15. August 2023, 13:55 Uhr | Read time: 6 minutes
Pizza, Pasta und Co. enthalten es – und für die meisten Menschen ist Gluten ein Teil ihrer täglichen Ernährung. Forscher aus Neuseeland haben jetzt neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das Klebereiweiß unseren Gesundheitsstatus beeinflusst. FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke über die Studie und die Frage, ob man entsprechende Lebensmittel meiden sollte.
Seit Jahren wird darüber berichtet, wie ungesund Gluten sei. Es ist zum Trend geworden, glutenarm zu essen – auch, wenn keine Diagnose vorliegt, die das nötig machen würde. Tatsächlich wurde geschätzt, dass etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung an glutenbedingten Erkrankungen leiden.¹ Dazu zählen Zöliakie, nicht-zöliakische Glutenunverträglichkeit, Dermatitis herpetiformis, Glutenataxie und Weizenallergie. Diese äußern sich hauptsächlich durch Darmbeschwerden und typische Allergiesymptome wie Hautausschlag. Das Gehirn stand bisher nicht im Fokus der Gluten-Forschung – doch möglicherweise wirkt das Klebereiweiß dort entzündungsfördernd, wie eine aktuelle Mäusestudie zeigt.
Übersicht
Ablauf der Studie
In der Studie wurde der Einfluss von Gluten auf Entzündungsprozesse im Körper untersucht, die typischerweise mit ernährungsbedingter Fettleibigkeit verbunden sind. Denn obwohl es Hinweise dafür gibt, dass Gluten auch bei glutentoleranten Menschen negative Effekte haben kann, ist die Beweislage für diese Hypothese bisher dürftig.2
Für die Studie wurden 64 männliche Mäuse in vier Gruppen eingeteilt und für 14,5 Wochen unterschiedlich gefüttert:
- Gruppe 1 erhielt eine fettarme Diät mit zehn Prozent Fett (LFD)
- Der Fettanteil der Ernährung in Gruppe 2 betrug 60 Prozent (HFD)
- Bei Gruppe 3 wurde die Diät von Gruppe 1 mit viereinhalb Prozent Gluten angereichert (LDF + Gluten)
- Gruppe 4 erhielt die Diät von Gruppe 2 zuzüglich viereinhalb Prozent Gluten (HFD + Gluten)
Der Anteil an Gluten bei Gruppe 3 und 4 entspricht dem durchschnittlichen Anteil in der menschlichen Ernährung.
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Zugabe von Gluten führte zu Veränderungen im Hypothalamus der Mäuse
Den Erwartungen der Wissenschaftler entsprechend nahmen Mäuse, die eine fettreiche Diät erhielten, im Verlauf der Studie an Körpermasse zu. Die Gabe von Gluten in der HFD-Gruppe führte zu einem moderaten Anstieg der Körpermasse verglichen zur glutenfreien HFD-Diät. Im Vergleich stieg die Körpermasse der HFD + Gluten-Gruppe um 8,8 Prozent stärker an. Bei den Gruppen, die eine fettarme Diät erhielten, hatte Gluten keinen Einfluss auf die Körpermasse.
Weitaus interessanter war jedoch ein anderer Befund: Die Zugabe von Gluten zu LFD oder HFD führte zu einem deutlichen Anstieg der Anzahl von Mikroglia und Astrozyten im Hypothalamus des Gehirns der entsprechenden Mäuse.
Der Hypothalamus ist eine wichtige Hirnregion für Regulationsprozesse. Er steuert unter anderem die Atmung und die Körpertemperatur. Auch an der Regulierung des Körpergewichts und des Blutzuckers ist der Hypothalamus entscheidend beteiligt.
Mikroglia und Astrozyten sind Immunzellen im Gehirn, die den Makrophagen im Blut ähneln. Es ist bereits bekannt, dass eine fettreiche Diät die Zellzahl dieser Immunzellen erhöht und so zu einer entzündungsfördernden Stoffwechsellage im Hypothalamus führt. Im Mausmodell wurde gezeigt, dass diese Zellen sich ebenso vermehren, wenn bei LFD oder HFD Gluten zugefüttert wird. Bei HFD + Gluten war der Effekt entsprechend ausgeprägter als bei HFD alleine. Dies bestätigt die Hypothese der Forschenden, dass Gluten die Entzündungsmarker im Hypothalamus erhöht. Dementsprechend könnten Entzündungsreaktionen im Gehirn eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Stoffwechselerkrankungen spielen.
