21. Dezember 2024, 17:24 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
„Botanicals“ – klingt irgendwie fancy, oder? Wie eine erfrischende Gesichtscreme oder ein umweltfreundliches Raumparfum. Aber nein: „Botanicals“ sind Pflanzenextrakte wie beispielsweise Aromen. Der neue Trend: Aus diesen Aromen werden „Spirituosen“ ohne Alkohol gemacht. Gin ohne Schwips, Rum ohne Rausch. Aber sind diese trendigen Botanical Drinks tatsächlich gesund oder nur clever vermarktet? FITBOOK-Autorin Doris Tromballa hat sich die Inhaltsstoffe und Versprechen mit einem Experten genauer angeschaut – und erklärt, ob da mehr drinsteckt als heiße Luft (oder Wasser).
Es war ein hartes Urteil. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt seit 2024: Für die Gesundheit sei „am besten null Promille“.1 Aber an Longdrinks oder Cocktails ist ja nicht unbedingt der Alkoholgehalt interessant, sondern auch der besondere Geschmack! Deswegen kommen immer mehr „Botanical Drinks“ auf den Markt, Spirituosen ohne Alkohol, dafür mit sogenannten Botanicals. In Deutschland sind vor allem alkoholfreie Aperitifs und alkoholfreier Gin beliebt.2 Aber: Schmeckt das? Und sind sie wirklich so viel gesünder als die hochprozentige Variante?
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Übersicht
- Was sind Botanicals und Botanical Drinks eigentlich?
- Botanical Drinks imitieren das Mundgefühl von Alkohol
- Woher kommt der Getränke-Trend?
- Inhaltsstoffe: Natürlich, aber auch gesund?
- Bedeutet alkoholfrei wirklich 0,0 Prozent Alkohol?
- Der gesundheitliche Vorteil liegt woanders
- DIY: So machen Sie Ihren eigenen alkoholfreien Gin
- Quellen
Was sind Botanicals und Botanical Drinks eigentlich?
„Botanicals“ sind nach Definition der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) „pflanzliche Materialien und Zusätze“, also aus einer Pflanze gewonnene Inhaltsstoffe.3 Diese Stoffe können einen gesundheitlichen Nutzen haben (wenn sie beispielsweise zu Naturheilmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet werden), oder sie werden verwendet, um Lebensmittel zu aromatisieren oder zu verfeinern.
Das geht natürlich auch mit alkoholischen Getränken: Dabei werden duftende Pflanzen (wie z. B. Koriander, Orangenschalen, Ingwer oder Piment) entweder direkt im Alkohol während der Destillation mitgekocht, oder sie hängen in einem Korb über der Flüssigkeit und werden nur von dem aufsteigenden Alkoholdunst „bedampft“ und danach dem Getränk beigemischt. Letzteres ist schonender für die Aromen – aber auch aufwendiger.
Beim Gin ist Wacholderaroma laut EU-Spirituosenverordnung sozusagen ein gesetzlich vorgeschriebenes Botanical: „Bei der Herstellung von Gin dürfen nur Aromastoffe oder Aromaextrakte oder beides verwendet werden, wobei der Geschmack nach Wacholder vorherrschend bleiben muss.“4
Botanical Drinks imitieren das Mundgefühl von Alkohol
Bei Botanical Drinks, also alkoholfreien Spirituosen, kommt statt Alkohol Wasser zum Einsatz, um die Aromen zu extrahieren. Die Herstellung ist technisch anspruchsvoll, da Alkohol die Aromen viel besser aus den Pflanzen zieht, speichert und konserviert als Wasser. Deswegen werden die Pflanzen mitunter auch erst einmal in Alkohol eingelegt, um die Aromen herauszulösen. Anschließend wird das Gemisch destilliert, um die aromatischen Verbindungen zu gewinnen. Danach wird der Alkohol in einem zweiten Destillationsschritt entfernt. Die konzentrierten Aromen werden gefiltert und mit Wasser vermischt.5 Dazu sollen beispielsweise Bitterstoffe oder Chili-Extrakte als Zugabe das leicht kühle, prickelnde Mundgefühl von Alkohol imitieren. Dadurch entstehen Drinks, die wie Rum, Gin oder Tequila schmecken sollen, je nachdem, welche Pflanzenmischung benutzt wurde. Nur eben ohne Alkohol.
