21. August 2021, 8:51 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Erkenntnisse aus der Ernährungswissenschaft widersprechen sich häufig. Eier sind mal gut, mal schädlich für den Cholesterinspiegel. Von Milch, einst ein vermeintlich gesundes Lebensmittel, wird heute abgeraten. Und bei Kaffee ändert sich die Studienlage ständig. Für den Laien ist es schwierig bis unmöglich, den Überblick zu behalten. Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast hat für seinen Bestseller „Der Ernährungskompass“ unzählige Studien ausgewertet. FITBOOK von ihm wissen, was seine wichtigsten Ernährungstipps sind – und welche Mythen laut Studien schlichtweg falsch sind.
Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast hat mit seinem Bestsellerr „Der Ernährungskompass“ ganz offensichtlich einen Nerv bei vielen Deutschen. Ihm gelang es, ein wenig Ordnung in die unübersichtliche Forschungslage beim Thema Ernährung zu bringen. Dazu hat er sich die Mühe gemacht, unzählige Studien auszuwerten und aus den Ergebnissen konkrete Empfehlungen abzuleiten. Passend dazu gibt es jetzt auch ein Kochbuch zu seinem Ernährungskompass. Allerdings ist und bleibt Ernährung ein sehr komplexes – und persönliches – Thema. Deswegen wollte FITBOOK von Bas Kast wissen, welche Ernährungstipps er persönlich für am wichtigsten hält und welche bekannten Mythen einfach nicht stimmen.
Übersicht
- Bas Kast über die für ihn überraschendste Erkenntnis
- „Zuckerverzicht fällt mir leicht“
- Die Top 5 Ernährungstipps von Bas Kast
- Die 5 größten Ernährungsmythen
- „Clean Eating ist mir einen Hauch zu streng“
- Bas Kast verrät uns sein Lieblingsrezept
- „Leinsamen sind mindestens genauso gesund wie Chia-Samen“
- „Wissen heute zu gut 80 Prozent, was eine gesunde Ernährung ausmacht“
FITBOOK: Für Ihr Buch „Der Ernährungskompass“ haben Sie sich durch den Studien-Dschungel gearbeitet. Haben Sie einen Überblick, wie viele Studien Sie zum Thema Ernährung mittlerweile ausgewertet haben?
Bas Kast: „Nein, ich habe irgendwann nicht mehr mitgezählt. Aber es dürften ein paar Tausend gewesen sein.“
Bas Kast über die für ihn überraschendste Erkenntnis
FITBOOK: Welche Erkenntnis hat Sie dabei am meisten überrascht?
Bas Kast: „Dass Fett nicht unbedingt fett macht! Zum Beispiel helfen Omega-3-Fettsäuren in Lachs, Hering, Makrele oder Forelle (aber auch in Lein- und Chia-Samen oder Rapsöl) beim Abnehmen. Auch Nüsse sind – entgegen dem Klischee – keine Dickmacher. Ganz im Gegenteil.“
„Zuckerverzicht fällt mir leicht“
FITBOOK: Sie haben auch persönlich Ihre Ernährung umgestellt. Was fiel Ihnen dabei besonders schwer?
Bas Kast: „Weniger Fleisch zu essen – keine Wurst mehr. Vom Geschmack her liebe ich Wurst! Ich bin in München zur Schule gegangen und habe die Weißwurst genossen. Heute gibt’s die bei mir nicht mehr. Zuckerverzicht dagegen fällt mir leicht.“
FITBOOK: Gibt es laut Studien ein ungesundes Genussmittel, auf das Sie nicht verzichten wollen?
Bas Kast: „Iberico-Schinken. Ab und zu mal. Wenn meine Frau mir eine Scheibe unter die Nase hält.“
Die Top 5 Ernährungstipps von Bas Kast
FITBOOK: Ernährung ist ein kompliziertes Thema. Aber wenn man es jemandem ganz einfach machen möchte: Was sind Ihre persönlichen Top 5 der wichtigsten Ernährungstipps?