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Einordnung der Studie
Zunächst ist anzumerken, dass für die HFD in dieser Studie überwiegend Schweineschmalz verfüttert wurde, welches hauptsächlich langkettige und gesättigte Fette enthält und so, wie es für eine fettreiche Ernährung typisch ist, Entzündungsprozesse fördert. Die Zugabe von Gluten zu einer HFD, die überwiegend mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthält, welche entzündungshemmend wirken können, könnte also durchaus zu einem anderen Ergebnis führen.
Da der Anstieg der Anzahl an Immunzellen bei Glutengabe unabhängig von der Diät war, könnte Gluten eine direkte immunmodulatorische Wirkung aufweisen, die möglicherweise auch Veränderungen der Darmflora oder -barriere mit sich bringt.
In Zukunft sollte untersucht werden, ob die Ergebnisse des Mausmodells auf den Menschen übertragbar sind und ob sich eine gluteninduzierte Entzündung des Hypothalamus auch bei glutentoleranten Personen entwickeln kann. Denn Schäden am menschlichen Hypothalamus könnten Folgen wie Gewichtszunahme und eine gestörte Blutzuckerregulierung haben, welche das Risiko für das metabolische Syndrom erhöhen.
Ist es ungesund, Gluten zu essen? Ernährungsexpertin antwortet
Das Klebereiweiß ist in Weizen, Gerste, Roggen sowie in Dinkel, Emmer, Grünkern, Triticale, Urkorn, Kamut und teilweise auch in Hafer enthalten. Es befindet sich im Mehlkörper der Getreidekörner und ist dafür zuständig, den Keimling mit Aminosäuren zu versorgen.3
Da Gluten auch aus lebensmitteltechnologischer Sicht interessant ist – etwa durch seine emulgierenden und wasserbindenden Eigenschaften – ist das Klebereiweiß nebst Backwaren und Nudeln auch in vielen Fertiggerichten enthalten.
Es ist also eine Herausforderung, Gluten zu meiden. Ob das für Ihre Gesundheit wichtig ist, erklärt FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke.
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Wann Sie glutenfrei essen sollten
Sie waren beim Arzt und bei Ihnen wurde Zöliakie, Glutenunverträglichkeit oder Weizenallergie diagnostiziert? Dann sollten Sie Gluten definitiv von Ihrem Speiseplan streichen. Denn in diesem Fall schadet Gluten ernsthaft Ihrer Darmschleimhaut, was zu schweren Entzündungen und Mangelerscheinungen führen kann. Wenn Sie den Verdacht haben, an einer dieser Erkrankungen zu leiden, besprechen Sie dies mit Ihrem Arzt. Welche Symptome hierbei auftreten können, lesen Sie hier.
Glutenfreie Lebensmittel
- Kartoffeln
- Hirse
- Reis
- Quinoa
- Mehle aus Rapskernen, Hülsenfrüchten oder Nüssen
- Fleisch und Fisch ohne Panade
- Tofu (statt Seitan)
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Wann Sie nicht glutenfrei essen sollten
Treten bei Ihnen keine Darmbeschwerden oder allergische Reaktionen auf, nachdem Sie glutenhaltige Produkte gegessen haben, ist es nicht notwendig, sich glutenfrei zu ernähren. Denn auch eine glutenfreie Ernährung birgt gesundheitliche Nachteile, wie hier nachzulesen ist.
Zum einen geht eine glutenfreie Ernährung mit einem verminderten Verzehr von Vollkornprodukten einher. Dadurch werden weniger Ballaststoffe verzehrt, welche den Blutzucker- sowie Cholesterinspiegel regulieren und die Herz- und Darmgesundheit fördern. Außerdem sind in den Körnern viele wertvolle Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente enthalten.
Da die lebensmitteltechnologischen Vorteile des Glutens bei der Herstellung glutenfreier Produkte wegfallen, behilft sich die Industrie meist durch eine höhere Zugabe von Fett und Zucker, um die Konsistenz und den Geschmack des Produkts für Verbraucher attraktiv zu machen. Heißt: Glutenfreie Produkte liefern überwiegend mehr Kalorien, was beim Abnehmen hinderlich sein kann. Zudem werden die fehlenden technologischen Effekte durch Zusatzstoffe ausgeglichen, welche keinen gesundheitlichen Mehrwert liefern.
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Weizenunverträglichkeit Der Unterschied zwischen Weizensensitivität, Zöliakie und Weizenallergie
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Quellen
- 1. Bascuñán, K., Roncoroni, L., Branchi, F. et al. (2018). The 5 Ws of a gluten challenge for gluten-related disorders. Nutrition Reviews.
- 2. Rizwan, M., Kerbus, R., Kamstra, K. et al. (2023). Dietary wheat gluten induces astro- and microgliosis in the hypothalamus of male mice. Journal of Neuroendocrinology.
- 3. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Sektion Thüringen. Glutenfreie Ernährung. (aufgerufen am 14.08.2023)