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Meinung

FITBOOK-Autorin: „Warum ich den Blaubeer-Boom in Deutschland sehr kritisch sehe“

Blaubeeren-Boom – was wollt ihr mit den ganzen Antioxidantien?
Kaum jemand verlässt den Supermarkt ohne Blaubeeren – FITBOOK-Autorin Doris Tromballa untersucht, ob die ganzen Antioxidantien etwas bringen. Foto: Getty Images, Collage: FITBOOK

25. Mai 2024, 8:08 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Sie kommen in kleinen Eimerchen oder Kistchen und fast alle haben sie derzeit im Einkaufskorb, auf dem Weg zu Kasse: ein halbes Kilo Blaubeeren. Oder mehr! Einerseits nicht verwunderlich, denn Blaubeeren sind zurecht als Superfood bekannt und derzeit auch noch richtig günstig. Aber im Winter kaufen die meisten von uns ja auch nicht drei Köpfe Weißkohl pro Shoppingtour, nur weil Weißkohl gesund ist, gerade günstig und Saison hat. Auch FITBOOK-Autorin Doris Tromballa kann an den Blaubeer-Eimern nicht vorbeigehen und fragt sich: Hat sie wirklich so viele freie Radikale im Körper, dass die ganzen Antioxidantien angebracht sind?

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Kleine Eimerchen voll mit knackigen Blaubeeren lachen mich an, sobald ich einen Supermarkt betreten habe. Jetzt, im Frühsommer, bin ich komplett machtlos. Wie ferngesteuert laufe ich hin und muss zugreifen. 500 Gramm für den sagenhaften Kampfpreis von 2,99 Euro. Dieses Angebot kann man sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Schließlich schlägt zu anderen Jahreszeiten eine homöopathische Dosis Blaubeeren (125 Gramm) mit bis 5 Euro oder noch mehr zu Buche. Daher: Henkel hoch, mitkommen! Nur: Auf welches blaue Wunder hoffe ich eigentlich, wenn ich jede Woche ein, zwei Kilo Blaubeeren verdrücke: Werden die Antioxidantien ihren Weg zu meinen freien Radikalen finden?

Blaubeeren sind doch ein Superfood?!

Blaubeeren – auch Heidelbeeren genannt – sind ein Superfood. Die kleinen Früchtchen enthalten alle wichtigen Vitamine und Mineralien (bis auf Vitamin B12), dazu noch zahlreiche andere pflanzliche Powerstoffe wie Polyphenole und Flavonoide. Dazu gehören auch die sogenannten Anthocyane. Das sind die Farbstoffe, die der Beere ihre blauschwarze Färbung geben. Das Dunkelblau ist optisch ein toller Farbkleks in meinem Müsli oder meinen Muffins – noch wichtiger ist mir allerdings, dass Anthocyane mächtige Antioxidantien sind. Das heißt, sie fangen freie Radikale auf und reduzieren oxidativen Stress. Und das sorgt für schönere Haut, bessere Herz-Kreislauf-Gesundheit und hat sogar positive Effekte auf Gehirn und Gedächtnis.1,2,3

Können die Anthocyane bei mir überhaupt ihr gutes Werk vollbringen?

Bei Gelenkbeschwerden , Herz-Kreislauferkrankungen, Rheuma und Diabetes kann eine vermehrte Aufnahme von Antioxidantien unterstützend wirken.4,5,6 Auch (Spitzen-)Sportler benötigen mehr Antioxidantien, weil sie ihrer Energieproduktion mehr abverlangen. Allerdings haben Studien gezeigt, dass es gar nicht sicher ist, ob die Anthocyane bei mir überhaupt ihr gutes Werk vollbringen können. Denn die Bioverfügbarkeit (also die tatsächliche Aufnahme und Verwertung des Stoffs in unserem Körper) ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. So spielen zum Beispiel die Zusammensetzung der Darmflora und der Enzymhaushalt eine große Rolle.7

Auch interessant: Heidelbeeren gegen Arthritis – lassen sich Entzündungen wegessen?

Hoffen, dass die Antioxidantien in den Blaubeeren ihren Weg zu meinen freien Radikalen finden

Eine hochdosierte Einnahme von Antioxidantien (zum Beispiel durch Nahrungsergänzungsmittel) kann sich sogar negativ auf die Lebenserwartung auswirken.8 Nun kann ich natürlich kiloweise Blaubeeren futtern und hoffen, dass die Antioxidantien schon ihren Weg zu meinen freien Radikalen finden werden. Aber vielleicht überlege ich mir mal besser, wodurch ich denn so „oxidiere“? Zu viel Stress? Sonnencreme mal wieder zu Hause gelassen? Zuckerkonsum aus den Augen verloren? Alles Faktoren, die die Bildung freier Radikale begünstigen.

