10. Mai 2019, 12:03 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Ein Stück Kuchen konnte noch so köstlich aussehen – zu wissen, dass es VEGAN ist, hätte mir prompt den Appetit darauf verdorben. Vegan klang für mich nach Öko, nach dem strengen Geruch, der aus vielen Reformhäusern wabert, kurz: ein bisschen abstoßend und keinesfalls nach Lebensgenuss. Umso überraschender kam es auch für mich, als ich mich eines Tages dazu durchringen konnte, mindestens 24 Stunden lang gänzlich auf tierische Produkte zu verzichten. Daraus wurde dann ein Monat und schließlich eine neue FITBOOK-Challenge. Was ich aus dieser Zeit gelernt habe…
Alles begann mit einer lästigen Erkältung – und der Erkenntnis, es mit tierischem Kram mal wieder übertrieben zu haben: Zum Mittag gab es eine Hühnersuppe à la Mama, also mit einer Extraportion selbstgemachter Kalbfleischbällchen, und abends eine große Schüssel Chili con Carne (natürlich mit Sour Cream!). Zwischendurch mussten ein Stück Kuchen und auch noch Eis her. So viel Tier auf dem Teller nur auf meine Krankheit zu schieben, ist eigentlich nicht fair. Im Grunde sah jeder Tag so bei mir aus – und das schon viel zu lange.
Und vielleicht hatte genau diese Tatsache etwas mit meinem hartnäckigen Infekt zu tun, den ich schon seit Monaten mit mir rumschleppte und gegen den nicht mal Antibiotika zu helfen schienen. Ich musste an ein Gespräch denken, das ich erst kürzlich mit einem renommierten deutschen Altersforscher geführt hatte. Darin erklärte mir Prof. Dr. Voelpel, dass tierische Produkte Krankheiten verschlimmern können, während sich pflanzliche positiv auf die Zellen auswirken sollen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich zugänglich für die Idee, mich länger als die Zeit zwischen Hühnersuppe und Chili con Carne rein pflanzlich zu ernähren. Nochmal kurz zur Erinnerung: Bis zu diesem Zeitpunkt klang vegan für mich eher nach einer „Krankheit“ …
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Aller Anfang ist schwer
Es ging los, mein erster und wahrscheinlich auch letzter Tag als Veganer! Aber gut, zumindest 24 Stunden sollte selbst ich das schaffen können. Doch schon nach dem Frühstück (Cappuccino mit Sojamilch) kam ich beim Gedanken an ein veganes Mittagessen ins Wanken. Ich erwischte mich dabei, von einer japanischen Lachs-Bowl und zu meiner Überraschung sogar von einer Bratwurst zu fantasieren. Aber: Ich zog es durch – und entschied mich für einen Falafel-Burger. Den habe ich schließlich auch schon vorher gerne gegessen, er fühlte sich also eher wie „zufällig“ vegan an.
Zu meiner Motivation
„Anders als Menschen, die tierische Produkte aus ethischen oder ökologischen Gründen ablehnen, war meine Motivation anfangs einzig egoistischer Natur: Ich wollte sehen, was es mit meinem Körper macht, wenn ich das viele Fleisch, den Fisch und die Milchprodukte weglassen würde. Der Rest kam später. Aber dazu komme ich noch.“–
Geschafft! Nach meinem ersten Vegan-Tag fühlte ich mich leichter, hatte super Laune und auf einmal richtig Lust, mein Experiment zu verlängern. So wurden aus 24 Stunden zwei Tage und am Ende tatsächlich eine einmonatige FITBOOK-Challenge, die ich sogar freiwillig verlängert habe! Eine spannende Zeit, in der ich gleich vier neue Erkenntnisse dazugewonnen habe.
1. Veganes Essen ist erstaunlich abwechslungsreich
In der Mittagspause war ich früher wenig kreativ: Es wurde das Rinder- oder Hähnchencurry beim Vietnamesen oder eben Sushi. Inzwischen sind Mahlzeiten regelrechte Entdeckungsreisen geworden. Und ich spreche nicht (nur) von Gemüsesorten, die ich vorher als Beilage abgetan hätte, die in Wahrheit aber auch zu einem ganzen Hauptgericht taugen. Zum Beispiel: gegrillte Pilze, die einem Steak geschmacklich den Garaus machen können; oder im Ofen gerösteter Blumenkohl mit Sesamsauce, wie man ihn in Tel Aviv nicht ohne Grund an jeder Ecke bekommt und schnell zu lieben lernt.