Bas Kast: „1– Selber kochen mit frischen, naturbelassenen Lebensmitteln. 2 – Essen Sie Nahrung, die Ihre Großmutter noch als Nahrung erkannt hätte. 3 – Mehr Pflanzliches, weniger Tierisches. 4 – Lieber Fisch als Fleisch (aber kein Pangasius und kein frittierter Fisch) und 5: Genießen Sie, die Dosis macht das Gift.“
Die 5 größten Ernährungsmythen
„Fett macht fett“
Einschätzung der Redaktion: Fette sättigen besser als Kohlenhydrate und erhöhen nicht den Blutzuckerspiegel. Dadurch wird kaum Insulin ausgeschüttet, was wiederum günstig für die Fettverbrennung ist. Außerdem ist es kaum möglich, zu viel reines Fett zu essen, da ein Übelkeitsgefühl einsetzen würde. Kohlenhydrate hingegen lassen sich unkontrollierter verzehren. Nur in Kombination mit Zucker und Weißmehl (zum Beispiel in Kuchen und Fertiggerichten) „mutiert“ Fett zur ungesunden Kalorienbombe. Wer aber viele Öle, Nüsse und fettreiche Fische verzehrt, wird davon nicht dick. Mehr zu diesem Mythos finden Sie hier: Warum Fett nicht dick macht
„Eine Kalorie ist immer eine Kalorie (also immer gleichermaßen dickmachend)“
Einschätzung der Redaktion: Natürlich sind Kalorien ein (grober) Anhaltspunkt darüber, wie viel Nahrung bzw. Energie ich meinem Körper zuführe. Aber 100 Kalorien aus Fruchtzucker sind eben nicht das Gleiche – und gleich gesund – wie 100 Kalorien aus beispielsweise gesunden Fetten, weil Fructose im Körper ganz andere Stoffwechselprozesse lostritt – und z.B. im Vergleich auf Dauer das Diabetes-Risiko erhöht oder eine Fettleber begünstigt. So haben zum Beispiel bei einer US-Studie 41 Kinder, die für gewöhnlich viel Zucker zu sich nehmen, über neun Tage Essen bekommen, das so viel Kalorien hatte wie ihre übliche Ernährung. Mit dem entscheidenden Unterschied: Ihr Essen bestand jetzt vor allem aus Stärke statt aus Fruktose (Fruchtzucker). Nach nur neun Tagen kam es „zu einer deutlichen Reduktion des Fettgehaltes in der Leber und der viszeralen Fettmasse“.
„Es ist egal, zu welchem Zeitpunkt Sie wie viel essen – solange Sie insgesamt nicht mehr essen, als Sie verbrennen“
Einschätzung der Redaktion: Es gibt Hinweise darauf, dass nicht nur die eingenommene Kalorienmenge (und selbst die ist nur ein relativer Indikator, s. Mythos #2), sondern auch der Zeitpunkt der Mahlzeiten wichtig ist. So hat beispielsweise eine deutsche Studie gezeigt, dass häufiger Frühstücksverzicht das Diabetesrisiko erhöht. Nach einer Trainingseinheit sollte man im besten Fall innerhalb von 30 Minuten seine Eiweiß- und Kohlenhydratspeicher auffüllen, damit Muskeln optimal wachsen können. Und das Verschieben von Mahlzeiten zur Tagesmitte hin sowie ausgedehnte Essenspausen (Stichwort: Intervallfasten) können bei der Gewichtsreduktion helfen – obwohl die Kalorienanzahl innerhalb von 24 Stunden die gleiche bleibt.
„Fett verstopft die Gefäße“
Einschätzung der Redaktion: Fett ist nicht gleich Fett. Es gibt durchaus ungesunde und gefährliche Fette – dazu zählen allen voran die Transfettsäuren. Sie entstehen, wenn Pflanzenöl und -fett mehrmals und über längere Zeit sehr stark erhitzt wird. Besonders hoch ist die Konzentration in frittierten Produkten wie Pommes, Kartoffelchips, Hähnchen- und Gemüsenuggets, aber auch in Fertigsoßen, in Margarine sowie Backwaren wie Croissants und Keksen. Transfette erhöhen den Spiegel des gefährlichen LDL-Cholesterins im Blut, das als massiver Risikofaktor für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems gilt. Somit sind Transfette tatsächlich schlecht für die Gefäße.