Woher kommt der Getränke-Trend?
Botanical Drinks treffen einen Nerv. Gemäß einer Analyse des irischen Lebensmittelherstellers „Kerry“ verbinden viele Verbraucher diese pflanzlichen Zutaten mit hochwertigen Produkten.6 Durch ihre natürlichen Ursprünge würden sie Lebensmitteln und Getränken nicht nur Aroma verleihen, sondern auch den Wunsch nach einem „clean label“ erfüllen – also Produkten, die möglichst ohne künstliche Zusätze auskommen.
Doch nicht nur das: Die Umfrage hat gezeigt, dass 83 Prozent der Konsumenten glauben, Botanicals hätten gesundheitliche Vorteile. Immerhin 81 Prozent sind überzeugt, dass diese Zutaten sogar zusätzliche Nährstoffe liefern. Selbst wenn diese Effekte nicht immer wissenschaftlich belegt sind, reicht die Erwartung für viele aus, um die Produkte attraktiver zu machen.
Weil Botanicals so stark mit positiven Eigenschaften assoziiert werden, sind Konsumenten auch bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. 75 Prozent der Befragten rechnen damit, dass Produkte mit Botanicals mehr kosten – quasi ein Aufpreis für Natürlichkeit, Gesundheit und Premium-Flair. Und so stellte auch die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein fest: Die meisten alkoholfreien Spirituosen sind nicht günstiger als ihre hochprozentigen Verwandten.7
Inhaltsstoffe: Natürlich, aber auch gesund?
Es gibt Hersteller, die suggerieren, ihre Produkte seien dank der Pflanzenextrakte wie Ingwer oder Lavendel „clean“ oder „gesund“. Doch das ist mehr Marketing als Medizin, erklärt Prof. Gregor Fuhrmann vom Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen auf FITBOOK-Nachfrage: „Lavendel hat einen nachgewiesenen therapeutischen Nutzen, allerdings nur als reines Lavendelöl. Davon gibt es ein Fertigpräparat bei nervöser Unruhe. Ingwer werden jede Menge Wirkungen zugeschrieben, aber das ist nicht in entsprechenden klinischen Studien nachgewiesen.“ Dazu: „Ob von den Pflanzen ausreichende Mengen an nützlichen Naturstoffen mit extrahiert werden, ist in meinen Augen zu bezweifeln.“
Wer also glaubt, mit alkoholfreiem Gin den Körper zu „entgiften“, der wird enttäuscht werden. Prof. Fuhrmann meint, die Versprechen seien „Kräuterhexe-Erzählungen oder Marketinggerede.“ Wer wirklich Nutzen aus „Botanicals“ – also Pflanzenextrakten – ziehen möchte, müsse sie richtig einsetzen: „Koriander, Angelika-Wurzel oder Zitrusschalen haben durchaus beruhigende und krampflösende Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt, aber dann nur bei standardisierten Arzneitees oder in Fertigarzneimittel mit fest definierter Menge an Pflanzenextrakten.“
Dazu zeigt ein Blick auf die Zutatenliste vieler alkoholfreier Spirituosen: Oft sind nicht nur Wacholderbeeren und Lavendelblüten drin, sondern mitunter auch künstliche Aromen, viel Zucker oder Konservierungsstoffe. Besonders bei günstigeren Produkten kann die Natürlichkeit schnell auf der Strecke bleiben.
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Bedeutet alkoholfrei wirklich 0,0 Prozent Alkohol?
„Alkoholfreie Spirituosen“ ist eigentlich ein Begriff, den es nicht gibt. Denn Spirituosen müssen nach der EU-Spirituosenverordnung mindestens 15 Prozent Alkohol enthalten, um überhaupt so heißen zu dürfen (Ausnahme: Eierlikör darf schon ab 14 Prozent Alkoholgehalt so heißen).
Gin beispielsweise muss mindestens 37,5 Prozent Alkohol haben, sonst darf er nicht Gin heißen. Außerdem ist es verboten, Begriffe wie „nach Whisky-Art“ oder „Typ Gin“ für Getränke zu nutzen, die nach der gesetzlichen Definition kein Gin oder Whisky sind. Alkoholfreie Versionen, wie man sie bei Bier oder Wein kennt, sind in der Verordnung nicht vorgesehen.