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Und vielleicht kennen Sie das ja selbst: Es gibt diese Gerichte auf der Karte, die viele Nicht-Veganer stur überlesen. Bei mir war das beispielsweise veganer Kuchen, der doch einfach spaßbefreit schmecken muss! Tatsächlich wurde ich im Rahmen meiner Challenge eines Besseren belehrt. Mein erstes Mal veganer Streuselkuchen hat mich mehr begeistert als so manch anderer vorher. Learning: Vegan bedeutet keineswegs asketisch.
In einem Kochbuch von Ella Woodward (gilt als DIE Vegan-Heldin schlechthin, die ihre Nervenkrankheit mit veganem Clean Eating überwunden haben will) entdeckte ich Rezepte für Brownies und Törtchen, die wahnsinnig toll klingen, aussehen und sogar gänzlich ohne Soja auskommen. So verhält es sich auch mit einem Vanilla-Cookie-Dough-Eis aus dem Supermarkt auf Mandelbasis, das ich gerade heiß und innig liebe. Der Glaube hält sich ja hartnäckig, dass veganes Kochen und Backen ohne Sojaprodukte nicht funktioniert – und dass Veganer ständig Tofu, Sojasahne und Co. zu sich nehmen müssen.
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Außerdem: Vor der Challenge hätte ich nie etwas bestellt, das auch nur ansatzweise Richtung Fleischersatz gehen könnte. In diesem Zusammenhang mausert sich gerade ja „Beyond Meat“ zum Trend: alternatives Hack aus Erbsenprotein, das die Lust auf echten Burger stillen soll. Während meines Experiments war ich davon zwar frei, habe das „Vleisch“, wie es in manchen Lokalen genannt wird, aber trotzdem ausprobiert. Und zusammen mit frischem Salat in einen Wrap gerollt hat es sich in mein aktuelles Lieblingsessen verwandelt! Ich finde übrigens nicht, dass es nach Fleisch schmeckt – sondern einfach gut.
Und dann wären da beispielsweise noch Quinoa, eine super Alternative zu Reis und Nudeln, und die vielen verschiedenen Varianten von Linsen und Bohnen, die ich vorher vorschnell in die Öko-Ecke verfrachtet habe. Gleiches betrifft natürlich auch Hanfsamen oder Weizenkeime, die in Wahrheit nicht bloß reichlich Eiweiß ins Essen befördern, sondern auch einen besonderen, nussigen Geschmack. Zugegeben: Das alles dürfte Leser, die nur ein wenig so ticken wie ich früher, noch lange nicht überzeugt haben. Aber genau hier liegt ein Teil des Problems.
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2. Nicht (nur) Veganer sind militant
Ja, Veganern haftet der Ruf an, andere bekehren zu wollen und jeglichen Konsum tierischer Produkte sofort als moralisch verwerflich zu verurteilen. Solche mag es sicher geben. Fast noch krasser aber ist die Fleischesserfraktion. Ich weiß, wovon ich spreche! Auch ich habe gegenüber Veganern die Nase gerümpft und schwachsinnige Fragen gestellt, wie: „WARUM machst du DAS denn?“ Und: „Hast du keine Mangelerscheinungen?“ Meistens haben mich die Veganer auflaufen lassen. Im Nachhinein war das total okay, denn Hand aufs Herz: Meine Frage nach etwaigen Mangelerscheinungen rührte selten aus echter Sorge um die Person vor mir. Hätte ich sie aber ernst gemeint – inzwischen wüsste ich die Antwort.
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Altersforscher Voelpel erklärte mir im FITBOOK-Interview, dass beispielsweise Eiweiß nicht nur in tierischen Lebensmitteln, sondern auch in einigen Gemüsesorten steckt. Und selbst wenn man sich durch die Ernährung keine Aminosäuren zuführt, bildet der Darm sie von Natur aus selbst – so wie fast alles andere Essentielle auch. Eine Ausnahme sei da höchstens das Vitamin B 12, das in pflanzlichen Produkten tatsächlich nur sehr geringfügig vorkommt, in Form von Nahrungsergänzungsmitteln aber einfach substituiert werden kann. Und natürlich ist es wichtig (ob vegan oder nicht), auf eine abwechslungsreiche Ernährung und gute Nährstoffzufuhr zu achten.