Auch interessant: Die Bedeutung von Antioxidantien für die Gesundheit

Aroma? Dürftig. Würde ich die mit verbundenen Augen erkennen?

Heidelbeeren haben nicht nur eine hinreißende Farbe, auch dieses Gefühl, wenn man auf die kleinen Beeren draufbeißt, ist ein Genuss. Knackig und saftig, unwiderstehlich. Allerdings lösen die prallen Beerchen aus meinem 500-Gramm-Eimerchen das dazugehörige Geschmacksversprechen nicht so richtig ein. Meist ist das Aroma eher dürftig, und wenn ich ehrlich bin, würde ich wahrscheinlich gar nicht erkennen, was ich esse, wenn ich sie kleingeschnitten und mit verbundenen Augen löffeln würde.

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Platz 11 der „Dreckigen Dutzend“ – da vergeht mir der Appetit

Das liegt daran, dass Blaubeeren ein sehr komplexes Aromaprofil haben, das sich aber nur entwickeln kann, wenn die Bodenqualität stimmt.9 Deutsche Supermärkte kaufen ihre Heidelbeeren fast ausschließlich aus der spanischen Provinz Huelva in Andalusien – und die Region hat schon lange Probleme wegen hoher Umweltverschmutzung. Ob das an meinen Heidelbeeren spurlos vorüber geht? Mich macht schon nachdenklich, dass die Früchte statt Aroma mehr unerwünschte Stoffe enthalten könnten. Schließlich gehören sie seit 2023 auch zu den „Dirty Dozen“: Die Rangliste „Dreckiges Dutzend“ der amerikanischen non-profit Organisation Environmental Working Group listet konventionell angebaute Früchte, die besonders stark mit Pestiziden belastet sind.10 Platz 11: Blaubeeren. Da vergeht mir der Appetit.

Regional und saisonal stelle ich mir anders vor

Aber gut ist doch, dass Heidelbeeren jetzt Saison haben und regional angebaut werden können. Das ist gut für’s Klima und die Umwelt, richtig? Leider nicht ganz. Rund 15.000 Tonnen Blaubeeren wurden letztes Jahr in Deutschland angebaut. Laut dem Branchen-Analysedienst „Agrarmarkt Informations-Gesellschaft“ (AMI) hat sich aber die Menge, die wir jährlich einkaufen in den letzten zehn Jahren vervierfacht: auf über 70.000 Tonnen pro Jahr.11 Woher kommen also unsere Heidelbeeren?

Wie schon erwähnt ist die spanische Provinz Huelva jetzt im Frühsommer unser Lieferant Nummer eins. Und der Anbau dort steht seit Jahren in der Kritik. So wird einem nahegelegenen Naturschutzgebiet für den Beerenanbau mit illegalen Brunnen das Wasser abgepumpt, die Arbeitsbedingungen für die Obstpflücker sorgen regelmäßig für Negativschlagzeilen.12 Ähnlich dramatisch ist es in Peru, wo viele unserer Heidelbeeren im Herbst oder Winter herkommen. Dort wachsen Blaubeeren mitten in einer öden Wüstenlandschaft auf Feldern, soweit das Auge reicht. Um die Pflanzen in der trockenen Wüste anbauen zu können, muss künstlich bewässert werden.13 Ein gigantischer Eingriff in die Umwelt. Dazu kommt die Klimabilanz, wenn die Beeren zu uns transportiert werden: Mehr als 10.000 Kilometer weit. Regional und saisonal stelle ich mir anders vor.

Eingefrorene Blaubeeren – beim Auftauen erlebe ich die Ernüchterung

Okay, aber nun sind sie nun mal da, in meinem Kühlschrank, die zwei Eimerchen, randvoll mit Blaubeeren. Was mache ich jetzt damit? Mehr als 75 bis 100 Gramm täglich sollte man ja nicht essen, denn die frischen Beeren können abführend wirken.14 Also – was tun? Jetzt ist eine schnelle Entscheidung gefragt, denn Blaubeeren reifen nach und sind anfällig für Schimmel. Im Kühlschrank halten sie nur ein paar Tage. Einfrieren ist die Lösung! Also schwups, rein mit dem Eimer ins Tiefkühlfach. Beim Auftauen erlebe ich dann allerdings die Ernüchterung: Die Beerenhaut ist unangenehm hart, das Fruchtfleisch ist Matsch, das Aroma vollends verflogen.