Aber: Das Gegenteil bewirken wiederum gesunde Fette aus kaltgepressten Ölen, Nüssen, Avocado und fettem Fisch, worauf sich Kasts Mythos bezieht. Sie wirken geradezu reinigend auf unsere Gefäße, wie eine Studie zu Walnüssen und ungesättigten Fettsäuren aus den USA zeigte.
Milch ist gesund
Einschätzung der Redaktion: Milch ist ein schwieriges Feld, denn es gehört zu den populärsten Nahrungsmitteln in Deutschland. Allerdings gibt es auch hier Hinweise, dass zumindest Erwachsene keine frische Milch zu sich nehmen sollten. Frische Milch regt nämlich das Zellwachstum an. Was bei Kindern und Jugendlichen erwünscht ist, kann bei Erwachsenen zu Krankheiten führen. „In Milch sind insulinähnliche Wachstumsfaktoren enthalten, besser bekannt als IGF-1. Sie kommen von Natur aus auch im menschlichen Körper vor. Zu große Mengen davon im Blut erhöhen jedoch das Risiko auf ungesunde Zellveränderungen“, erklärte die Gesundheits- und Ernährungsberaterin Helena Ahonen gegenüber FITBOOK. Doch auch hier macht die Dosis das Gift: Ein Schluck Milch im Kaffee ist kein Drama – täglich ein Glas Milch sollte man hingegen vermeiden.
„Clean Eating ist mir einen Hauch zu streng“
FITBOOK: Ihre Tipps klingen so, als wären Sie ein Befürworter des Clean Eating – also einer möglichst naturbelassenen Ernährung. Ist das so?
Bas Kast: „Nein, nicht wirklich. Clean Eating ist sicherlich gesund und geht definitiv in die richtige Richtung – es ist mir aber einen Hauch zu streng. Ich möchte keine Religion draus machen.“
Bas Kast verrät uns sein Lieblingsrezept
FITBOOK: Sie haben mittlerweile auch ein Kochbuch zum Ernährungskompass veröffentlicht. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsrezept für ein gesundes Gericht?
Bas Kast: „Fischfrikadellen auf Sauerkraut oder Zucchinipuffer.“
„Leinsamen sind mindestens genauso gesund wie Chia-Samen“
FITBOOK: Unsere Ernährung unterliegt vielen Trends. So landen mittlerweile Quinoa, Chia-Samen, Goji-Beeren und Avocados auf deutschen Tellern, die gerne als Superfood angepriesen werden. Greifen Sie auch zu exotischen Lebensmitteln oder meiden Sie diese eher?
Bas Kast: „Dazu greife ich zwar auch gerne, ich halte aber wenig vom Begriff ,Superfood‘. Leinsamen sind mindestens genauso gesund wie Chia-Samen.“
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„Wissen heute zu gut 80 Prozent, was eine gesunde Ernährung ausmacht“
FITBOOK: Die Studienlage verändert sich permanent. Vor einigen Jahren galt Fett als Dickmacher Nummer eins – jetzt ist es Zucker. In welche Richtung wird sich Ihrer Meinung nach unsere Ernährung in den nächsten zehn Jahren verändern?
Bas Kast: „Ich denke, wir werden uns immer mehr dessen bewusst, dass man mit der Ernährung eine echte Macht über den eigenen Körper bekommt. Das Bild vom Rauchen hat sich ja auch stark gewandelt in den letzten Jahrzehnten. So wird sich auch unser Bild von der harmlosen Bratwurst und der harmlosen Cola wandeln. Wir wissen heute zu gut 80 Prozent, was eine gesunde Ernährung ausmacht – ich erwarte hier keine Revolution mehr. Wohl aber, was unser Bewusstsein und unser Handeln betrifft.“
FITBOOK: Herr Kast, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!