Aber zurück zur Frage, warum es den Fleischfan überhaupt tangiert, dass sein Gegenüber „nur Beilagen“ isst. Ich erlebe aktuell ja die andere Seite. Es gibt Menschen in meinem Umfeld, die es partout nicht verstehen können, dass ich gerade vegan esse, und fast schon beleidigt reagieren, wenn das Thema darauf fällt. Kopfschüttelndes Abwinken gehört da zum Standard. Liegt es daran, dass sie selbst Döner, Currywurst und Co. nicht widerstehen, es aber insgeheim gerne können würden – dass sie also vielleicht neidisch sind? Oder rührt diese Streitlust noch ursächlicher aus ihrer Ernährung?
3. Ohne tierische Produkte ist man gelassener
Eine steile These, das mag sein. Aber ich empfinde es so (und auch meine Umwelt kann bestätigen), dass ich besonnener auf Situationen reagiere, die mich vorher noch aus der Fassung gebracht hätten. Generell bin ich gerade weniger reizbar (, auch das wird mein Umfeld bestätigen). Placebo-Effekt hin oder her: Eine Freundin hat mir schon vor einem Jahr berichtet, dass sie immer dann vegane Phasen einlegt, wenn sie bei sich vermehrt depressive Verstimmungen wahrnimmt. Und dass es ihr ohne tierische Lebensmittel dann auch schnell besser geht.
Tatsächlich gibt es eine wissenschaftliche Grundlage, die ihre Behauptung stützt. So sollen Tiere bei der Schlachtung – und je nach Haltungsbedingungen auch schon früher – Stresshormone ausstoßen, die sich in ihrem Fleisch speichern. Wer Fleisch isst oder Milch trinkt, nimmt diese Stresshormone auf. In den meisten Schlachtbetrieben ist man sich dieser Problematik bewusst (da sie schließlich auch den Geschmack der Ware beeinträchtigen können soll) und betäubt beispielsweise Schweine mit Kohlendioxid. So soll sich deren Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin in Grenzen halten. Bis die Betäubung aber einsetzt, vergehen einige angstreiche Sekunden. Fühlt sich doch komisch an zu wissen, dass man solche unangenehmen Gefühle mitisst, oder? Aber nicht nur das.
4. Ja, es muss natürlich auch um Tiere und Umwelt gehen!
Ich wiederhole: Die Tiere stoßen Stresshormone aus, bevor es auf die Schlachtbank geht. Sie hyperventilieren! Diesen Gedanken habe ich früher deutlich besser ausblenden können – vielleicht auch, weil ich ihn nie gänzlich zugelassen habe. Heute schockiert er mich. Umso mehr zweifle ich daran, jemals wieder ein Stück Fleisch genießen zu können. Und let’s face it: Fleisch isst man einzig und allein des Geschmacks wegen. Aus gesundheitlicher Sicht ist es, wie oben bereits erwähnt, nicht nötig.
Trotzdem will ich betonen: Jeder soll essen, was und wie er will, solange er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Ich möchte an dieser Stelle nicht mit dem Finger zeigen – dafür habe ich viel zu lange selbst zu veganerverachtenden Fleischfressern gezählt. Bis vor Kurzem hatte ich jedoch auch schlichtweg keine Ahnung davon, wie groß der „Wasserfußabdruck“ von tierischen Produkten tatsächlich ist. Genaueres (und Erschreckendes) dazu kann man bei der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Umwelt nachlesen: etwa, dass für ein Kilogramm Rindfleisch rund 15.400 Liter Wasser benötigt werden. Ganz abgesehen von den Ressourcen, die in Ackerbauprodukte wie Getreide und Soja fließen, die zu einem Drittel für die Futtermittelproduktion draufgehen.
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Wie geht‘s jetzt weiter?
Inzwischen bin ich in Vegan-Woche sieben angekommen. Ich spüre: Es gibt noch viel zu viel zu entdecken, um mit dem, was als kleine Challenge angefangen hat, gänzlich aufzuhören. Dass ich bald mal wieder zu Käse oder Eiern greifen werde, ist möglich, vermutlich sogar zu Fisch. Aber eins habe ich mir geschworen: Das günstige Hähnchen- oder Rindercurry ist für mich gestorben, und auch generell – Fleisch essen möchte ich gar nicht mehr.