Blaubeeren einfrieren ist gar nicht so leicht. Denn das wasserreiche Fruchtfleisch gefriert in unseren Tiefkühlschränken nur relativ langsam. Und so bilden sich große Eiskristalle aus dem Wasser in den Zellen, die die Struktur der Beeren weitgehend zerstören. Die Lebensmittelindustrie nutzt deshalb das kostspielige Schockfrosten für Beeren. Dabei werden die Früchte in einem Tunnel mit eiskaltem Stickstoff begast und sind innerhalb von wenigen Minuten hart wie Stein. Das Wasser in den Zellen wird schockartig zu kleinen Kristallen gefroren, und so können sie auch wieder fast unversehrt aufgetaut werden – inklusive aller Nährstoffe. Aus meinem heimischen Blaubeermatsch kann ich jetzt höchstens noch einen Smoothie oder Marmelade machen.

Mit dem Fahrrad zur Blaubeerplantage

Ist der Blaubeer-Boom also ein Hype ohne Hintergrund? Was tun, wenn mich die Beeren in der Obstabteilung anlachen? Ganz ohne Heidelbeeren kann ich mir mein Müsli schwer vorstellen, gerade im Sommer. Und schließlich sind Blaubeeren wirklich ein sehr gesundes Lebensmittel. Deshalb: Wenn Bio-Früchte aus Deutschland in den Einkaufskorb kommen, ist schon in puncto Aroma, Klimabilanz und Pestizidbelastung viel gewonnen. Oder ich schnappe mir mein Fahrrad und besuche am Wochenende mit Freunden die Blaubeerplantage. Da nehme ich dann die kleinen Plastikeimer aus dem Supermarkt mit und fülle sie mit selbstgepflückten Blaubeeren voller Antioxidantien.

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Mit diesem Trick bleiben Blaubeeren länger frisch

Vom Einfrieren werde ich mangels Schockfrost-Anlage allerdings die Finger lassen. Aber es gibt einen Trick, wie sie länger frisch bleiben: Drei Tassen Wasser mit einer Tasse hellem Essig (zum Beispiel Apfelessig) mischen, Beeren eine Minute darin schwenken, abgießen, abspülen und trockentupfen. Dann in eine Box mit Küchenpapier legen, Deckel nur leicht auflegen – und schon bleiben die Beeren länger frisch.15 So kann ich morgens mit Genuss und gutem Gewissen „blau machen“ – und hoffen, dass die Antioxidantien in den Blaubeeren ihren Weg zu meinen freien Radikalen finden.

Quellen

  1. Ivarsson J., Pecorelli A., Lila M.A. et al. (2023): Blueberry Supplementation and Skin Health. Antioxidants. ↩︎
  2. Li D., Zhang Y., Liu Y. et al. (2015): Purified anthocyanin supplementation reduces dyslipidemia, enhances antioxidant capacity, and prevents insulin resistance in diabetic patients. The Journal of Nutrition. ↩︎
  3. Shukitt-Hale B., Carey A. Jenkins D. et al. (2007): Beneficial effects of fruit extracts on neuronal function and behavior in a rodent model of accelerated aging. Neurobiology of Aging ↩︎
  4. Nejadhosseinian M., Djalalinia S., Haerian H. et al. (2022): The effects of antioxidants on knee osteoarthritis: A systematic review and meta-analysis. Frontiers in Nutrition. ↩︎
  5. Nuttall S.L., Kendall M.J., Martin U. (1999): Antioxidant therapy for the prevention of cardiovascular disease. International Journal of Medicine ↩︎
  6. Fatima M.T., Bhat A.A., Nisar S. et al. (2023): The role of dietary antioxidants in type 2 diabetes and neurodegenerative disorders: An assessment of the benefit profile. Heliyon ↩︎
  7. Eker M.E., Aaby K., Budic-Leto I. et al. (2019): A Review of Factors Affecting Anthocyanin Bioavailability: Possible Implications for the Inter-Individual Variability. Foods ↩︎
  8. Bjelakovic G., Nikolova D., Gluud L.L. et al. (2007): Mortality in randomized trials of antioxidant supplements for primary and secondary prevention: systematic review and meta-analysis. JAMA ↩︎
  9. Li Y., Liu Y., Wang D. et al. (2024): Comparative Study on the Effects of Different Soil Improvement Methods in Blueberry Soil. Agronomy ↩︎
  10. Environmental Working Group: 2024 Shopper's Guide to Pesticides in Products. The Dirty Dozen ↩︎
  11. Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH: Marktversorgung bei Heidelbeeren steigt (aufgerufen am 21.05.2024) ↩︎
  12. Top Agar online: Steigende Umweltprobleme durch Beerenproduktion (aufgerufen am 21.05.2024) ↩︎
  13. Atlas/funk: Wie ein Superfood-Hype ein Land verändert (aufgerufen am 21.05.2024) ↩︎
  14. Healthline: Natural Laxatives for Constipation: Everything You Need to Know (aufgerufen am 21.05.2024) ↩︎
  15. Eat Smarter: So bleiben Beeren länger frisch! (2022, aufgerufen am 21.05.2024) ↩︎
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