Deswegen tragen die Botanical Drinks meist nur ihren Markennamen und einen Hinweis darauf, dass kein Alkohol enthalten ist. Die Bezeichnung „ohne Alkohol“ darf ein Lebensmittel nach deutschem Recht nur tragen, wenn es wirklich überhaupt keinen Alkohol enthält, der Alkoholgehalt also bei 0,0 Prozent liegt. Da dies z. B. bei Wein bisher nur bedingt möglich ist, ohne den Geschmack sehr stark zu beeinträchtigen, wird hier die Bezeichnung „alkoholfrei“ genutzt: So dürfen nach deutschem Lebensmittelrecht Getränke bezeichnet werden, die maximal 0,5 Prozent Alkohol enthalten. Auf den alkoholfreien Spirituosen steht deshalb oft „0,0“, um anzuzeigen: Da ist wirklich keinerlei Alkohol drin.
Der gesundheitliche Vorteil liegt woanders
Auch wenn die Marketing-Versprechen vom „cleanen“ oder „gesunden Genuss“ stark übertrieben sind: Botanical Drinks können zu einem gesünderen Lebensstil beitragen. Nicht, weil sie den Körper direkt fitter machen. „Der wesentliche Vorteil der alkoholfreien Versionen ist definitiv die Abwesenheit von Alkohol“, weiß Prof. Gregor Fuhrmann.
Übermäßiger Alkoholkonsum hat schließlich viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit – von Leberschäden bis hin zu einem erhöhten Krebsrisiko.8 Die DGE meint „dass es keine risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum gibt.“ . Dennoch: Manchmal ist es schwierig, komplett auf Alkohol zu verzichten, gerade bei Feiern oder anderen sozialen Anlässen. Wasser, Säfte oder Limonaden sind in diesen Situationen vielen zu langweilig.
Dann sind alkoholfreie Spirituosen, die das Trinkerlebnis eines alkoholischen Getränks nachahmen, eine echte Alternative. Sie bieten Geschmack und das „rituelle“ Gefühl eines Drinks ohne die schädlichen Effekte des Alkohols. Prof. Gregor Fuhrmann hat selbst schon alkoholfreie Gins probiert und seine Lieblingsmarke gefunden. Sein Urteil: „Ich finde, dass das ein adäquater Ersatz vom Geschmack her ist.“
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DIY: So machen Sie Ihren eigenen alkoholfreien Gin
Selbst machen statt kaufen? Kein Problem! So weiß man genau, was drin ist, und kann auf künstliche Zusätze verzichten. Dieses Rezept empfiehlt der AOK-Bundesverband:9
Rezept für DIY-Gin ohne Alkohol
Zutaten
- 1 Liter Wasser
- 2 EL Wacholderbeeren
- 1 TL getrocknete Lavendelblüten
- 1 Streifen Zitronenschale (unbehandelt)
- 1 Streifen Orangenschale (unbehandelt)
- 1 TL Koriandersamen
- 1 TL Kardamomkapseln
- 1 Zweig Rosmarin
- Optional: ein Hauch von Ingwer oder Gurke
Zubereitung
- Wasser in einen Topf geben und auf mittlerer Hitze erwärmen (nicht kochen!).
- Wacholderbeeren, Lavendelblüten, Zitrus- und Orangenschalen, Koriander, Kardamom und Rosmarin hinzufügen.
- Die Mischung 20–30 Minuten ziehen lassen.
- Durch ein feines Sieb abseihen und abkühlen lassen.
- In eine Flasche füllen und gut verschließen. Im Kühlschrank hält sich dein DIY-Gin etwa eine Woche.
Tipp: Botanical Drinks eignen sich nicht gut zum Pur-Trinken, oft schmecken sie „solo“ etwas wässrig oder zu süß. Deshalb den alkoholfreien Gin am besten mit Tonic Water mischen, eine Scheibe Zitrone und Eis dazu, fertig ist der perfekte alkoholfreie Gin & Tonic!