23. Januar 2025, 14:23 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Das Darmmikrobiom ist ein zentrales Element für die allgemeine Gesundheit und die Funktionsweise verschiedener körperlicher Prozesse. Unter anderem spielt es auch eine Rolle bei der Kontrolle des Körpergewichts. In diesem Zusammenhang haben Forscher nun spannende Erkenntnisse über den Einfluss eines bestimmten Darmbakteriums auf den Blutzuckerspiegel gewonnen – und wahrscheinlich ahnen Sie schon, dass hier ein Zusammenhang mit dem Essverhalten besteht. FITBOOK-Autorin Laura Pomer erläutert die Details der Untersuchung.
Von der Verdauung über die Hormonproduktion und Gehirnfunktion bis hin zum Immunsystem: Das Darmmikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm, spielt eine Schlüsselrolle bei verschiedensten wichtigen Körperfunktionen. Geht es speziell um das Thema Gewichtskontrolle, ist zu erwähnen, dass das Mikrobiom unter anderem den Fett- und Zuckerstoffwechsel steuert. Richtig ist natürlich auch, dass auf diesen Prozess vor allem die Ernährung einen entscheidenden Einfluss ausübt. Doch wie eine neue Studie nun zeigt, spielt auch ein bestimmtes Darmbakterium eine Rolle – insbesondere im Hinblick auf das Verlangen nach Zucker.1
Übersicht
Studie zum Einfluss von Darmbakterien auf Gewichtskontrolle
Dass die Fähigkeit zur Gewichtskontrolle und der Appetit auf bestimmte Lebensmittel mit Signalen aus dem Darm zusammenhängen können, wusste man im Ansatz schon vorher. FITBOOK berichtete vor Jahren über eine Untersuchung, der zufolge die Zusammensetzung der Darmbakterien über einen Abnehmerfolg entscheiden kann.2 Speziell die Prevotella- und Bacteroidetes-Bakterien hatten einen günstigen Einfluss. Sie sollen aufgenommene Nährstoffe effizienter nutzen und so die Kalorienaufnahme des Körpers reduzieren können. Den weniger erfolgreichen Abnehmern unter den Probanden mangelte es an dem genannten Mikroorganismus.
Die neue Untersuchung nun beleuchtete speziell das Darmbakterium Bacteroides vulgatus und dessen Einfluss auf das Verlangen nach Zucker. Denn dieses kann eine der Hauptursachen von Gewichtszunahmen sowie der Entstehung der Stoffwechselstörung Diabetes Typ 2 darstellen. In Maßen ist die Lust auf Zucker evolutionsbedingt normal – er liefert Energie und hält somit, vereinfacht gesagt, am Leben. Doch was genau ist der Grund dafür, dass das Verlangen bei den einen viel stärker ausgeprägt ist als bei anderen? Antworten darauf suchte das Forscherteam im Darm von sowohl Menschen als auch Mäusen mit einer Diabetes-Diagnose.
Mangel von bestimmtem Darmbakterium macht Lust auf Zucker
Es wurden 60 Diabetes-Typ-2-Patienten und 18 Versuchstiere in die Analyse aufgenommen. Beim Abgleich mit gesunden Kontrollgruppen stellten die Forscher fest, dass im Blut der Probanden weniger Darmbakterien des Typs Bacteroides vulgatus vorkamen. Dies zog ein reduziertes Vorkommen des Stoffwechselprodukts Pantothenat nach sich. Pantothenat spielt eine zentrale Rolle für die Regulierung des Blutzuckerspiegels. Zur Erinnerung: Ein Absinken des Blutzuckerspiegels kann Heißhunger auf Zucker bewirken.
Die Zusammenhänge hören hier nicht auf. Wie die Forscher erklären, hat Pantothenat unter anderem die Aufgabe, die Produktion von FFAR4 anzuregen. Im Rahmen der Untersuchung setzten sie den Probanden gezielt Pantothenat zu, was zu einem Anstoß der FFAR4-Ausschüttung führte. FFAR4 steht für „freier Fettsäurerezeptor 4“ und kommt vor allem in (menschlichen und tierischen) Fettzellen, aber auch in Immunzellen und Blutgefäßzellen vor. Der Rezeptor nimmt Einfluss auf Stoffwechselprozesse, da es die Ausschüttung von Hormonen wie GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) fördert. Das geringere Vorkommen von Pantothenat war bei den Probanden auch mit einer reduzierten Präsenz von FFAR4 assoziiert; und mit entsprechenden Folgen für die Ausschüttung des Hormons GLP-1 im Darm.
GLP-1, bekannt von der „Abnehmspritze“
Jetzt sind Sie wahrscheinlich hellhörig geworden. Das Hormon GLP-1 ist wichtig für die Blutzuckerregulation und das Sättigungsgefühl; man hat zuletzt häufiger darüber im Zusammenhang mit der sogenannten „Abnehmspritze“ gelesen. GLP-1-basierte Arzneimittel (z. B. Ozempic und Wegovy) stammen ursprünglich aus der Diabetesbehandlung und werden aufgrund ihrer Appetit dämpfenden Wirkung nun schon länger auch zur medikamentösen Behandlung von Übergewicht eingesetzt. Die Therapie ist effektiv – nach Absetzen jedoch springt das Gewicht bei einem Großteil der Patienten wieder auf den früheren Zustand zurück (mehr dazu hier). Umso interessanter wäre es, sanftere Methoden zu finden, um die GLP-1-Ausschüttung zu steigern.
Forschung zeigt Bitterstoffe können vor Übergewicht und Diabetes schützen
Kanadische Studie Diese heftigen Nebenwirkungen können Abnehmspritzen haben
Studie mit 160 Methusalems Forscher finden besonderes Bakterium in der Darmflora von 100-Jährigen
Mögliche Bedeutung der Ergebnisse
Die Erkenntnisse der Studie könnten die Grundlage für neu gedachte Behandlungen von sowohl Übergewicht als auch Stoffwechselerkrankungen liefern. Ein Ansatz wäre, gezielt die Darmflora mit Fokus auf das Darmbakterium Bacteroides vulgatus zu stimulieren, um den Appetit auf Zucker effektiv zu regulieren. Anders gesagt: den unbestrittenen Effekt der Abnehmspritze zu imitieren, abzüglich der mit ihr verbundenen Nebenwirkungen. Etwa wäre es basierend auf den Erkenntnissen denkbar, den Verzehr ausgewählter Probiotika – solcher, die reich an Pantothensäure sind – zur Behandlung bzw. Vorbeugung von Diabetes Typ 2 zu empfehlen und so auch für eine Gewichtskontrolle.
Doch noch ist es dafür zu früh. Die Studienautoren betonen, dass weitere umfangreiche klinische Forschung nötig sei, um ein genaues Verständnis der Mechanismen zu entwickeln. Die aktuelle Untersuchung basiert auf einer zu geringen Datengrundlage, um belastbare Schlussfolgerungen auf einen Therapieerfolg ziehen zu können. Auch ist fraglich, inwieweit sich die an den Mäusen gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen.