2. Januar 2018, 14:40 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Fünf Obst- und Gemüseportionen täglich, viel wertvolles Eiweiß und Ballaststoffe – können wir uns ab sofort sparen! Im FITBOOK-Interview erklären Diplom-Ernährungswissenschaftler, warum es in Wahrheit so etwas wie „gesunde“ Lebensmittel gar nicht gibt. Und übrigens auch keine „ungesunden“…
Auch, wer nicht der größte Früchtefreund ist, weiß: Vitamin- und mineralstoffreiches Obst gehört zu einer gesunden Ernährung dazu. Der gleichen Überzeugung folgend würden bewusste Esser einen frischen Salat gegenüber Burger und Pommes vorziehen. Die einen macht dieser Lifestyle glücklich, die anderen nicht. Nötig ist er keinesfalls – das behauptet Uwe Knop, Diplom-Ökotrophologe aus Eschborn.
Gesunde Lebensmittel – gibt es nicht!
„Ein Apfel ist nicht gesünder als ein Hamburger, eine Pizza oder eine Scheibe Vollkornbrot“ – diese These des Ernährungswissenschaftlers könnte dem einen oder anderen Fast-Food-Liebhaber wie Musik in den Ohren klingen. Dass Konsumenten von jeher eingetrichtert wird, man müsse fünf Portionen Obst und/oder Gemüse in seine tägliche Ernährung integrieren – unter Berufung auf eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) –, ist laut Knop nichts anderes als eine Absatzfördermaßnahme der EU. Einen Beweis dafür, dass diese anerzogene Angewohnheit wirklich die Gesundheit fördert, gebe es nicht.
Wer statt eines Salats lieber Nudeln mit Sahnesauce essen möchte, sollte seinem Bauchgefühl nachgehen – das findet jedenfalls Ernährungsexperte Knop. Denn: „Es gibt keinerlei wissenschaftlich valide Daten, die zeigen, was gesunde oder ungesunde Lebensmittel sind.“
Ernährungsstudien nicht valide
Knop hat sich auf die Untersuchung von Studien spezialisiert, in denen die Auswirkungen der Ernährung auf den Körper aufgezeigt werden sollen. Die Schlussfolgerungen daraus basieren auf Messungen von Gesundheitswerten von Probanden, die über einen definierten Zeitraum eine bestimmte Ernährungsweise verfolgt haben – angeblich zumindest. „Man weiß, dass Menschen gerade in diesem Bereich nicht immer ehrlich sind.“ Das kennt man von sich selbst: Wer Diät hält, dem schwindet das winzig kleine Stückchen Kuchen, dem man vor lauter Heißhunger nicht widerstehen konnte, ruckzuck aus dem Gedächtnis.
Entsprechend sei die Datengrundlage in der Ernährungsforschung unüberprüfbar. Knop: „Es gibt KEINE Beweise für positive oder negative Effekte durch Lebensmittel. Man kann Korrelationen ablesen und Hypothesen aufstellen. Mehr nicht.“
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Um die Frage zu klären, ob eine vegetarische Ernährung die gesündere ist, müsste man laut Knop für eine repräsentative Studie mindestens 50.000 Menschen „randomisiert“, also per Zufallsprinzip, in Gruppen aufteilen und deren Ernährungsweise über 15 Jahre hinweg auswerten, damit die Ergebnisse wirklich aussagekräftig wären. Für Knop ein klarer Haken. „Fleischliebende Menschen würden die Teilnahme zurückziehen, wenn sie in die vegetarische Gruppe gelost worden wären“, glaubt der Fachmann. „In jedem Fall würden sie es über einen so langen Zeitraum nicht aushalten.“ Ebenso hätte ein tatsächlicher Vegetarier Probleme damit, in die Fleischgruppe gelost worden zu sein. Nicht zuletzt, ob zwischendurch doch von den „verbotenen“ Lebensmitteln gegessen wurde – sowie weitere (Ernährungs-)Gewohnheiten, die das Ergebnis beeinflussen würden –, machten es laut Knop unmöglich, Ursache-Wirkung-Beziehungen zu schlussfolgern.
Auch Prof. Nicolai Worm, der renommierte Münchener Diplom-Ökotrophologe, Ernährungswissenschaftler und Autor verschiedener Bücher zu dem Thema (u.a. „Flexi-Carb: Mediterran genießen. Lebensstil beachten“, Riva-Verlag), bestätigt gegenüber FITBOOK, dass einzelne Nahrungsmittel nicht über gesund oder ungesund entscheiden. Jedes von ihnen sei ersetzbar, da es nur eine bestimmte und begrenzte Dosis an wichtigen Nährstoffen und Inhaltsstoffen liefert. „Vielmehr ist die gesamte Ernährungsweise entscheidend, eingepasst in eine sinnvolle Lebensführung“, so der Experte.
