Prof. Melnik kam zu folgendem Fazit: „Mit der Milch hat die Evolution einen hochwirksamen Stoff entwickelt, der als Dauergabe gefährlich wird. Wir spielen hier mit einem hochbrisanten, genregulatorischen Cocktail herum, den wir kaum verstehen.“ Wenn schon Milch, empfiehlt Prof. Melnik übrigens den Konsum von H-Milch. Die habe aufgrund der Hitzebehandlung keine wirksamen Exosomen mehr. Exosomen sind virusgroße Transportbläschen, die unter Verdacht stehen, tumor-unterdrückende Gene zu deaktivieren.
Nicht einmal Calcium spreche für Milch – im Gegenteil!
Dass Milch und Milchprodukte für gesunde Zähne und Knochen wichtig sein sollen, ist für die Ernährungsberaterin kein Gegenargument. Vielmehr sieht sie den beträchtlichen Calciumanteil als Problem an. Das Verhältnis zwischen Calcium und Magnesium, das idealerweise bei 2:1 liegen soll, betrage im Fall von Milch 10:1, bei Käse sogar 30:1. „Fügt der Mensch sich zu viel Calcium zu, kommt es zu einem Überschuss“, erklärt sie. „Der Körper versucht dieses Ungleichgewicht zwischen den Mineralstoffen auszugleichen, indem er Calcium über den Urin ausscheidet. Dabei geht zu viel verloren.“ Ahonen rät deshalb zu niedriger konzentrierten Calciumquellen, die man reichhaltig in pflanzlichen Lebensmitteln finde, beispielsweise in Mandeln, Haselnüssen oder Chia-Samen und in verschiedenem Gemüse wie Grünkohl oder Brokkoli und Hülsenfrüchten.
Der negativen Begleiterscheinungen wegen rät Gesundheitsberaterin Ahonen entschieden von Milchkonsum ab. Gänzlich! Wer seinen Kaffee nicht schwarz trinken will, solle lieber zur Sojavariante greifen. Aber – ist die nicht auch umstritten? „Doch“, räumt die Expertin ein. Sojaprodukte enthalten Phytoöstrogene, also sekundäre Pflanzenstoffe, die in den Hormonhaushalt des Körpers eingreifen können sollen, „jedoch höchstens, wenn man sie im Übermaß konsumiert! Sie sind bei weitem nicht so kritisch zu betrachten wie das in Milch enthaltene tierische Östrogen, das bei Frauen erwiesenermaßen die Entstehung von Gebärmutter- und Brustkrebs fördern kann“, glaubt Ahonen. Zudem wirke es sich negativ auf die Größenentwicklung der Prostata aus.
Ist Milch wirklich so ein Gift?
Prof. Nicolai Worm, Diplom-Ernährungswissenschaftler aus München, teilt Frau Ahonens Ansichten nicht. Zwar bestätigt er das unter Umständen ungesunde Wirken von IGF-1, „Milch enthält aber zudem hunderte anderer Nährstoffe, die ebenfalls biochemische und physiologische Effekte auslösen können. Es ist denkbar, dass einige davon die negativen von IGF-1 kompensieren.“
Im FITBOOK-Interview beruft sich Ahonen auf einen Sachbuchband, die „China Study: Die wissenschaftliche Begründung für eine vegane Ernährungsweise“, in dem die Zusammenhänge zwischen Milchkonsum und dem Entstehen chronischer Erkrankungen mit Studien belegt wird. Den Ergebnissen hält Worm Langzeitbeobachtungsstudien entgegen, bei denen Menschen mit einem jeweils hohen beziehungsweise geringen Milchkonsum miteinander verglichen wurden. In einigen der Metaanalysen sei tatsächlich eine Korrelation zwischen Milchkonsum und Prostatahyperplasie abzulesen gewesen – in anderen aber wiederum nicht. Somit sei das potentielle Risiko aus wissenschaftlicher Sicht nicht bestätigt. „Dahingegen wiesen die Probanden, die über Jahrzehnte hinweg viel Milchprodukte konsumiert hatten, ein verringertes Risiko auf verschiedene Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, ebenso auf das Metabolische Syndrom und Diabetes Typ 2.“
Dazu passt ein im Mai 2019 veröffentlichter Beitrag im von Oxford University Press herausgegebenen Wissenschaftsmagazin „Advances in Nutrition“. In der „bislang ausführlichsten Aufbereitung der Datenlage“ zu Milch, wie Prof. Worm gegenüber FITBOOK erklärt hat, wird dem allgemeinen Kreuzzug gegen Milch folgendes Forscher-Fazit gegenüberstellt: „Zusammenfassend sprechen die systematischen Untersuchungen und Metaanalysen (…) für einen adäquaten Milchkonsum in verschiedenen Lebensphasen und in der Vorbeugung/Bekämpfung von nicht-übertragbaren, chronischen Krankheiten.“
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Fazit
Ob Milch so schädlich ist wie von Ernährungsberaterin Ahonen behauptet – darüber lässt sich offensichtlich streiten. Doch auch Prof. Worms Dafürsprechen lässt einen gewissen Zweifel daran, dass Milch in rauen Mengen so ganz ohne Vorsicht zu genießen sei. Nicht zuletzt Männer machen sicherlich keinen Fehler, wenn sie ihre tägliche Aufnahme von Milch und Milchprodukten ein wenig regulieren. Um einen bitteren Beigeschmack zu vermeiden.