Laut Prof. Worm basieren die meisten etablierten Ernährungsempfehlungen auf überholten Vorurteilen und dazu passenden Beobachtungsstudien. Diese könnten keine Ursachen belegen, sondern nur – wie auch Kollege Knop erklärte – Korrelationen beschreiben. Worm ist sich sicher: „Der Verzehr eines Hamburgers macht mich nicht ein Deut ungesünder oder kranker, wenn ich sonst eine gute Ernährungsqualität einhalte.“
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Für jeden sind andere Lebensmittel gesund
Dass „gesund“ im Zusammenhang mit Ernährung nicht allgemeingültig ist, veranschaulicht Ernährungswissenschaftler Uwe Knop mit dem Beispiel der Ballaststoffe. So wichtig sie für eine funktionierende Verdauung und zur Vorbeugung von Krebs sein sollen – Menschen mit einem empfindlichen Darm würde die Aufnahme der hohen, offiziell empfohlenen Mengen an Ballaststoffen enorme Probleme bescheren. Neben schmerzhaften Blähungen drohten auf Dauer Reizdarmsymptome und mehr. Logisch: „Es kann nicht gesund sein, was mir nicht schmeckt und was ich nicht vertrage.“
Laut Knop könne man sich an „gesunden“ Lebensmitteln allen voran die sogenannten Superfoods sparen. „Sie sind der Versuch, Produkte mit mystischen Wirkungen aufzuladen und teuer zu verkaufen. Der Markt hat entsprechend ein großes Interesse daran, den Hype aufrecht zu erhalten.“ Ob oder wie genau sich Goji-Beeren, Quinoa und Co. auf die Gesundheit auswirken – dazu gebe es weder Untersuchungen noch Ergebnisse.
Aber: Sind gewisse Lebensmittel nicht faktisch ungesund?
„Ich kann selbst nicht feststellen, welches Essen für mich ein Gesundheitsrisiko darstellt und welches nicht“, weiß Diplom-Ökotrophologe Prof. Worm. „Mit der Zeit werden sich medizinisch messbare Risikofaktoren einstellen, wenn der Ernährungs- und Lebensstil nicht passt.“
Knop sieht es sehr ähnlich. Selbst, dass Fertiggerichte, die mit Konservierungsstoffen und Geschmacksverstärkern versetzt sind, nicht gesund sein können, würde der Experte so nicht unterschreiben. „Alles, was in Deutschland zugelassen ist, ist unbedenklich. Man braucht sich nicht zu fürchten, davon dick oder krank zu werden. Sonst wäre der Stoff verboten.“
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Auch sehr Zuckerreiches brauche man nicht zu verteufeln. Laut Knop ist Zucker „der neue Bösewicht der Ernährungsapostel“, nachdem Fett und Cholesterin von ihrem gesundheitsschädigenden Ruf reingewaschen wurden. Dabei sei es weder wissenschaftlich belegbar, dass man dadurch zunimmt, noch, dass dadurch das Risiko auf Zuckerkrankheit steige. „Ob man Diabetes 2 bekommt, entscheidet in erster Linie die Genetik. Auch hier gilt, dass es keine ernährungsbedingten Krankheiten gibt. Höchstens ‚ernährungsMITbedingte‘.“ Wie bei so ziemlich allem mache auch im Zusammenhang mit Zucker die Menge das Gift.
Und was ist mit Fleisch? Es heißt ja immer, dass man den Fleischkonsum in Maßen halten soll. Knop reagiert einschränkend. „Nach der EPIC-Oxford-Analyse haben sogar Vegetarier häufiger Darmkrebs. Aber auch hier handelt es sich wieder nur um eine Korrelation.“
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Fazit: „Das Einzige, was zählt, ist der eigene Hunger.“
Klingt einerseits vernichtend, bedeutet aber auf der anderen Seite grünes Licht für das eigene Bauchgefühl. Wer seinen Gelüsten, seinem Hunger und persönlichen Geschmack nachgeht, entscheide den beiden Experten zufolge in aller Regel richtig. Sich NUR noch auf Fastfood und Süßigkeiten zu stürzen – diese Gefahr besteht wohl nur bei denjenigen, die sich lange zum Verzicht gezwungen haben.
„Komplettverzicht auf irgendwelche Lebensmittel ist nie gut“, klärt Knop auf. Klar könnte jemand, der jegliches Obst oder Gemüse strengstens meidet, auf Dauer Mangelerscheinungen entwickeln. In der Regel reagiere der Körper auf derartige Entwicklungen, indem nach anderen Lebensmitteln gelüstet wird, in denen die entscheidenden Nährstoffen zu finden sind. Eine abwechslungsreiche Ernährung scheint wie so oft die Lösung zu sein. „Das Einzige, was zählt, ist der eigene Hunger.“ Nur dann, wenn man hungrig sei, solle man essen. Und zwar das, was man mag und gut verträgt.